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was er tun solle. Er war weder unglücklich noch
niedergeschlagen, hatte er doch einen starken Willen
und das Gefühl seiner gesunden Kraft. Plötzlich kam
ihm der Gedanke an den Geber des Bildes — kurz
entschlossen schlug er den Weg zu ihm ein.
* * *
Drei Tage nach dem Umzug war alles wieder in
guter Ordnung. Die Mutter des Studenten ver
mißte nur eins: Das Abendmahl in einer hessischen
Dorfkirche.
„Wo hast du das Bild von Bantzer?" fragte sie.
Ta erzählte der Student von dem jungen Arbeiter
und gestand, daß er sich Vorwürfe über seine Halb
heit mache. „Ich hätte mir seinen Namen sagen
lassen sollen. Ich gab ihm ein Bild und wußte, daß
er nicht einmal eine Wand hatte, um es aufzu
hängen !"
„Ja, du gabst ohne Sinn und Verstand!"
„Ich erfuhr von unserem Spediteur, daß er seine
Arbeit aufgegeben hat."
„Warum mag er das getan haben?"
Das sollte der Student bald erfahren. Denn
Bräuer suchte ihn auf, erzählte ihm treuherzig, wer
ihm sein Bild aufbewahre, bis er selber über einen
Platz verfüge — an einer guten Wand.
Auch daß es Fräulein Babette über ihr Bett ge
hangen habe, verschwieg er nicht.
„Wir wollen Ihnen gern helfen, Herr Bräuer",
sagte die Mutter des Studenten. „Was können Sie
leisten?"
Bräuer besah seine Hände, streckte sie aus und
ballte sie wieder zu Fäusten. „Ich kann arbeiten."
Es machte der Mutter des Studenten keine große
Mühe, ihn als Arbeiter auf einem jener wenigen
Güter am Rande der Großstadt unterzubringen, die
der Bauspekulation noch nicht zum Opfer gefallen
waren. Er wurde dort zweiter Kutscher und hatte
eine Kammer mit einem guten Bett. Aber es war
seiner Ansicht nach noch nicht die Wand vorhanden,
an die er ein Bild hängen mochte, und noch nicht
der Raum, in den er Fräulein Babette führen
konnte, darum ließ er so viel Zeit verstreichen, ehe
er seinen Freund August aufsuchte.
Das Bild war in seinen Gedanken an eine zweite
Stelle gerückt. Er dachte mehr an Fräulein Babette.
Wenigstens waren diese beiden — das Bild und
sie — unzertrennlich voneinander. Und wenn er
ganz aufrichtig gegen sich sein wollte, mußte er ge
stehen, daß als drittes eine kleine saubere Woh
nung — so ähnlich wie die von Frau Zibulska —
mit einem Blick aus alte grüne Bäume dazu gehöre.
Blumenbretter mußten an den Fenstern sein, und
neben dem Kachelofen stand ein Sofa — davor ein
Tisch — darüber eine Hängelampe mit einem Schinn
aus rosa Seidenpapier — dann eine Kommode, und
über dieser hing sein Bild. Ja — Wilhelm Bräuer
konnte Pläne'spinnen, wenn er mit seinen Gäulen
auf den Acker fuhr... Oder wenn er Sonntags
draußen vor dem Tor in der kleinen Kneipe ein- .
Wihenhausen. Gotisches Haus von 1480.
Aufnahme von Heinrich Huhn-Witzenhausen.
kehrte, in dem altfränkischen „Märkischen Krug",
der so sonderbar gegen die hohen Mietskasernen ab
stach.
Nahe an diesem Krug lag ein Birkenwäldchen
und dahinter ein Friedhof.
Wieder saß Bräuer einmal hinter den: Wirtshaus
fenster tlnd sah viel Leute vorübergehen, die Kränze
und Blumen nach dem Friedhof trugen und gestor
benen Hoffnungen nachtrauerten. Da kam ihm ganz
zum Bewußtsein, daß er im Gegensatz zu jenen von
einer hellen sonnigen Zukunft träume.
Auf der Straße ging auch eine junge Frau in
Trauerkleidern. Sie trug ein kleines grünes Tannen
bäumchen — ein Adventsbäumchen — im Arm.
Das Bäumchen ließ eine Erinnerung in ihm
wachwerden. Er schlug sich mit der flachen Hand
vor die Stirn. War er nicht Frau Zibulska — nein,
Fräulein Babette Dank schuldig für die Gastfreund
schaft an jenem Abend?
Er würde ihr einen Adventsreifen winden, aus
Tannengrün mit Lichtern, und ihn selbst hin
tragen — nächsten Sonntag, als am zweiten Advent!
Und Fräulein Babette würde er erzählen, daß er