Full text: Hessenland (37.1925)

Regiment v. Wurmb. Wilhelm Lange hat da 
mals die Vermutung ausgesprochen, daß die 
Zahl der Opfer in Wirklichkeit wohl noch 
größer gewesen sei. Diese Vermutung wird 
bestätigt durch einen interessanten Aufsatz, den 
Amtsgerichtsrat W. Rabe über „eine Bor- 
kener Episode aus der Franzosenzeit" in der 
Kasseler „Sonntagspost" vom 26. Oktober d. J. 
veröffentlicht hat. Er erzählt hier von dem 
Überfall aus beit Transport der von den Fran 
zosen fortgeführten Pferde des kurfürstlichen 
Marstalls in der Nähe von Wabern, der ein 
Werk meist aus Borken stammender alter hes 
sischer Soldaten war, von denen einer, der ehe 
malige Kanonier Heinrich Kaufmann, 
dafür später von den Franzosen bei Jesberg 
erschossen wurde. 
Der hessische Soldatenaufstand von 1806 war 
bekanntlich veranlaßt durch die Aufforderung 
des französischen Gouverneurs L a g r a n g e 
an die hessischen Soldaten, sich regimenterweise 
wieder zusammenzufinden, um nun unter fran 
zösischen Fahnen zu dienen und für den Kaiser 
Napoleon ihr Blut zu verspritzen. Wie ein 
zündender Blitz hatte diese Verfügung ein 
geschlagen und den durch die Überrumpelung 
Kurhessens und die schimpfliche Entwaffnung 
genährten Brandstofs der Empörung zu hellen 
Flammen auflodern lassen. Um Weihnachten 
1806 kam es an allen militärischen Standorten 
des Landes zu Soldatenaufständen, die, durch 
bewaffnete Bauernscharen unterstützt, nur der 
einheitlichen Führung ermangelten, um wirk 
lichen Erfolg zu haben. Die Führer aber 
fehlten; denn die hessischen Offiziere, die sich 
geweigert hatten, für Napoleon zu fechten (es 
war fast das ganze Korps) saßen gefangen in 
Mainz und Luxemburg. So mußten die ein 
zelnen Erhebungen, die nur an der Werra 
unter Thilo von Uslar etwas mehr organi 
siert waren, plan- und führerlos zusammen 
brechen, arteten in Tumulte und Plünderungen 
ans und wurden schließlich von heranrückenden 
Straskommandos unterdrückt. 
Die hessische Regierung in Kassel, die trotz 
ihrer Suspension durch Lagrange noch monate 
lang ihre Funktionen fortsetzte, hatte den Sol 
datenaufstand nicht gern gesehn. Die Minister 
des Kurfürsten hofften immer noch auf die 
Restitution des Kurfürsten und nahmen nicht 
mit Unrecht an, daß der Aufstand etwaige 
Absichten Napoleons nach dieser Richtung ge 
wiß nicht stärken würde. Deshalb hatte eine 
Kommission der Regierung um Weihnachten 
das Aufstandsgebiet bereist 1 , um beruhigend 
zu wirken, was! aber nur teilweise gelungen 
war. Dazu kam, daß, wie gesagt, der Auf 
stand allmählich in einzelnen Gegenden For 
men annahm, die nicht mehr viel von hessischem 
Patriotismus und treuem Soldatengeist mer 
ken ließen. Unlautere Elemente mischten sich 
ein, rauflustige Tumultuanten und Plünderer 
machten sich die Lage zu nutze, an einigen Or 
ten ging es über die Juden her, anderswo 
benutzte man die Gelegenheit, sich an strengen 
und unbeliebten Beamten zu rächen; schließ 
lich fühlte sich der ruhige Bürger und Bauer 
überhaupt nicht mehr sicher und war gar nicht 
so traurig, als die Franzosen kamen und den 
Tumulten und Krawallen ein Ende machten. 
So kam es, daß der Minister W a i tz v. E s ch e n, 
der dem Kurfürsten nach Holstein genau über 
die Lage berichten mußte, auf dessen Vorwurf, 
daß man sich der Jnsurgentenführer nicht ge 
nug annehme, am 27. Januar 1807 schreiben 
konnte: „Es sind nicht sowohl die Franzosen, 
als die Beamten selbst, die die Haupt-Rädels 
führer der Insurgenten decouvriren, weil sie 
sich vor ihnen fürchten und nach hergestellter 
Ruhe nichts Gutes von ihnen erwarten. Kommt 
nun noch ein nachtheiliges Zeugniß von einem 
solchen Beamten dazu, so ist es um einen sol 
chen Menschen geschehn." 
Zu den Persönlichkeiten, die hier charakteri 
siert sind und zweifellos durch das nachteilige 
Zeugnis eines hessischen Beamten ihr Leben 
verloren haben, gehörte auch der obenerwähnte 
Kaufmann, der infolge seiner Beteiligung 
an dem Überfall bei Wabern im Januar 1807 
von den Franzosen erschossen wurde. Da über 
die Ereignisse in Borken nur ungenaue Nach 
richten nach Kassel kamen, ließ sich der Minister 
v. Baumbach von dem dortigen Amtmann 
S t r u b e einen ausführlichen Bericht erstatten, 
der am 10. Februar an den Kurfürsten nach 
Holstein weitergesandt wurde. 
Nach diesem Bericht war Kaufmann „ein 
bösartiger Mensch, der sich auf seine Stärke 
verlassend mit jedem Händel anfing und sich 
dadurch so in respect gesetzt hatte, daß selbst 
derjenige, der seinen Händen unterlag, dieses 
geduldig ertrug und nicht einmal klagte, aus 
Furcht sonst noch ärger dafür leiden zu müs 
sen." Nach der Auflösung des Militärs geriet 
Kaufmann ganz außer Rand und Band und 
1 Den ausführlichen Bericht diefer Kommission (Kriegs 
rat Kopp uno General v. Motz) habe ich in den Hess. 
Blättern 1918 Nr. 4276 fs. veröffentlicht.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.