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Hessisches Heimalsblalt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 1 36. Jahrgang Januar-Heft 1922
Johann Lewalter.
Zum 24. Januar 192 2.
Von Will Scheller.
„Unser Leben währt" — solange, als wir uns
bewähren. Das besagt: die Dauer des mensch
lichen Lebens hängt, unter Abrechnung übermensch
licher Wendungen, wie sie Naturgewalten oder
sonstige Eingriffe des Schicksals bewirken, davon
ab, wie es dem einzelnen gelingt, die Kräfte seines
Daseins §u gegenseitig förderndem Ausgleich zu
bringen. Wer aber diese Kunst, zu leben, besitzt,
liefert damit schon, sonstiger Leistungen ungeachtet,
den Beweis,, daß etwas Besonderes an ihm ist, daß
er den Durchschnitt seiner Zeitgenossen erheblich
überragt. Es ist nicht nötig, in die Vergangenheit
zu schweifen und große Namen aus solcher Ferne
zu bemüheu. Auch die Gegenwart bietet freund
licherweise Anlaß zur Erhärtung jenes Satzes.
Johann Lewalter beispielsweise ist nun sechzig Jahre
alt geworden, aber es sieht, unberufen, ganz danach
aus, als ob er dabei das Eigenschaftswort „alt"
Lügen strafen wolle. Denn er hat sich auch für sein
Menschentum bis auf diesen Tag alles das bewahrt,
was seinem Schaffen die besondere, überaus be
zwingende Note verleiht. Seine Kompositionen,
vor allem die zum Teil geradezu volkstümlich ge
wordenen Lieder, atmen jene Natürlichkeit und Frische
des Empfindens und haben den Rhythmus jener
Lebensfreude und den sonoren Klang jener Besinn
lichkeit, die ihren Schöpfer selbst zu einer ebenso
besonderen wie liebenswerten Erscheinung unter den
Zeitgenossen stempeln. Sie quellen in mancherlei
Weise, bald ernst und voller Wehmut, bald frisch
und voller Lust aus einem redlichen und reichen
Gemüt und stets in einer Form, die eigenartig
genug ist, um den Hauch des Volksliedhaften zu
vertragen, der in sanfter Schönheit über ihnen liegt.
Lewalter ist eine von denjenigen Naturen, die allen
andern bewundernswert vorkommen wegen ihrer
Fähigkeit, mit den Tücken des Objekts fertig zu
werden, ohne den Humor §u verlieren, und wegen
der seltenen Gabe, das Leben zu genießen, ohne
dadurch an die Oberfläche geschwemmt zu werden.
Er hat das innere Gleichgewicht, das ihn vor diesem
Extrem bewahrt wie vor dem anderen, in der Tiefe
zu versinken. Wer Lewalter kennt, sieht infolge
dessen immer zuerst den Mitmenschen, dessen Um
gang allerdings herzlich bereichert, und mag so
manchmal dazu kommen, die Bekanntschaft mit der
geistigen Wirksamkeit zu versäumen, die dieser Mit
mensch, ein erquickendes Beispiel weiser Lebens
haltung, doch auch repräsentiert.
Die geistige Wirksamkeit Lewalters ist mit seiner
Tätigkeit als Komponist keineswegs zu umgreifen,
obwohl er durch sie vielleicht, die sich, wie bekannt,