wo der berühmte Augenarzt Jung-Stilling in Mar
burg einer Menge Leuten durch seine Operationen
das Augenlicht wieder verschaffte, sei dieser mit dem
damaligen ersten Pfarrer der Gemeinde Schlarbaum
eng befreundet gewesen. Der Pfarrer Schlarbaum
habe nun durch Gottes Güte eine Lebensoauer
von 80 Jahren erreicht. Und es sei nun sein inniger
Wunsch für den jungen Pfarrer Wolfs, daß ihm
ebenfalls ein „Schlarbaum-langes" Leben beschieden
sein möchte. Mit allgemeiner Zustimmung wurde
dieser Wunsch von der Versammlung aufgenommen.
Mein persönliches Verhältnis zu Vilmar blieb
bis an dessen Lebensende ungetrübt und vertrauens
voll, was ich ihm niemals vergessen kann. Nach
meiner Überzeugung ist Vilmar eine der bedeutend
sten gelehrten Persönlichkeiten, die das Hessenland
überhaupt hervorgebracht hat, nämlich an der Seite
von Jakob und Wilhelm Grimm. Durch seine Ar
beiten über die Entwicklung der deutschen Sprache
und Literatur, über die in Hessen heimischen
Familiennamen, durch seine Beiträge zur Geschichte
des höheren Schulwesens in Hessen hat er bewirkt,
daß sein Name unvergeßlich in die hessische Geistes
und Landesgeschichte eingetragen ist.
Die Stipendiateni-Anstalt besteht als Hessen-
Kasselsches Schul- und Kircheninstitut noch bis auf
diesen Tag; und mit ihr wie mit der ganzen kur
hessischen Landesgeschichte ist sein Name für alle
Zeit verwachsen.
Frühling im Lahnlal.
Von Werner Sunkel, Marburg a. d. L.
Sonnabendmorgen. Im Beruf. Ein Geschäfts
zimmer mit arbeitenden Beamten, die auf gleichen
Stühlen an gleichen Tischen sitzen und lesen, rechnen,
schreiben. Telephongeklingel, Schreibmaschinenrat
tern. Rege Tätigkeit in dem trotz der Nähe des
Mittags elektrisch erleuchteten Raum.
Durch die offenen Fenster dringen von draußen
die schrillen Rufe der hastig die Häuser überfliegenden
Mauersegler oder Turmschwalben. „Vogel Wupp"
hat der unvergeßliche Hermann Löns den Segler
genannt, und er meinte, dieses rastlose Tier müßte
der Wappenvogel der Wuppwuppmenschen der Börse
sein: Wupp Telephon, wupp Auto, Wupp Börse,
Wupp Telegraphenamt, wupp Kontor, wupp Hoch-
zeit, wupp Scheidung, wupp Herzschlag. So ist
auch unser Wuppvogel: wupp ägyptische Pyramiden,
wupp Häuser der Wettergasse in Marburg. Er ist
der modernste Vogel, der wie ein Geschäftsmann
nie Zeit hat. Schon früh morgens sausen die
schwarzen Vögel, die wie fliegende Adler aussehen,
über den Dächern, und bis abends 9 Uhr ist die
Luft voll von ihrem Geschrei. Der Segler lebt
genauer nach dem Kalender als andere Tiere. Ab
gesehen von einigen Vorboten kehren die Turm
schwalben am 1. Mai von ihrer Afrikareise zurück,
um am 1. August wieder zu verschwinden. Sein
kurzes Hiersein benutzt der Segler zur Fortpflan
zung. Aber er baut nicht ein kunstvolles Nest wie
andere Vögel; auf so etwas legt er keinen Wert.
Unter Dachziegeln erbrütet er seine Jungen, Un
getüme, die nur aus Rachen, Kropf und Bauch zu
bestehen scheinen. Kaum sind die kleinen „Wupps"
flügge, so sausen sie alle über Spanien nach Marokko,
den Oasen der Sahara und Südafrika, hasten dort
über der einsamen Steppe genau so wie im Sommer
bei uns, wo sie die Städte mit ihren Türmen und
vierstöckigen Häusern beleben, eine „Natur", die
aus Backsteinen, Essen, Ziegeln, Asphalt, Zement,
Straßenbahngleisen und elektrischen Drähten be
steht.
Wuppwuppvögel — Wuppwuppmenschen!
Schnell arbeiten! Bald ist es Mittag. Sonnabend-
Mittag! Der Plan für die eineinhalb dienstfreien
Tage ist schon fertig: heute kleiner Gang um Mar
burg, morgen hinaus in die Natur, weit weg vom
Wuppwuppgetriebe!
Nachmittags begrüßt mich vor meiner Wohnung
mit schmetterndem Gesang „mein" Buchfink. Er
ist etwa 10 Jahre alt. Woher ich das weiß? Vor
so langer Zeit habe ich ihn mal gefangen und an
sein Bein einen Ring der Vogelwarte Rossitten
gelegt, der ihn mir immer wieder kenntlich macht.
Auf den Dächern schwatzen die Stare, die jetzt
Junge in den Nestern haben, während die Bach
stelzen schon flügge Junge füttern. Die vielen
Robinien- und Rotdornbäumchen auf den Straßen
sind beliebte Nistplätze der Buch- und Grünfinken
und zierlichen Girlitze; herumstrolchende Hauskatzen,
die schlimmsten Vogelfeinde, und nesterplündernde
Schulbuben, deren strafwürdiges Treiben nichts mit
dem berechtigten wissenschaftlichen Eiersammeln
eines geschulten Zoologen zu tun hat, vernichten
leider auch hier manche Brut. — Wo jetzt am
Dammweg in einem Garten Kartoffeln und Kohl
stauden wachsen, ergötzte früher den Naturfreund
ein Tieridyll: der „Schützenpfuhl"; ein zu dem
auch nach ihm benannten „Wirtshaus an der Lahn"
gehörender Tümpel, den man im Krieg mit Schutt
und Erde füllte. Die meisten Leute merkten von
dem Tierleben hier nur das Quaken der Frösche,
das ja auch aufdringlich genug war; der Tier
freund aber entdeckte auch die in den Erlen herum
turnenden Meisen und Zeisige, gewahrte das Stieg
litznest in der Weide und freute sich an dem Pärchen
grünfüßiger Teichhühner, das hier seine Brut groß
zog. Wie kleine Federbällchen schwammen die
Dunenjungen neben ihren lauchgewandten rotstir-
nigen Eltern, die oft ohne Scheu auf dem deckungs
losen Spazierweg herumliefen. Heutzutage können
wir die anmutigen Familienbilder dieses Vogels