Full text: Hessenland (37.1925)

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Gelände hinauf. Nach einer knappen Stunde 
fuhr der Schnellzug vorbei — vielleicht kamen 
Leute, die ihn noch erreichen wollten. Die 
Station lag gut eine halbe Stunde entfernt in 
einem Seitentale. Zwei, die auf der Landstraße 
daherkamen, strebten eilend vorwärts. Der 
Mann, ein Offizier, hatte seinen Arm um die 
Schultern der neben ihm schreitenden Frau 
gelegt und ein Ende feines Mantels fürsorglich 
hochgezogen. Buckelsack hörte, wie er bat: „Du 
solltest umkehren, Doraline — verliere mir 
nicht Mut und Hoffnung, Liebste . . ." 
„Wenn du nun in die Irre gehst, den Zug 
versäumst!" 
„Denke nur auf deine Sicherheit!" 
Nach einer herzlichen Umarmung trennten 
sich die beiden. 
Buckelfack stand da mit offenem Munde. Das 
war die Pfarrfrau! Er hatte genau gesehen, 
wie ein fremder Mann bei nachtschlafender 
Zeit diese Frau umfaßte und küßte! Donner 
schlag! Und wenn er an die Strafpredigten des 
Pfarrers dachte! Laß dich nicht gelüsten! Na 
— ihm sollte dieser Salbader noch einmal 
kommen! Buckelsack schlugen die Zähne auf 
einander. Wenn das unter die Leute kam! 
Da kam der Teichwärter quer über die Fel 
der. Er hatte eiue kleine offene Wasserbütte 
mit der Fifchbeute zu unterst in seinem Rücken- 
korb stehen. Buckelsack nahm beit Handkorb 
und eilte ihm entgegen. 
„Ist die Luft nicht mit?" fragte der Teich 
wart. 
„Nee, nee doch, die ist rein!" 
Er fetzte den Apfelkorb auf die Bütte und 
berichtete fein Erlebnis, nichts weiter, und 
wenn er hinzufügte, daß der Soldat stattlich 
gewesen sei, so war das nicht gelogen. 
„Grundgütiger Himmel! Nu' sag' mal, was 
denkst du denn, was der Pfarrer anfängt, wenn 
er das erführt?" 
„Der wird das Mundausreißen in Zukunft 
fein lassen!" 
„Ob man's ihm steckt?" 
„Wozu! Meine Mutter selig meinte immer: 
„Die Sonne bringt es an den Tag!" 
„Ja — na — ich blase nicht gerne auf den 
Funken in der Asche." 
„Adjes — gute Geschäfte." 
Buckelsack schlich heimwärts, als die Sonne 
aufging und die Lerchen singend dein neuen 
Tage entgegenflogen. Der Pfarrer stand in 
der offenen Pforte. Wie bleich und elend der 
Mann aussah! Da hatte es wohl schon ein 
geschlagen? 
„Was machst du denn für ein -dummes Ge 
sicht?" fragte Buckelsacks Frau, als er zu Hauje 
ankam. Sie erhielt aber erst eine Antwort, 
nachdem Buckelsack in aller Behaglichkeit seine 
Kaffecfuppe ausgelöffelt hatte. Dann erzählte 
er. Er fetzte nichts zu und ließ nichts aus, 
und wenn er von des Pfarrers verstörtem Aus 
sehen sprach, so hatte er eine Tatsache'berich 
tet. Indessen war der Teichwart langsam seine 
Straße gewandert. Er dachte über das Ge 
hörte und über seinen Pfarrer nach. Der 
Schulmeister hatte ihm neulich im Vertrauen 
gesagt, daß er übertriebene sittliche Forderun 
gen stelle. Was war das überhaupt „sittliche 
Forderungen"? Auch so ein neumodisch Ding! 
Er konnte sich dabei nichts denken! Man soll 
dem Ochsen nicht das Maul verbinden beim 
Dreschen — warum denn einem Teichwart das 
Angeln verbieten? „Morgen, Teichwart!" rief 
ihn einer an. Schneider Herrmann hatte ihn 
eingeholt. Er hatte sein grünes Hütchen schief 
aufgesetzt. Eine blaue Häherfeder steckte hinten 
im Bandknoten, ein Fellranzen hing ihm über 
die mageren Schultern. In der Hand trug er 
ein Vogelbauer mit einem Distelfinken, das 
von einem roten Schnupftuch umbunden war. 
Die Begegnung war dem Teichwart un 
bequem. 
„Du gehst wie ein Dromedar, Schiff der 
Wüste genannt. Was balanzierft du denn auf 
deinem Buckel — etwa eine Wasserbütte?" 
„Halt deine Guschen!" erwiderte Trubbe 
ärgerlich. 
Der Schneider war nicht leicht zu beleidigen. 
Er lachte und begann zu pfeifen. 
Nach einiger Zeit erwachte im Teichwärter 
das Verlangen, sich mitzuteilen. Er erzählte 
und hielt sich an Tatsachen. 
„Schauderhaft, was? Eine ist halt wie die 
andere — wie die Mücken! Immer um das 
Licht herum, bis sie die Fittiche versengt haben!" 
Schneider Herrmann rückte sein Hütchen auf 
die andere Seite und kratzte seinen grauen 
Schopf. 
„Ja—ja, so ist es, ich gönn's dem Pfaffen." 
„Was hast du denn in deinem Schnupftuch?" 
„Nur einen Distelfinken. - Der Vogelleim 
wird auch schon gefälscht, auf niemand ist mehr 
Verlaß." 
Schneider Herrmann wurde das langsame 
Gehen zu unbequem. Er schützte Eile vor und 
empfahl sich. 
Wie froh war der Teichwart, als der Korb 
wagen des Schultheiß Gentebrecht aus die 
Landstraße einbog und ihm erlaubt wurde,
	        
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