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Die Entstehung der Städte im hessischen Diemelland. Von F. Pfaff.
(Schluß.)
Karlshafen, die jüngste Stadt des Gebietes,
ist von den älteren Städten nach Zweck und
Wesen völlig verschieden. Sie ist nicht als
Feste zur Sicherung oder Erweiterung des
Territoriums gebaut, sondern für die Zwecke
friedlichen Verkehrs, sie wurde nicht mit hei
mischen Bauern besiedelt, sondern mit Ro
manen, die aus der Heimat vertrieben waren,
in ihr spielte nicht der Ackerbau die Hauptrolle,
sondern nach dem Willen des Gründers Ge
werbe und Handel. Der Landgraf Karl von
Hessen siedelte im Jahre 1699 eingewanderte
Hugenotten und Waldenser in dem sumpfigen
und bruchigen Winkel zwischen der Weser und
der Diemel an, wobei er ihnen, wie einst seine
Vorfahren den Bauern, Vorrechte und Frei
heiten zusagte. Nicht immer war die Gegend
unbewohnt gewesen. Hier lagen einst die Dörf-
lein Gotlovessen und Seborg (Sieburg), das
eine eigene Kirche hatte. Als man die Fun
damente der Stadt legte, stieß man auf ein
Urnenfeld, das man nach dem Brauch der
Zeit den Römern zuschrieb, ohne sich um die
Erhaltung und Sammlung der Gefäße zu be
mühen. Es ist auffallend, daß auch in dem
Winkel zwischen der Diemel und der Esse im
Jahre 1847 beim Bau der Eisenbahn ein
solches Feld angeschnitten wurde. Es wurde
nur zum geringen Teil aufgedeckt, und wenige
Fundstücke sind erhalten worden.
Die Stadt, in die bald auch Deutsche ein
wanderten, entwickelte sich zunächst langsam,
und auch später blieben Stockungen und Rück
schläge nicht aus, so besonders zur Zeit der
Kontinentalsperre und des Königreichs West
falen. Der Plan Karls, die Diemel schiffbar
zu machen intb im Essetal einen Kanal anzu
legen, um dem Handel eine neue Bahn zu er
öffnen, blieb in den Anfängen stecken und
wurde nach seinem Tode ausgegeben. Erst seit
die Stadt gute Bahnverbindung erhielt und die
Weserschiffahrt auflebte, zugleich auch eine
nicht unbedeutende Industrie sich entwickelte und
der Fremdenverkehr gehoben wurde, machte sie
größere Fortschritte.
Das der Stadt verliehene Wappen stellt eine
Felsenburg dar, über der auf einem Band der
bis zum Jahre 1716 gebrauchte Name Sieburg
steht. So hieß der Nordkopf des Reinhards
waldes, ehemals ein königlicher Bannsorst, der
über der Stadt ansteigt. Heute noch führt er
diesen Namen, und die Sage versetzt dahin eine
alte Bergfeste. Doch finden sich von ihr keine
Spuren, dagegen schließt eine Grabenlinie, der
Hünengraben, den Kopf gegen Süden ab.
Stephan Winterberg, der Lobredner seiner
erst eben entstandenen Vaterstadt, rühmt beson
ders an ihr, daß die Häuser in ihr nach bel
gischer Art dicht aneinander gebaut seien, man
könne die Stadt für ein einziges Haus halten,
wenn nicht die Eingänge wären. Man wird
das freilich kaum für ein' Lob halten dürfen.
Hingegen ist für die älteren Städte die Ge
räumigkeit der Anlage charakteristisch. Wenn
der niedersächsische Bauer es liebte, gesondert
zu wohnen, so hinderte ihn als Bürger daran
der Manerring, aber getrennt von den Nach
barn wollte er hausen, und so blieb auch in
den Städten, in denen auch heute noch das
niedersächsische Bauernhaus die bauliche Grund
schicht bildet, viel unbebauter Raum.
Erweiterung der Herrschaftsrechte und Ver
mehrung des Eigenbesitzes bilden die Angel
punkte, um die die Politik der Fürsten, der
werdenden und gewordenen Territorialherren,
vom 13. bis zum 16. -Jahrhundert sich bewegte.
Überragend ist von alters her die Stellung des
Erzstifts Mainz, aber sie beruhte viel mehr aus
dem Recht der Oberhoheit als auf Eigenbesitz,
auch der Landgraf muß seine Städte Wolf
hagen, Zierenberg, Grebenstein und Jmmen-
hausen von ihm zu Lehen nehmen. Indes be
gann der Lehensverband, gerade bezüglich der
großen Lehen, sich schon zu lockern. Das Ziel,
das der Landgraf sich gesetzt hatte, sein wenig
umfangreiches und unfertiges Gebiet abzurun
den, hat er mit bewundernswerter Tatkraft,
mit Konsequenz und auch mit Glück verfolgt, so
daß es ihm schon gelang, im Diemeltale festen
Fuß zu fassen, dessen Nordrand auch für seine
Nachfolger das Endziel bildete.
Die Städte wurden gegründet, um die Politik
der Territorialherren zu fördern, und das ent
scheidende Moment bei ihrer Entstehung ist der
Mauerbau, an den sich öfters ein Burgbau
anschloß, nicht umsonst heißt es: Bürger und
Bauer scheidet nichts als die Mauer. Der
Bischof Dietrich von Paderborn erlaubte den
Klöstern Willebadessen (1317) und Gehrden
(1319), sich mit einer Mauer zu umgeben unter
der Bedingung, daß die so en t stand en e 15
15 Stephan Winterberg, Oratio panegyrica in laudem
urbis Carolshaviae. 1722.