Full text: Hessenland (37.1925)

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Manche Aufzeichnung mutet uns heute komisch 
oder doch ein bißchen lächerlich an, anderes ist 
auch heute noch von Interesse. Goethes Ita 
lienische Reise mag wohl in den späteren 
Zeiten des 18. Jahrhunderts oder im 19. Jahr 
hundert gelegentlich dem Schreiber als (uner 
reichtes) Vorbild vorgeschwebt Haben, aber die 
meisten Reisenden haben ohne Hintergedanken, 
nur aus wirklicher Freude an dem vielen 
Neuen und Unbekannten oder weil es eben 
Mode war, ihre Schreibereien gemacht, und 
auch ihnen müssen wir heute dankbar sein, denn 
der Zeitcharakter spricht sich, abgesehen von 
den Briefen, kaum in etwas so unverhüllt aus 
wie in diesen ungeschminkten Niederschriften, 
und kulturgeschichtlich recht merkwürdige Tat 
sachen wissen wir vielfach fast nur aus diesen 
gleichzeitigen Niederschriften. — Von den Rei 
sen eines dem hessischen Landgrafenhause nahe 
stehenden Jünglings, Philipp Wilhelm von 
Cornberg, in den Jahren 1569—1579 nach 
der Schweiz, Frankreich und^Italien sind wir 
gut unterrichtet 6 7 * 9 , die „Reisen eines pommer- 
schen Edelmanns durch Hessen vor 300 Jahren" 
hat Philipp Losch anschaulich nach Lupold 
von Wedels Tagebuch dargestellt? Von 
der Reise der Jeanette Philippine Le Clerc, 
geborenen Du Ry, durch Frankreich 1773 bis 
1775 erzählt recht interessant Otto Gerland? 
Auf einige Tagebücher des 18. Jahrhun 
derts, die sich auch mit unserer Gegend be 
schäftigen, möchte ich hier hinweisen. So finden 
wir in Björnstähls „Briefen auf seinen 
ausländischen Reisen" die Beschreibung einer 
Reise des Verfassers von Frankfurt nach Ha 
nau mit ganz ausführlichen Mitteilungen über 
die Stadt Hanau, besonders auch über seinen 
Empfang beim Erbprinzen Wilhelm, dem spä 
teren Kurfürsten Wilhelm I., und den Ein 
druck, den er von ihm und seinem Charakter 
gehabt hat. Eine sehr ausführliche und an 
schauliche Reisebeschreibnng einer 1730—1733 
unternommenen langen Reise, die den Schrei 
ber, den jungen Danziger Studenten Heinrich 
Z e r n e ck e, bis nach Holland führte, ist uns 
handschriftlich erhalten und auch zum Teil in 
der Geschichte der Familie Zernecke^ gedruckt. 
Die Abschnitte über Zerneckes Durchreise durch 
Hessen lasse ich hier folgen: 
6 Bgl. „Hessenland" 1912, S. 180 ff. 
7 „Hessenland" 1898, S. 126 ff. 
s „Hessenland" 1894 und 1895. 
9 W. F. H. Zern ecke, Geschichte der Familie Zer 
necke, Grandenz 1900. 
„Den 12. Septentbris (1733) umb 3 Uhr früh 
kamen wir im Dorfe W e st u f f e l an, allwo 
wir ein wenig ausruheten, um 7 Uhr aber 
fuhren wir weiter und kamen umb 10 am Vor 
mittage nach Cassel zum Müllertor herein. 
Wir traten ab im Gasthause, allwo, weil wir 
denselben Tag über zu verbleiben willens 
waren, wir uns ein Zimmer einräumen ließen. 
Nachdem wir uns nun umgekleidet und in et 
was refraichiret hatten, resolvirten wir uns 
einige der dasigen Merkwürdigkeiten zu be 
schauen. Weil nun unter selbigen das eine 
halbe Meile von der Stadt gelegene bewun 
derungswürdige Gebäude Carlsberg eines 
der vornehmsten war, von dem ehemaligen 
Landgrafen Carl als Stifter desselben also 
benamet, oder wie es auch sonsten genennet 
worden, W i n t e r k a st e n, weil auf dem Berge, 
auf welchem es aufgeführet ist, bis umb Pfing 
sten mehrenteils Schnee lieget, auch außerdem 
jederzeit eine große Kälte oben anzutreffen: 
nahmen wir aufs neue Extrapost und fuhren 
da hinaus. Das Gebäude stehet auf einem 
gedoppelten übereinander liegenden Berge und 
ist aus lauter großen gehauenen Steinen auf 
geführet. Der oberste Turm stellet eine Pyra 
mide für, auf welcher Herkules aus Erz ge 
gossen und 32 Fuß lang ist, mit seiner großen 
Keile stehet, wozu man über 842 Stufen steigen 
muß. Von unten siehet diese Statua ganz 
klein aus; man kann aber von der Größe 
urteilen, daß dieselbe nicht klein sei, weil die 
Keile inwendig so räumlich ist, daß 8—10 Per 
sonen darinnen stehen und sitzen können. Bei 
dem Fuß dieses Turnles oder Pyramide sind, 
wiewohl in ungleicher Höhe, unterschiedene 
Fontainen, deren die größte aus einem Riesen 
kopfe das Wasser 42 Fuß hoch wirft. Dieses 
Wasser fällt immediate in ein ziemlich groß 
Bassin, und aus diesem, wenn es angefüllt, 
läuft es erst vermittelst 12 zu beiden Seiten 
übereinander und fast in die Runde umb ein 
ander Bassin rangirte steinerne Stufen, der 
gleichen bei denen Eascaden gewöhnlich ist, fer 
ner über 48 ebendergleichen Stufen, die aber 
in gerader Linie heruntergeleget sind, in den 
untersten Reservoir, welcher nach Art der alten 
Amphiteatrum, worinnen die Oartamina na- 
valia gehalten wurden, gebauet ist, sodaß man 
unten hart an dem Wasser herumspaziren, auch 
sich dasselbe über den Kopf kann fortrauschen 
lassen. In diesem bemeldeten Bassin zwischen 
den 24 in die Runde rangirten Stufen ist eine 
andere Fontaine, welche das Wasser über 24 
größere Stufen, die zwischen den angeführten
	        
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