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beginnt ein neuer Absatz. Und 9 ist bei den
Germanen die heilige Zahl. Im Norden wur
den alle 3x3 Monate Opfer gehalten, die
drei Monate dauerten, jedes Opfer nenn Tage
lang, zu jedem Opfer neun Stück Vieh. Alle
neun Jahre war großes Blutopfer. Alle neun
Jahre wurden in Seeland 99 Menschen ge
opfert. Das Lied gilt ferner keinem gewöhn
lichen Sterblichen, sondern einem Riesen, denn
er braucht neun Ziegenfelle und ein Bockfell zu
feinem Rock. Dieser Riese ist aber kein an
derer als Donar, denn Ziegen und Bock sind
Donar heilig. Und „alter Mann" ist ein be
sonderer Name für Donar.
Sollte also dieses Fritzlarer Donarliedchen
nicht mit ein Beleg dafür sein, daß wir in
Fritzlar eine Donarstätte zu suchen haben?
Und erinnert nicht die Domhöhe selbst, die
wenigstens in ihrem südwestlichen Teile Ziegen
berg heißt, im Zusammenhang mit allem
übrigen an eine Tonarstätte?
Nordwestlich erhebt sich dicht bei Fritzlar
der Eckerich (keltisch = Eichenberg). An seinem
Südabhang befindet sich ein uralter Stein
bruch, „Hölle", genannt. Sollte diese Hölle in
der Verbindung mit den Teufelsnamen der
heiligen Quellen nicht die frühchristliche Be
nennung einer chattischen Opferstätte sein?
Am Fuße der Domhöhe aber mit ihren drei
heiligen Quellen fließt im Tal wie zum Schutze
des Heiligtums die Eder, und um diese zieht
südlich in einem großen Bogen eine uralte
Befestigung, die Landwehr (Lambers, Lam-
bertsfeld, Lamberweg). Da, wo die Landwehr
östlich von Fritzlar die Eder erreicht, häufen
sich in dem Winkel verdächtig alte Namen: Bil
stein, Hunsrück, der 1654 als großer Wacker
stein bezeichnet wird, der Spies, die große und
die kleine Wiege. Bedenkt man, daß wih (Weihe,
geweiht, vgl. Wichdorf = heiliges Dorf) bei
den Germanen eine Bezeichnung für ihr Heilig
tum war, so liegt es nahe, auch hier ein Heilig
tum zu vermuten. Um so mehr, da im Mittel
alter, das in seiner frühen Zeit heidnische Kult
stätten gern mit christlichen Heiligtümern be
setzte, hier, wie ein Flurname Bildstöckl jagt,
ein Bildstock stand.
^ Westlich führt die Landwehr mit der von
Süden über Holzheim kommenden Alten Straße
zur alten Ederfurt, der Spicke, von der dann
die Straße als Kölnische Straße südlich vom
Eckerich entlang der Elbe über Geismar, Zü-
fchen, Naumburg nach Westen zog. Hier aber
an der Spicke zwischen Eder und Landwehr
finden sich am rechten Ufer der Eder die Flur
namen Diebesecke und Auf'm Rad. Ist dieser
in Hessen öfter vorkommende Flurname Diebes
ecke nur die Bezeichnung einer Gegend, wo
Diebe ihr Unwesen trieben, oder ist ist ihm am
Ende noch ein älterer und tieferer Sinn ver
borgen? Ich denke daran, daß in Wales in
Altengland Hügel oder Steinhaufen, auf denen
in keltischer Vorzeit Verbrecher zum Gottes
dienst hingerichtet wurden, Cara Leadron, in
Irland Cara an Ladroin = Diebeshöhe oder
Diebesecke genannt wurden. Ich denke weiter
daran, daß diese Diebesecke in Fritzlar an
einem uralten Flußübergang liegt, wo sich in
germanischer Zeit öfters Gerichts- und Hin-
richtungsstätten befanden, und daß das Mittel
alter auch hier wieder mit der Errichtung des
Rades die alte Tradition scheint beibehalten zu
haben. Doch das alles sind nur Vermutungen.
Aber überraschend ist ein Vergleich der Fritz
larer Anlage mit den drei Quellen am Süd-
abhang der Domhöhe und der Eder und der
Landwehr am Fuße der Anhöhe mit der An
lage der Jrminsul, dem Nationalheiligtum der
Sachsen. Nach den Feststellungen Kuhlmanns
besteht wohl kein Zweifel mehr, daß die Jr
minsul ein Baumstamm voll mächtiger Größe,
auf dem Eresberg, an der Stätte des heutigen
Obermarsberg an der Diemel stand. Auch hier
am Abhang der heiligen Höhe drei Quellen,
von denen die eine Siegesquelle (Ziegenquelle?),
eine andere Königsquelle heißt. Am Fuße
des Abhangs die Diemel und aüch hier wie
zum Schutze des Heiligtums die Landwehr mit
einem Bilstein. Man wird dabei auch unwill
kürlich an die heilige Weltesche TZ^dramw
a8ker erinnert, unter deren Schatten drei hei
lige Quellen entsprangen.
Ich gestehe, die Versuchung liegt nahe, Fritz
lar als das große chattische Heiligtum anzu
sprechen und auf seiner Höhe die berühmte
Donareiche zu suchen, durch deren Fällung
Bonifatius im Jahre 723 die Hessen zum
Christentum bekehrte. Neuere hessische Histo
riker und mit ihnen Flaskamp erklären tat
sächlich die Stelle, an der sich der Petersdom
in Fritzlar erhebt, als die historische Stätte
der Donareiche. Ich kann mich und zwar aus
einem schweren, mich wenigstens zwingenden
wissenschaftlichen Grunde nicht zu dieser An
sicht bekennen. Die einzige Quelle für die
Bonifatiustat ist nämlich, wie wir eben sahen,
das von einem angelsächsischen Mainzer Priester
Willibald geschriebene Leben des hl. Boni
fatius. Die Kenntnis dieser Tat verdankt er
wohl dem Würzburger Bischof Megingoz, der