Full text: Hessenland (37.1925)

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fahrene Kenner irregeführt werden. Auch das ver 
hältnismäßig seltene Braunkehlchen ist in den Fulda 
wiesen jährlich in mehreren Paaren anzutreffen. 
Doch zurück -zum Aupark! Wir hören noch den 
lieben Gesang des Hänflings aus den Obstbäumen 
der Gärten, das Schwirren der Girlitze in den 
Baumkronen und sehen den grauen Fliegenschnäpper 
seine Jagd aus fliegende Insekten betreiben. Sein 
nächster Vetter, der Trauerfliegenschnäpper, wird in 
beit letzten Jahren immer zahlreicher beobachtet. 
Er und der Girlitz verbreiten sich in Deutschland 
immer mehr nach Nordwesten. Ebenso scheint in 
unserer Gegend der Wendehals häufiger vorzu 
kommen. Er ist durch seine Stimme, ein lautes 
„gückgäckgück" leicht festzustellen. Daß das grün- 
süßige Teichhuhn (das Wasserhühnchen) in den 
Teichen der Au nicht fehlt, ist selbstverständlich, 
ebensowenig die Hohltaube in den hohen Tannen. 
Der rotrückige Würger ist, wenn auch nicht häufig, 
doch jährlich als Brutvogel zu finden. Als höchst 
seltener Gast luurbe hin und wieder für kurze Zeit 
der Pirol (auch Goldamsel genannt) festgestellt, 
allerdings nur durch seinen wundervoll klingenden 
Ruf. Zu sehen war er nicht, da er sich stets in den 
höchsten Kronen der Bäume aufhält. 
Das sind nun die nach eigener Beobachtung fest- 
Das Hengster. 
Eines der botanisch und faunistisch interessan 
testen Gebiete Mitteldeutschlands ist wohl das aus 
gedehnte Gelände, das sich südlich der Straße 
Bieber — Lämmerspiel - Hausen bis über Heusen 
stamm—Weißkirchen hin erstreckt, und das in der 
wissenschaftlichen Welt unter dem Namen „Heng 
st e r " oder „ H e n g st e r m 0 0 r " bekannt ist und 
als Fundort seltener Pflanzenarten einen ganz 
hervorragenden Namen genießt. Schon vor länger 
als hundert Jahren sind dorthin die hervorragend 
sten Botaniker und Floristen unseres Vaterlandes 
gewandert, als man von Eisenbahnen und modernen 
Verkehrsmitteln noch nichts wußte, als man aus 
die Füße angewiesen war, dafür aber in engerer 
Fühlung zur Natur mit ihren Pflanzenwundern 
stand. 
Der Hengster selbst stellte zur Diluvialzeit jeden 
falls ursprünglich einen Arm vom Main vor, der 
wohl ungefähr in der Richtung Seligenstadt—Bürgel 
geflossen ist, später aber versandete und nur das 
Mittelgelände mit ausgedehnten Altwässern und see 
artigen Wasserflächen übrig ließ. Ter leider lange 
trocken gelegte Entensee bei Bürgel gehörte ursprüng 
lich mit zu diesem Wasserarm. Nach und nach er 
oberte die Pflanzenwelt diese Altwässer und füllte 
sie zu einer Tundra aus, »nährend später der Blätter 
fall aus dem entstandenen Eichen-Buchen-Urwalde 
bei der Ausfüllung geholfen haben mag. Es ent 
standen aus diese Weise Schwingmoore, die sich all 
mählich zu echten Hochmooren entwickelten. Eine 
Fülle von botanischen Raritäten konnte sich dort er 
halten, die alle aufzuzählen hier nicht der Platz ist. 
gestellten Vogelarten, die den schönen Aupark so 
herrlich beleben, immerhin eine stattliche Anzahl. 
Die Vogelkenner werden aber sagen: „Das sind ja 
alles „olle Kamellen", ivas der da schreibt." Für 
die Kenner soll es aber gar nicht geschrieben sein, 
sondern für die Freunde der Au, die sich unter 
richten »vollen. Außerdem wird man sagen: „Ja, 
aber ein Vogel ist doch vergessen, um dessenwillen 
alle Kasselaner „einmal" im schönen Monat Mai in 
die Au wandern, um ihn zu hören und sich an 
seinem herrlichen Lied zu erfreuen — die Nachtigall. 
Ja, „Nachtigall, Nachtigall, wie sangst du so 
schön —", als es nämlich noch welche gab in der 
Au zu Kassel. Hat aber einer im letzten Jahr eine 
Nachtigall in der Au schlagen hören? Es ist eine 
betrübende Frage, auf die die Auverwaltung nur 
eine betrübende Antwort geben kann. Man hätte 
das Buschwerk am Ausgang der Au nicht abschlagen 
sollen. In den zu engen Vogelgehölzen ist kein 
Raum für Nachtigallen. Sie wollen Bewegungs 
freiheit haben, d. h. dichtes Buschwerk mit altem 
Laubbelag des Bodens. Vielleicht entschließt sich die 
Auverwaltung, entlang des Wassergrabens wieder 
mehr Buschwerk zu pflanzen, dann »verden hoffent 
lich auch die Nachtigallen wieder bei uns einkehren. 
G g. Z i nl m e r. 
Tie Botaniker Frankfurts, Hanaus und Offenbachs 
sorgten dafür, daß das „Hengster" immer bekannter 
wurde, weshalb auch berühmte Leute kamen, um die 
Flora an Ort und Stelle zu untersuchen. Wünsche, 
Gerke, Eichler, Wigand, um nur einige zu nennen, 
weilten zu verschiedenen Zeiten hier. Wer die Namen 
von Botanikern, die im Gelände des Hengsters ge 
sammelt haben, wissen will, der braucht nur in das 
Fremdenbuch auf dem „Neuen Wirtshause" zu schau 
en, das vielleicht dort noch vorhanden ist, oder in 
den deutschen Floren zu blättern, um bei vielen 
Seltenheiten als Fundort das „Hengster" verzeichnet 
zu finden. Jedenfalls stellt das Hengster eine Land 
schaft vor, auf der Seltenheiten der deutschen Flora 
so zusamniengedrängt vorkommen, wie das kaum 
an einem anderen Platze Deutschlands der Fäll sein 
dürfte. Es handelt sich also im .Hengster um ein 
Naturdenkmal ersten Ranges, das zu schützen Staat, 
Gemeinde und die naturwissenschaftlichen Vereine 
der Umgebung alle Ursache haben. Man hatte ja 
auch dem Vernehmen nach das ganze Gelände als 
Naturschutzgebiet erklärt. Jahrtausendelang hat sich 
diese eigentümliche Pflanzengenossenschaft hier in 
dieser früher glücklicherweise ziemlich abgelegenen 
Gegend erhalten. Soll das plötzlich anders werden? 
Soll dort die Verständnislosigkeit für Jdealgüter den 
Sieg davontragen? Oder soll Gedankenlosigkeit diese 
Flora und die von ihr abhängige eigentümliche 
Fauna vernichten? Man sollte es nicht für möglich 
halten! Es laufen in der letzten Zeit erschütternde 
Klagen aus dem Gebiete ein, denn man scheint das 
so wie so schon ans anderen, inneren Gründen kleiner
	        

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