338
erheben sie sich oft an stark gefährdeten Außen
posten. So haben die Grasen von Ziegenhain
Gemünden, Rauschenberg und Staufenberg ge
baut.
Die wesentlichen Merkmale einer Stadt,sind
die Umwallnng und der Markt. Die Lage
Kirchhains war für eine starke Befestigung
äußerst günstig. So sehen wir auf den alten
Stichen die stolze Stadt mit Mauern und
Türmen bewehrt: die Steigerspforte nach Mar
burg zu, die Brießelspforte nach Rauschenberg
zu, die Bornpforte nach Langenstein zu und
die Mühlenpsorte, wo der Fußweg zur Brücker
mühle hinaus geht. Innerhalb der Mauer
liegen die vier Stadtquartiere: das Ober-,
Steiger-, Mühlen- und Hofacker-Biertel zwischen
Marktplatz und Borntor. Ein Stadtplan aus
dem Jahre 1724 zeigt noch den unversehrten
Mauerring, von dem heute nur noch ein Stück
zu beiden Seiten des Hexenturms steht.
Die neue Stadt loar nicht nur Festung, sie
war auch Markt, wo hinter den schützenden
Mauern das Landvolk seine Erzeugnisse an
bieten konnte und fremde Waren durch Händ
ler feilgehalten wurden. Wie gering der Markt
verkehr geblieben ist, beweist schon die Tat
sache, daß die Stadt sich bis in die neueste Zeit
kaum ausgedehnt hat, und daß verhältnis
mäßig spät Gewerbetreibende und Zünfte nach
weisbar sind. Als die Stadtmauern der Land
bevölkerung ihre Pforten öffneten, zogen in
den ersten Jahrzehnten gewiß zahlreiche Bauern
als freie Bürger ein. So erklärt sich, daß die
benachbarten Siedlungen seit dem Anfang des
15. Jahrhunderts als wüst bezeichnet werden,
wie Beuern, Bechtmannshausen, Boppenhausen,
Buchain, Gebichendorf, Leiderstadt, Raden
hausen und Oberhain. Ihre Namen leben z. T.
noch in Familiennamen fort. Auch weiter her
kam Zuzug. Ein Waldschmied aus Lehrbach,
ein Kirchhainer Bürger, war 1373 länger als
drei Jahre nicht in der Stadt gewesen. Er hat
wohl anderwärts Absatz für seine Schmiede
arbeiten gesunden. Mainz sorgte schon dafür,
daß die Bürgerschaft in Kirchhain nicht allzu
mächtig wurde. In dem Schiedsspruch, den
Erzbischof Friedrich von Köln am 18. Sep
tember 1385 zwischen Mainz und Hessen fällte,
heißt es, der Landgraf solle niemand in Kirch
hain aufnehmen, er sei Pfaffe, Laie, Burg
mann, Bürger oder Jude, die in Amöneburg
gesessen sind oder zu dem Berge gehören; selbst
wenn sich einer in der Stadt schon nieder
gelassen habe, dürfe er nicht länger verweilen.
Über die B e r f a s s u n g der Stadt im Mittel
alter erfahren wir aus Urkunden wenig, wir
müssen daher vergleichsweise die Zustände in
anderen oberhessischen Städten heranziehen
oder aus späteren Nachrichten Rückschlüsse
ziehen. An der Spitze der Stadtverwaltung
stand ursprünglich der Amtmann oder
S ch u l t h e i ß als Richter der Schöffen,
die aus den Geschlechtern auf Lebenszeit ge--
wählt wurden. Im Laufe des 13. Jahrhun
derts wurde der Schultheiß auf seine richterliche
Tätigkeit beschränkt und für die Verwaltung
ein Bürgermeister gewählt. Am Nen-
jahrstag pflegte die Bürgerschaft durch Glocken
schlag aufs Rathaus gerufen zu werden. Dort
gab jeder vor dem Schultheißen und Stadt
schreiber seine Stimme ab und wählte aus den
acht Schöffen oder Ratsherren den Bürger
meister. Das vom Schultheißen und den acht
Schöffen besetzte Stadtgericht hielt jährlich drei
ungebotene Dinge ab, von denen an die Kanz
lei nach Marburg als höhere Instanz appelliert
werden konnte. Alle peinlichen, d. h. Kriminal
sachen wurden in Marburg abgeurteilt. Nuu
verlangte die Gemeinde, die Zunftange
hörigen, Anteil an der Verwaltung. Unter
Landgraf Hermann II. nahmen die Vierer
als Vertreter der Zünfte an den Ratssitzungen
teil. Für Kirchhain sind sie erst im 15. Jahr
hundert bezeugt. Sie verteilten unter sich die
Ämter des Unterbürgermeisters, Kämmerers,
Weinmeisters, Bedeerhebers und Fruchtherrn,
doch ist diese Ämterteilung und doppelte Be
setzung erst jüngeren Datums. Eine wichtige
Persönlichkeit war der Stadtschreiber, weil er
allein von diesen Beamten in der Regel aus
Lebenszeit Angestellt war und infolgedessen eine
gewisse Stetigkeit verkörperte. Um ihn hatten
zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Schöffen
mit den Vierern heftige Auseinandersetzungen,
so daß der Ruf des Städtchens (Flecken)
Schaden nahm. 1524 stritten sich Bürger
meister, Rat und Vierer mit der Gemeinde
wegen Erhebung der landesherrlichen Bede.
Bei dieser Gelegenheit wurde der Gemeinde
eingeschärft, dem Rat gehorsam zu sein, sich
aller Versammlungen, Empörungen und des
Aufruhrs zu enthalten. Diese auch anderwärts
damals zu beobachtende Unruhe und Unzu
friedenheit sind ein Kennzeichen für die Jahre
der Gärung vor der Reformation und dem
Ausbruch des Bauernkrieges.
Ein Wort über die Kirchhainer Zünfte ist
hier bei der Stadtverfassung am Platze, wenn
auch ihre Blüte, sofern man überhaupt davon
reden kann, erst der späteren Zeit angehört.