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sinn, der Leitnant von de Rossen wunn sä sinn —
enn Schwinnehund sinn sä mit samt ehren Rossend"
Die Familie Gottliebs vergrößerte sich reichlich —
die Alte mußte dabei kräftig im Haushalt helfen.
Dadurch gab es Differenzen mit der Schwieger
tochter. Die Alte pflegte dann wohl zu schimpfen:
„Das Mensche es uff das Kinnerwerk wie der Gull
uff den Hawwerkasten." Noch in lebhafter Erinne
rung ist mir die Tätigkeit der alten Frau beim An
bringen von Ohrringen für die Enkel. Die schmerz
hafte Operation des Durchstichs des Ohrläppchens
wurde von ihr auf offener Straße, gewöhnlich an
mehreren Kindern zu gleicher Zeit vollzogen. Das
vereinfachte das Geschäft und verstärkte das Weh-
geschrei, der armen Opfer; das Instrument, das sie
benutzte, wurde auch noch für andere Zwecke ge
braucht. Bei uns an der Mittagstafel hieß es dann,
„die Alte sticht wieder Ohrlöcher".
Freund Andreas entfaltete bei uns besonders zur
Weihnachtszeit eine stets unvergeßliche Tätigkeit,
wenn es galt, den Christbaum auszuputzen. Er hatte
ein ausgesprochenes Talent, mit geringen Äiitteln
hier Tüchtiges zu leisten. Was ich von ihm auf
diesem Gebiete in früher Jugend gelernt, ist meinen
Kindern zugute gekommen, denen ich stets einen
schönen Baum mit Christgarten hergerichtet habe.
Christbaumschmuck, wie er heute in so mannigfal
tigen Formen und Farben leicht zu haben ist,
existierte damals noch nicht. Man half sich mit ver
goldeten Nüssen, buntem Papier und Äpfeln. An
dreas aber sah seine Hauptaufgabe unter dem Baum
den Hirt und die Herde darzustellen, denen nach der
Schrift der Stern im Morgenlande aufgegangen.
Schafe wurden hierbei bevorzugt, die Rohmaterialien
für ihre Herstellung waren weißer Ton, Baumwolle,
Streichhölzer für die Beine und kleine schwarze und
rote Perlen für die Augen. Zum Färben der Wolle
diente schwarze und rote Tinte. So wurde wochen
lang Abend für Abend gearbeitet, bis das herrliche
Fest herangekommen war. Niemals fehlte Freund
Andreas bei der Bescherung und empfing außer den
üblichen Nüssen und Honigkuchen anerkennende Worte
für seine Tätigkeit.
Außer der Schmiede waren uns rechts und links
benachbart der Rabbiner sowie ein Färber und
Kirchenältester. Der Rabbiner hatte sehr viel Kinder,
der Färber aber nur zwei alte häßliche und sehr neu
gierige Schwestern, Minchen und Sophiechen, bei
sich wohnen. Schade, daß es mir unmöglich ist,
zum besten zu geben, wie Freund Andreas deren
Neugierde mal befriedigt hat. Ich tröste mich damit,
daß es für Witzenhäuser überflüssig, weil die Ge
schichte auch heute noch bekannt genug sein dürfte.
Natürlich kamen bei soviel Menschen auch Streitig
keiten vor, und oft wurden Andreas und ich in der
Schule angeklagt, schlechte Streiche gemacht zuhaben.
Wenn diese Klagen ausnahmsweise mal unberechtigt
waren, so schwuren wir Rache und führten sie auch
aus — doch darüber soll nicht weiter berichtet wer
den. Den „Färber" nannten die Leute mit dem
Spitznamen „Napoleon". Wie er dazu gekommen,
ist mir heute noch ein Rätsel, denn äußerlich war
er dem großen Korsen so unähnlich wie möglich,
weil er einen schwarzen Vollbart trug. Über Ähn
lichkeit auf anderen Gebieten habe ich nie etwas
gehört.
Uns gegenüber gehörte durch die nahe Nachbar
schaft zu dem engsten Bekanntenkreis auch ein braver
jüdischer Schuster, der durch seine ehrliche Geschäfts
führung und durch seinen prächtigen Humor so be
kannt war und wohl noch ist, daß es überflüssig ist,
seinen Namen zu nennen. Von unserer Wohnung
konnte ich die seinige ganz genau übersehen, nament
lich seine Schusterwerkstatt. Gardinen waren nicht vor-'
Handen. In dem Zimmer stand eine erhöhte Pritsche,
darauf der Tisch, ferner ein altes Klavier mit
schwarzen Unter- und weißen Obertasten. Besonders
die mit Wasser gefüllte Glaskugel, durch die die
Lichtstrahlen konzentrisch zur kräftigen Beleuchtung
einer einzelnen Stelle zusammengeführt wurden, er
regte abends, ähnlich wie das Schmiedefeuer, meine
Aufmerksamkeit. Pritsche, Tisch, Klavier und Fuß
boden lagen dicht bedeckt mit reparaturbedürftigen:
Schuhwerk aller Art — „mein Museum klassischer
Altertümer" nannte es der Schuster. Freitag abend
wurde die Schabbes-Lampe angezündet, am folgen
den Tag nicht gearbeitet. Der Schuster sah,' wenn es
gutes Wetter war, meist im Festtagskleid zum Fenster
heraus und ließ die rechte Hand, die mit einem
großen Siegelring mit Amethyst geziert war, herab
hängen. Wir waren seine guten Kunden, ich deshalb
oft in seiner Werkstatt. Mit seiner Gattin, die ge
rade keine Schönheit war, gab es oft Differenzen.
Er pflegte dann auf ihre Beschwerde, daß sie bei ihm
keine gute Stunde mehr habe, zu erwidern: „Geh
von hier nach Hundelshausen, da hast du 'ne gute
Stunde hin und zurück."
Auf der Seite des Schusters wohnte noch ein
Nachbar, der zusammen mit dem Färber als der
Wetterkundige der Entengasse galt. Wenn der Him
mel ein ernstes Gesicht machte und drohende Wolken
zeigte, dann rief der Färber hinüber zum Nach
barn, nach dem Himmel sehend: „Herr Nachbar, was
meinen Sie denn vom Wetter?" Dieser aber ent-
gegnete schlagfertig: „Das well ich en sprechen, Herr
Nachbar, entweder mä kriegen's oder 's verziett sich."
(Schluß folgt.)
Älb Märchen von Else Groß, Salzburg.
Es war einmal ein König, der hatte eine ten sich wie Sonnenstrahlen. Das Herrlichste
wunderschöne Harfe. Sie trug kühne Orna- aber an ihr war, daß eine Seele in ihr lebte,
mente an der Stirne, und ihre Saiten spann- eine goldene, treue Seele.