Full text: Hessenland (37.1925)

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ihm das einstimmige Zeugniß, daß er ein 
friedliebender Mensch gewesen, der Niemand 
beleidigt und zu keiner Zeit Zank und Streit, 
oder irgend einen Feind gehabt. 
In einen Streit, der auf dem ersten Masken 
balle zwischen einigen hiesigen Einwohnern 
und verschiedenen Göttingen'schen Studenten 
stattgefunden, war Bechstädt, der bey diesem 
Vorfalle zugegen war, auf keine Weise ver 
flochten gewesen. Überdem waren die damals 
zugefügten Beleidigungen ziemlich leicht hin 
genommen worden und die Fremden, denen 
sie zugefügt waren, hatten den zweiten Masken 
ball nicht wieder besucht und waren am Tage 
des Balles nicht einmal in Cassel anwesend 
gewesen. 
Bey dem geringen Stoff, den die Unter 
suchung in der bezeichneten Hinsicht darbot, 
versuchte man es, zu diesem Stoff durch eine 
nähere Ausmittelung der Personen zu ge 
langen, welche dem Maskenballe beigewohnt 
hatten. Von Seiten der Policey waren dieser- 
halb schon die erforderlichen Vorschritte ge 
schehen, und ebenso waren auch, zum Behufe 
einer nöthig scheinenden Controlle, alle Per 
sonen, welche Maskeu-Anzüge ausleihen, zur 
Einreichung von Verzeichnissen aufgefordert 
worden, aus denen sich ergab, an wen sie 
solche verliehen. Unter 266 Personen, die den 
Maskenball besucht, war auch nicht Einer, den 
man mit der That in einige Verbindung 
bringen konnte; und selbst bei einigen Vor 
gängen, wo sich Auffallendes oder Bedenkliches, 
wie etwa im Mißbrauchen der Maskenfrei 
heit gezeigt, wurde jeglicher Verdacht durch 
die nähere Untersuchung gehoben. Um für 
den Fall eines entstehenden Verdachtes gegen 
irgend eine Person, sich schleunigst die nöthigen 
Beweismittel zu sichern, und um selbst eine 
neue Quelle der Vermuthungen zu eröffnen, 
hatte man in allen Apotheken im Bezirke des 
hiesigen Obergerichts, wie in den benachbarten 
Ländern, so weit es nur ratsam schien, Unter 
suchungen darüber anstellen lassen, wer seit 
Jahresfrist Gift aus denselben erhalten. Man 
hatte ferner von der hiesigen Policey Nachricht 
darüber eingezogen, welche Fremden zur Zeit 
des Balles und kurz vorher sich dahier in 
öffentlichen und privat Häusern aufgehalten 
hatten. Und damit auch die entfernteste Ver 
muthung eine Berücksichtigung fände, ging 
man die Listen derjenigen durch, welche sich 
seit dem Isten Juli vorigen Jahres bis einige 
Zeit nach dem Ableben des Bechstädt um .Hof 
lakaienstellen beworben hatten. Alle diese Listen 
und Nachweißungen wurden mit dem Ver 
zeichnisse der auf dem Balle anwesend ge 
wesenen Personen verglichen, um durch Com 
binationen aller Art zu irgend einer leitenden 
Vermuthung zu gelangen, aber alle desfall- 
sigen Bemühungen waren vergebens. Ins 
besondere ergab sich in Ansehung der auf 
dem Balle gewesenen Fremden, daß keiner 
derselben einen solchen Masken-Anzug getra- 
tragen, wie ihn Bechstädt beschrieben, und 
überdem konnte auch ein solcher nicht leicht 
wissen, daß Bechstädt auf dem Balle erscheinen 
werde. 
Bey einem solchen Mangel aller, auch der 
entferntesten Anzeigen, glaubte man einen 
andern Fall der Möglichkeit eben- 
wohl berücksichtigen zu müssen, daß nemlich 
der Gifttrank vielleicht einem Anderen, als 
dem Bechstädt habe gereicht werden sollen und 
daß dieser nur ein Opfer des Irrthums ge 
worden sey. 
Schon im Allgemeinen stand dieser Ver 
muthung entgegen, daß ein Giftmörder, der 
nur, im Zutrauen auf eigne Schlauheit und 
Vorsicht, ein solches Verbrechen unternimmt, 
mit einer so ungewöhnlichen Einfalt und 
Plumpheit handeln wird, daß er, statt sein 
Schlachtopfer durch sichere Merkmale fest in 
das Auge zu fassen, den Giftbecher der ersten 
besten Maske im schwarzen Domino, deren 
doch so viele anwesend waren, hinreichen sollte. 
Es war sodann die ganze Idee: daß ir 
gend Jemand einer unbekannten Maske ein 
Glas Grog — und also ein an sich nur wenig 
beliebtes Getränke sofort abnehmen und aus 
trinken werde, so abenteuerlich seltsam, daß 
ein Mensch, der in den geselligen Formen des 
Lebens nicht gänzlich fremd ist, daraus einen 
Mordanschlag überall nicht gründen konnte. 
Aber noch größer mußte der Unverstand 
und Mangel jeglicher Besinnung bey einem 
solchen Verbrecher erscheinen, wenn er nach 
erkanntem Irrthume in der Person, dennoch 
den dargebotenen Gifttrank nicht zurückzieht 
oder mit dem Glase vernichtet. Daß er aber 
einen solchen Irrthum zeitig wahrnehmen 
müssen, solches gehet daraus unwiderleglich 
hervor, daß der pp. Bechstädt, weil seine Maske 
eine ganze und in der Mundöfnung sehr enge 
geschlossen war, dieselbe ablegen mußte, wenn 
er, wie er angeblich gethan, das Glas Grog 
austrinken wollte. 
Wenn es hiernach einem Jeden auffallen 
mußte, wie ein Verbrecher, der seine Person 
und jede zur Entdeckung führende Spur so
	        

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