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Aus Hersfeld. Mit Genehmigung des Reichs
schatzministers werden im nächsten Sommer auf dem Ge
lände zwischen dem westlichen Portal der Stiftskirche und
der ehemaligen Kriegsschule sowie auf dem Gelände
zwischen der Turnhalle und dem Amtsgericht Aus
grabungen vorgenommen. Ebenso sind von der Reichs
vermögensverwaltung Mittel bereit gestellt worden, um
den Rest der mittelalterlichen Stadtbefestigung, einen
Wehrgang zwischen dem Teich der Anlagen und der
früheren Kriegsschule, zu erhalten.
Hessische Bücherschau.
Losch, Philipp. Geschichte des Kurfür st en-
ckums Hessen 1803 bis 1866. Marburg (N. G.
Elwert) 1922. VIII, 460 Seiten. Preis 35 M.,
geb. 45 M.
Es ist das große Verdienst Professor Or. Loschs, hier
zum ersten Mal eine zusammenfassende Geschichte Hes
sens unter seinen drei Kurfürsten, oder was dasselbe be
sagt, eine Geschichte des Untergangs Kurhessens geboten
zu haben. Da dieses Werk aus der Feder eines der
besten Kenner unserer hessischen Geschichte stammt, ist
sein durch den rührigen Elwertschen Verlag ermöglichtes
Erscheinen doppelt zu begrüßen. Die Schilderung setzt
mit dem Augenblick ein, da am 15. Mai 1803 unter dem
Läuten der Glocken die Annahme der Kurwürde durch
Landgraf Wilhelm IX. mit festlichem Gepränge in Kassel
gefeiert wurde. Damit war der neue Kurfürst auch for
mell unter die ersten Fürsten des Römischen Reiches
eingereiht. Das geistige Leben in Hessen war damals
wenig entwickelt, Literatur, Musik und Theater erfreuten
sich keiner sonderlichen Blüte, ein eigentliches politisches
Leben existierte so gut wie gar nicht. Das anspruchslose,
zäh konservative Volk lebte zufrieden in der Ruhe des
Friedens; daneben sorgte schon seine militärische Er
ziehung dafür, daß der neuzeitliche Geist keinen Eingang
fand. Aber schon nach den ersten Jahren des neuen
Kurfürstentums kam es zum Konflikt mit Frankreich.
Unter Verzicht auf Vergrößerungen lehnte der Kurfürst
den Beitritt zum Rheinbund ab. Die Katastrophe von
Jena entschied dann auch das Schicksal Hessens. Waffen
los mußte der Kurfürst sein Land, das er flüchtig ver
ließ, dem Feinde ausliefern. Der Friede zu Tilsit schlug
Hessen zum Königreich Westfalen, und erst nach sieben
Jahren der Fremdherrschaft konnte Wilhelm I. wieder
in seine Residenz einziehen und das ancien regime
wiederherstellen. Er blieb noch für eine Reihe von
Jahren der letzte konsequente Vertreter des fürstlichen
Absolutismus in Deutschland. Er wollte der Vater seines
unmündigen Volkes sein, war in der Tat auch ein aus
gezeichneter Organisator, aber seine Anschauungen vom
fürstlichen Beruf vertrugen sich nicht mehr mit den
Ideen der neuen Zeit, die ihn ebenso wenig verstand wie
er sie. Diese neue Zeit schien sein Sohn Wilhelm II.
mit militärischen, wirtschaftlichen und Verwaltungs
reformen anfänglich heraufführen zu wollen, machte sich
aber trotz der dem Lande eingeräumten neuen Verfassung,
nicht zuletzt durch seine häuslichen Zwistigkeiten, so
unbeliebt, daß er schließlich fahnenflüchtig seine Residenz
für immer verließ und die Leitung der Regierung seinem
Sohne als Mitregenten überließ, der als Friedrich Wil
helm I. Hessens und Deutschlands letzter Kurfürst werden
sollte. Auch unter ihm waren die hessischen Zustände
keineswegs ideal, entsprachen aber, was der Verfasser im
einzelnen eingehend nachweist, trotz Revolutionswirren
und den die ruhige Entwickelung des Staatswesens hem
menden Verfassungskämpfen doch auch nicht dem Zerr
bild, das man von ihnen zu entwerfen gewohnt ist. Loschs
Darstellung schließt nicht mit der Stunde ab, da im
Hessenland zum ersten Mal die preußischen Fahnen
flatterten, sondern reicht bis zum Tode des Kurfürsten,
mit dessen Person immer noch gewissermaßen ein Rest
des Kurstaates und die Hoffnung aus dessen Wiedererstehen
vorhanden war.
Es ist wohl auch heute noch unmöglich, die Geschichte
vom Untergang Kurhessens ohne Stellungnahme für oder
wider Preußen zu schreiben. Als alter Hesse und Ge
sinnungsfreund des unlängst dahingegangenen trefflichen
Wilhelm Hopf legt Losch selbstverständlich gegen die
Bismarcksche Annexion schärfsten Protest ein. Im übrigen
bietet das mit umfassendster Materialbeherrschung ge
schriebene Buch viel Neues. Konnte doch sein Verfasser
eine ganze Anzahl bisher gar nicht oder nur wenig be
nutzter Quellen benutzen, so u. a. die Memoiren, Tage
bücher und Korrespondenzen des ersten Kurfürsten, die
noch vorhandenen Bestände des kurfürstlichen Geheimen
Kabinettsarchivs, die im Berliner Geh. Staatsarchiv
bewahrten preußischen Gesandtschaftsberichte von 1813
bis 1830 und den handschriftlichen Nachlaß des Darm
städter Ministers v. Dalwigk. Ferner finD noch in
keinem einschlägigen Werk die Zeitungen, Landtags
verhandlungen usw. so eingehend benutzt worden, wie
denn die gesamte gedruckte Literatur kaum je in solchem
Umfang zur Vervollständigung des Gesamtbildes heran
gezogen wurde. So ergaben sich auch von den bisherigen
Darstellungen vielfach abweichende Werturteile. Beson
deres Interesse beanspruchen die tief nachspürenden
Charakteristiken nicht nur der drei Kurfürsten, sondern
auch zahlreicher anderer Männer, die in diesem Zeitraum
eine Rolle spielten. Nicht alle Leser freilich werden mit
allen diesen Beurteilungen einverstanden sein; so will
mir beispielsweise gegenüber der überaus günstigen Ein
schätzung Hassenpflugs, der ganz gewiß seine Verdienste
hatte, die Beurteilung Sylvester Jordans doch zu abfällig
erscheinen. Neben den poliUschen räumt der Verfasser der
Schilderung der kulturellen Verhältnisse einen breiten
Raum ein; Literatur, Musik, bildende Kunst und wirt
schaftliche Lage finden überall eine abgerundete, alles
Bedeutsame und Charakteristische umfassende Darstellung.
So wird dieses mit echter Heimatliebe geschriebene Werk
zum eisernen Bestand unserer hessischen Literatur ge
hören, an dem keiner, der sich irgendwie mit der Geschichte
des Kurstaates befaßt, wird vorübergehen können. Hof
fentlich läßt uns Losch nun auch nicht mehr allzu lange
auf seine in Aussicht gestellte Biographie des ersten
hessischen Kurfürsten warten. 8.
K n e t s ch , Carl. Der Forsthofund dieRitter-
straße zu Marburg. Mit Zeichnungen von
Otto Ubbelohde. 2. Auflage. Marburg (Adolf
Ebel) 1921. 64 Seiten und 1 Stammtafel. Preis
25 M.
Der am Marburger Schloßberg halb im Grün ver
steckte Forsthof hat seit Jahrhunderten an allem, was
das alte Marburg an Gutem und Bösem betroffen hat,
teilgenommen. Bis etwa 1500 läßt sich die Geschichte
des Hofes, der der Burgmannenfamilie der Rode zu
gehörte, zurückverfolgen, der jetzige Bau ist etwa um
ein Jahrhundert jünger. An seine innere Geschichte
knüpfen sich unter vielen anderen die Namen v. Meysen-
bug, von Wildungen, Savigny, Brentano (Bettina
turm), Günderode, Creuzer, Bang, Grimm, Ranke, Luise