Full text: Hessenland (37.1925)

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recht versehene Ansiedelung befand, da 1243 eine Kapelle 
und 1261 ein Pleban (Pfarrer) erwähnt wird." 
Die Ziegenhainer Salatkirmes bot auch 
in diesem Jahre wieder ein buntbewegtes Bild, verliert 
aber, mit der Zeit an Anziehungskraft, was im Interesse 
dieser alten, weitberühmten Volkssitte recht zu bedauern 
ist. Über die Entstehung des Namens berichtet die „Hers 
felder Zeitung": Altem Herkommen gemäß waren die 
Bewohner der Umgegend im Jahre 1728 zur Kirmes 
nach Ziegenhain gewandert, die damals schon wie heute 
noch 14 Tage nach Pfingsten stattfand. Der Tag ge 
hörte den Schwälmern, abends sollte immer das Brau 
haus für die Ziegenhainer Jugend geöffnet sein. — Dies 
mal war noch etwas Besonderes mit der Kirmes ver 
bunden. Der Landgraf Karl hatte nämlich seit langer 
Zeit in Liebenau Anbauversuche mit der Kartoffel machen 
und seit einiger Zeit die hiesigen Festungsgelände damit 
bepflanzen lassen. Die Schwälmer wollten von dieser 
Neuerung nichts wissen, zumal es im fruchtbaren 
Schwalmtal an sandigem Boden zu dem Anbau fehlte. 
Sie waren nun eingeladen, Kartoffeln zu kosten, die auf 
allen möglichen Böden gewachsen waren, und deshalb 
>var der Kirmesbesuch ein außerordentlicher. Die 'Gäste 
saßen an langen Tischen. Zuerst kam Wurst mit Pell 
kartoffeln und Meerrettich. Da stellten sich die Leute 
unbeholfen beim Schälen an, denn die Kartoffeln waren 
heiß. Dann gab es Salzkartofseln mit Lattichsalat uno 
saurer Milch. Da griffen die Gäste fest zu und konnten 
sich nicht genug wundern. Schließlich waren alle für 
Aus Fritzlars Zubeltagen. 
Die allgemeine Befürchtung, daß das 13. Bundes 
schießen in Kassel die Teilnahme an der Zwölshundcrt- 
jahrfeier Fritzlars beeinträchtigen würde, erwies sich als 
unbegründet. Schon in der Frühe des Sonntags gab es 
keine Festabzeichen mehr. Jeder Bahnzug brachte neue 
Scharen, die über die von einem Heer von hessischen 
und blauweißen Stadtfarben umflatterte Edderbrücke in 
das wie eine jugendfrische Braut geschmückte hochgebaute 
Städtchen fluteten. Schon wenn Fritzlar weiter nichts 
geboten hätte als seine lieben alten und doch wieder 
so schmuck aufgefrischten, durch Waldesgrüu und wogende 
Fahnen fast verdeckten Häuser in den malerischen krummen 
Gassen und Gäßchen, das alles überstrahlt von goldenem 
Sonnenschein, hätte sich das Kommen reichlich gelohnt. 
Den Beginn des Festes brachte die Begrüßungsfeier 
am Sonnabend auf dem Marktplatz, Wecken und Fest 
gottesdienst den Auftakt des Sonntags. Um 10 Uhr 
begann der Festakt in der Exerzierhalle, in dessen Mittel 
punkt die Festrede des Domdechanten Prälaten Msgre. 
Je städt stand. In einer prächtigen, so ganz und gar 
nicht programmäßigen Rede gab er in großen geschicht 
lichen Zügen ein Bild der Entwickelung Fritzlars, an 
dessen Schwelle Bonifatius, Karl der Große und Hein 
rich I. stehen, dieselben, die auch an der Schwelle des 
Deutschen Reiches standen, des Reiches, dessen Sinnbilo 
die Edderstadt allezeit gewesen ist, denn ihre Leidens 
geschichte war auch diejenige Deutschlands; aber beide 
sehen heute zuversichtlich und ungebrochenen Mutes in 
die Zukunft. Noch stand die zahlreiche Versammlung im 
Banne dieser schlichten und doch so packenden, gedanken 
reichen Worte, da betrat der Rektor der Landesuniversität 
Marburg Prof. Oe. Bornhäuser im Ornat das 
Podium, um dem sichtlich überraschten Redner als dem 
„Sammler und Erhalter der Kunstschätze von Stadt und 
Kreis Fritzlar, dem Hüter des Domes und Freund der 
Wissenschaften" das Diplom der Ernennung zum Ehren 
den Kartoffelbau gewonnen, aber nicht allein der Kar 
toffel halber, sondern noch mehr wegen der schmackhaften 
Verwendung des Lattichs, der bisher nur als Heilmittel 
für das Vieh gebraucht wurde und hin und wieder in den 
Gärten der Apotheken zu finden war. Deshalb heißt die 
Ziegenhainer Kirmes bis auf den heutigen Tag Lattich- 
oder Salatkirmes. 
Das Schicksal einer Geige Spohrs. Mit 
dem Nachlaß des ehemaligen Hofkonzertmeisters Kömpcl 
vom Hoftheater zu Weimar, des Schülers von L. Spohr, 
kam dessen berühmte Stradivarigeige durch letztwillige 
Verfügung in den Besitz der Thüringer Blmdenwerk- 
stätten in Weimar und damit in das Eigentum des 
Landes Thüringen. Von den Erben Spohrs war jedoch 
Klage auf Herausgabe des kostbaren Instrumentes er 
hoben worden, weil in dem Testament die Klausel ent 
halten war, daß die Geige den Spohrschen Erben zum 
Rückkauf anzubieten sei, wenn sie veräußert werden 
würde. Jahrelang liefen die Prozesse, bis in diesem 
Frühjahr das Oberlandesgericht zu Jena, nachdem die 
Erben Spohrs einen vom Lande Thüringen angebotenen 
Vergleich ausgeschlagen hatten, zugunsten des Staates 
entschied. Daraufhin legten die Kläger Berufung beim 
Reichsgericht ein, die jedoch vor kurzem wieder zurück 
gezogen wurde. Damit ist die Spohrgeige endgültig in 
den Besitz des Landes Thüringen übergegangen. Sie ist 
in pietätvoller Erinnerung an Kömpel wieder dem ersten 
Konzertmeister am Deutschen Nationaltheater in Weimar, 
Professor Reitz, zu treuen Händen übergeben worden. 
doktor zu überreichen. Das freudige Staunen der Ver 
sammlung über die Ehrung des hochgeschätzten Forschers 
löste sich in spontanen Jubel auf. Dem durch musikalische 
Darbietungen umrahmten Festakt wohnten zahlreiche Ver 
treter der Behörden bei, denen noch besonders gedankt sei, 
daß sie dessen eindrucksvolle Wirkung nicht durch endlose 
Reden abschwächten. Nicht ganz leicht war es, hierauf in 
den Gasthäusern Unterkunft zu finden. Schon wogte eine 
kaum zu zählende Menge in Erwartung des Festzuges 
durch die Straßen. Und dieser kulturhistorische Festzug. 
für dessen mühevolle künstlerische Leitung Professor Saut- 
ter und Kunstmaler Lewerenz-Kassel zeichneten, war, mit 
es gleich vorweg zu sagen, über alles Lob erhaben. Über 
zeugend echt der Jagdzug der Chatten, nicht minder 
Bonifatius mit seinen Mönchen (bis auf einige, die 
unbedingt ihre langen Hosen unter den Kutten zeigen zu 
müssen glaubten). Wie Heinrich der Finkler 910 hoch 
zu Roß in Fritzlar einzog und dann mit seiner vor 
nehmen Gefolgschar Kaiser Otto I., das muß damals 
genau ebenso inmitten dieser prächtigen alten Fachwerk 
häuser ausgesehen haben, so das; man jegliche Illusionen 
zu Hause lassen konnte. Auf stolzen Pferden reitet der 
deutsche Ritterorden vorüber. Ihm folgt die schmucke 
Schützengilde, und dann schreiten in farbenfrohen Bil 
dern die friedlichen Zünfte — es waren wundervolle 
Charakterköpfe darunter — einher. Krieg und Kriegs 
geschrei kündeten die Gruppe Tilly und Piccolomini, und 
dann folgte das liebliche Idyll eines Rokoko-Hochzeits- 
zuges, an dem man sich nicht satt sehen konnte. Historische 
Uniformgruppen bildeten den Beschluß, hessische Husaren 
von 1813, Bürgergarde von 1848 und zuletzt Fritzlarer 
Artillerie aus der Bor- und Nachkriegszeit. Die enge 
Begrenztheit des Städtchens gab die Möglichkeit, vor 
immer wieder neuen Staffagen diese Bilder aus der 
deutschen Vergangenheit an sich vorüberwandeln zu sehen. 
Recht geschickt hatte man die Einzelgruppen durch weiß
	        

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