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Manche Aufzeichnung mutet uns heute komisch
oder doch ein bißchen lächerlich an, anderes ist
auch heute noch von Interesse. Goethes Ita
lienische Reise mag wohl in den späteren
Zeiten des 18. Jahrhunderts oder im 19. Jahr
hundert gelegentlich dem Schreiber als (uner
reichtes) Vorbild vorgeschwebt Haben, aber die
meisten Reisenden haben ohne Hintergedanken,
nur aus wirklicher Freude an dem vielen
Neuen und Unbekannten oder weil es eben
Mode war, ihre Schreibereien gemacht, und
auch ihnen müssen wir heute dankbar sein, denn
der Zeitcharakter spricht sich, abgesehen von
den Briefen, kaum in etwas so unverhüllt aus
wie in diesen ungeschminkten Niederschriften,
und kulturgeschichtlich recht merkwürdige Tat
sachen wissen wir vielfach fast nur aus diesen
gleichzeitigen Niederschriften. — Von den Rei
sen eines dem hessischen Landgrafenhause nahe
stehenden Jünglings, Philipp Wilhelm von
Cornberg, in den Jahren 1569—1579 nach
der Schweiz, Frankreich und^Italien sind wir
gut unterrichtet 6 7 * 9 , die „Reisen eines pommer-
schen Edelmanns durch Hessen vor 300 Jahren"
hat Philipp Losch anschaulich nach Lupold
von Wedels Tagebuch dargestellt? Von
der Reise der Jeanette Philippine Le Clerc,
geborenen Du Ry, durch Frankreich 1773 bis
1775 erzählt recht interessant Otto Gerland?
Auf einige Tagebücher des 18. Jahrhun
derts, die sich auch mit unserer Gegend be
schäftigen, möchte ich hier hinweisen. So finden
wir in Björnstähls „Briefen auf seinen
ausländischen Reisen" die Beschreibung einer
Reise des Verfassers von Frankfurt nach Ha
nau mit ganz ausführlichen Mitteilungen über
die Stadt Hanau, besonders auch über seinen
Empfang beim Erbprinzen Wilhelm, dem spä
teren Kurfürsten Wilhelm I., und den Ein
druck, den er von ihm und seinem Charakter
gehabt hat. Eine sehr ausführliche und an
schauliche Reisebeschreibnng einer 1730—1733
unternommenen langen Reise, die den Schrei
ber, den jungen Danziger Studenten Heinrich
Z e r n e ck e, bis nach Holland führte, ist uns
handschriftlich erhalten und auch zum Teil in
der Geschichte der Familie Zernecke^ gedruckt.
Die Abschnitte über Zerneckes Durchreise durch
Hessen lasse ich hier folgen:
6 Bgl. „Hessenland" 1912, S. 180 ff.
7 „Hessenland" 1898, S. 126 ff.
s „Hessenland" 1894 und 1895.
9 W. F. H. Zern ecke, Geschichte der Familie Zer
necke, Grandenz 1900.
„Den 12. Septentbris (1733) umb 3 Uhr früh
kamen wir im Dorfe W e st u f f e l an, allwo
wir ein wenig ausruheten, um 7 Uhr aber
fuhren wir weiter und kamen umb 10 am Vor
mittage nach Cassel zum Müllertor herein.
Wir traten ab im Gasthause, allwo, weil wir
denselben Tag über zu verbleiben willens
waren, wir uns ein Zimmer einräumen ließen.
Nachdem wir uns nun umgekleidet und in et
was refraichiret hatten, resolvirten wir uns
einige der dasigen Merkwürdigkeiten zu be
schauen. Weil nun unter selbigen das eine
halbe Meile von der Stadt gelegene bewun
derungswürdige Gebäude Carlsberg eines
der vornehmsten war, von dem ehemaligen
Landgrafen Carl als Stifter desselben also
benamet, oder wie es auch sonsten genennet
worden, W i n t e r k a st e n, weil auf dem Berge,
auf welchem es aufgeführet ist, bis umb Pfing
sten mehrenteils Schnee lieget, auch außerdem
jederzeit eine große Kälte oben anzutreffen:
nahmen wir aufs neue Extrapost und fuhren
da hinaus. Das Gebäude stehet auf einem
gedoppelten übereinander liegenden Berge und
ist aus lauter großen gehauenen Steinen auf
geführet. Der oberste Turm stellet eine Pyra
mide für, auf welcher Herkules aus Erz ge
gossen und 32 Fuß lang ist, mit seiner großen
Keile stehet, wozu man über 842 Stufen steigen
muß. Von unten siehet diese Statua ganz
klein aus; man kann aber von der Größe
urteilen, daß dieselbe nicht klein sei, weil die
Keile inwendig so räumlich ist, daß 8—10 Per
sonen darinnen stehen und sitzen können. Bei
dem Fuß dieses Turnles oder Pyramide sind,
wiewohl in ungleicher Höhe, unterschiedene
Fontainen, deren die größte aus einem Riesen
kopfe das Wasser 42 Fuß hoch wirft. Dieses
Wasser fällt immediate in ein ziemlich groß
Bassin, und aus diesem, wenn es angefüllt,
läuft es erst vermittelst 12 zu beiden Seiten
übereinander und fast in die Runde umb ein
ander Bassin rangirte steinerne Stufen, der
gleichen bei denen Eascaden gewöhnlich ist, fer
ner über 48 ebendergleichen Stufen, die aber
in gerader Linie heruntergeleget sind, in den
untersten Reservoir, welcher nach Art der alten
Amphiteatrum, worinnen die Oartamina na-
valia gehalten wurden, gebauet ist, sodaß man
unten hart an dem Wasser herumspaziren, auch
sich dasselbe über den Kopf kann fortrauschen
lassen. In diesem bemeldeten Bassin zwischen
den 24 in die Runde rangirten Stufen ist eine
andere Fontaine, welche das Wasser über 24
größere Stufen, die zwischen den angeführten