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welche zum Landgräflichen Hause gehören, ge
sehen hat, muß man gestehen, daß Cassel einer
von den merkwürdigsten Plätzen in Deutsch
land ist. Die Stadt, welche sich in die fran
zösische Neustadt, Alt Cassel und Neu Cassel
abtheilet, pranget besonders wegen der fran
zösischen Neustadt, so aus den schönsten Ge
bäuden bestehet und vor welcher vordem eine
Esplanade von Hohen und im Schwibbogen
gezogenen Kastanienbäumen gewesen ist, die
aber in neulichem Kriege von den Franzosen
ausgehauen ist und itzt also nur aus einer jun
gen Pflanzschule von Lindenbäumen bestehet.
Das erste, was ich hier von Merkwürdigkeiten
sahe, war die unvergleichliche Gemählde-
sammlung des Landgrafen. Der vorige
Herr hat ein absonderliches Gebäude hiezu er
richten lassen, und jedes Zimmer pranget mit
schönen Stücken mehrentheils von italienischen
Meistern verfertiget. Was den langen Saal
oder die Gallerie anlangt, so kan ich sie wegen
ihrer Länge und Breite mit der preussischen
Gallerie zu Lanssouci vergleichen. Ich ver
gesse zeitlebens nicht das Gemählde, welches
die 2 lachende Schönheiten vorstellet. Vou
hier gieng ich nach dem Au-Garten, welcher
an Reize und Anmuth kaum seinesgleichen ln
der Welt haben mag. Die Bekanntschaft, welche
ich hier mit einem von denen hier etablirten
französischen Réfugiés machte, verschaffte mir
vielen Vortheil. Ausserdem war ich hier an
des Herrn Oberstallmeisters und Kammerherrn
von Wiedorf Excellenz recomandiret, allein
dieser Herr war eben mit dem Fürsten nach
Spaa gereiset. Den prächtigen Orangengarten
kan ich mit dem zu Versailles vergleichen. Hie
bey flösset das Orange n h a u ß. Man stelle
sich ein Gebäude vor, welches aus 4 Pavillons
bestehet, so aber au rez de chaussée nur einen
langen Saal ausmachet. Es ist dieses zu
Winterszeit das Landgräfliche Lusthauß, und
verdienet auch mit Recht diesen Namen, indem
der ganze Saal, welcher vermittelst 12 Ofen
allezeit warm gehalten wird, mit Orangen
bäumen besetzt ist. Die Wände formiren nichts
als Alkofen, die bald eine Grotte, bald eine
Cascade, bald ein Blumenfeld, bald einen
Schenktisch und mehrere Stücke presentiren.
Das Bad, welches gänzlich aus weissem
Marmor bestehet, ist ein Saal, wo der be
rühmte Italiener Monnot von den Jahren
1717 bis 1724 durch die prächtigsten basrelief
mit Vorstellungen aus der Mythologie sich
verewiget hat. Die Kunftkammer ist reich
an Edelgesteinen und alten Münzen. Der
M a r st a l l sowohl des Landgrafen als der
Cardes de Corps enthält die ausgesuchteste
und schönste mehrentheils Hollsteinsche Pferde.
Des andern Tages [8. Julis fuhr ich nach
dem eine Stunde von Caßel gelegenen Schloß
Weissenste in, welches des Königs in
Schweden Eriedrichs Herr Vater, Landgraf
Carl hat errichten lassen. Bevor man an dem
Berg der Cascade kommt, glaubt man ein
kleines Gebäude zu sehen, allein je mehr man
sich demselben nähert, desto prächtiger wird es.
Was das Schloß selbst anlangt, so siehet man
ein weitläuftiges und altes Gebäude, welches
der izige Landgraf aufs andere Jahr gänzlich
will niederreisfen lassen. Mit der Einrichtung
des Gartens hat er schon den Anfang gemacht,
der so groß werden wird, daß er mit oer
Cascade des Carlsberges eine Gemeinschaft
haben wird. Das Werk selbst, der sogenannte
Carlsberg oder Winterkasten zeiget
den grösten und verwegensten Baumeister seiner
Zeit. Der damalige Landgraf hat Felsen eine
Viertelstunde weit durchhauen lassen und von
einer daselbst befindlichen Quelle das Wasser
nach diesem Berg leiten lassen. Auf dessen
Gipfel wurde nun von einem Italiener Floren-
tino ein Gebäude von unbehauenen Schaum
burger Steinen errichtet, welches nebst den
6a8caden über 50 Millionen Thaler gekostet.
Achthundert und zwey und vierzig Stuffen
muß man besteigen, bevor man vom Ende der
Cascade bis an das Gebäude selbst kommt.
Der Landgraf Carl hat dieses Werk angefan
gen, und der izige Herl will es zu Stande brin
gen, nach dem damahls gegebenen Modell, so
daß, wenn es fertig ist, es 30000 Fuß in der
Länge betragen wird. Ganz Europa wird nicht
was Kostbareres aufweisen können.
Ausser Weissenftein sahe ich noch desselbigen
Tages das 2 Stunden von Cassel gelegene
Lustschloß Wilhelmsthal, welches vordem
^rnalienthal genannt wurde. Der letztverstorbene
Herr hat dieses prächtige Gebäude errichten las
sen, und der izige macht es zu einem der an
sehnlichsten fürstlichen Lustschlösser. Der Pallast
hat ausser der Haupt-Eayade 2 Pavillons. In
den Gemächern herrschet ein nobler und durch
Abwechselungen vermischter Geschmack, sowohl
in der Bauart selbst, als vornehmlich in der
Ausmeublirung der Zimmer. Aus vielen schö
nen Stücken muß ich besonders die Gemächer
mit den Gemählden der fürstl. Prinzessinnen
ausmenbliret anführen. Der Garten ist das
reizendste bey diesem Schlosse. Eine Grotte,
welche reiche Cascaden hat, ist hinter einem