Full text: Hessenland (36.1922)

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bestellt war. Es wurden u. a. 40000 Zentner russischen 
Roggens nach Frankfurt versandt; auch mit der Kasseler 
Bäckerinnung hatte Aschrott die Lieferung von Brot ab 
geschlossen, das aber so frisch war, daß es schimmelig 
in Frankfurt ankam. Ebenso wurde Bieh geliefert. Die 
Lieferung erreichte jedoch zum größten Teil die schon 
weiter vorgerückten Truppen nicht mehr. Herr Fiorino 
sprach sodann noch über die Kippermünzen des Land 
grafen Moritz von Hessen, der 1621, von der allgemeinen 
Seuche ergriffen, in seinem Lande gleichfalls die schlechten 
Münzen prägen und verbreiten ließ und in Kassel, 
Lippoldsberg, Witzenhausen, Rotenburg und vielleicht 
auch in Bovenden in der Herrschaft Plesse die Einrichtung 
von Münzen gestattete. In Kassel werden 1621 zwei 
Münzstätten genannt, im „Wilden Mann" und im 
Renthof unter der Kanzlei. Der gemeine Mann bekam 
keine Silbertaler mehr zu sehen, alle Zahlungen erfolgten 
in Scheidemünzen. 1622 verordnete Moritz, daß der 
Unterschied zwischen dem guten Reichstaler und dem 
schlechten Zähltaler aufgehoben sei. Zum Schluß legte 
Redner eine Besuchsliste der Kasseler Galerie aus den 
Jahren 1821—1824 vor. Aus Veranlassung von Rechts 
anwalt Dr. Dellevie fand eine angeregte Aussprache 
über die Zukunft der Vereinszeitschrift und weiter über 
die Fortsetzung der Striederschen Gelehrtengeschichte statt. 
Während die Schwierigkeit, die Zeitschrift unter den 
jetzigen Verhältnissen jährlich erscheinen zu lasse», all 
gemein anerkannt wurde, fand der Vorschlag, die bereits 
früher als Fortsetzung zu Strieders Werke begonnene 
Sammlung hessischer Biographien zum Zweck einer späte 
ren Drucklegung weiter zu führen, lebhafte Billigung. 
Der Beschluß darüber, wo diese vorläufige Sammelstelle 
am zweckmäßigsten eingerichtet wird, soll einer späteren 
Besprechung vorbehalten werden. 
Hatte in der letzten Monatsversammlung des Kas 
seler Vereins Baurat Dr. Holtmeyer die mittelalter 
liche Befestigung Kassels vorgeführt, so gab am 20. Fe 
bruar Studienassessor S t r e m m e r ein Bild von der 
„Entfestigung Kassels unter Philipp dem 
Großmütige n", und zwar vorwiegend auf Grund 
der die Gefangenschaft dieses Fürsten behandelnden Ak 
ten. Sie enthalten die geheime Korrespondenz, die Land 
graf Philipp aus der Gefangenschaft mit der in Kassel 
gelassenen Regierung führte, und zeigen, daß Philipp 
auch in der Gefangenschaft der regierende Herr blieb, 
ohne dessen Einwilligung keine wichtigen Beschlüsse in 
der Heimat gefaßt werden konnten. Diese geheimen 
Berichte, die uns einen besonders unmittelbaren Ein 
blick in die Verhältnisse des damaligen Kassel ge 
währen, wurden in den meisten Fällen von dem Fuhr 
mann oder seinem Begleiter mitgenommen, die den 
Landgrafen mit Lebensmitteln und dergleichen versorg 
ten; denn es wurden Unsummen von Viktualien — das 
Einbecker Bier spielt dabei keine geringe Rolle — von 
dem Landgrafen und seinem kleinen Gefolge verbraucht. 
Schwieriger war es für ihn, der Kasseler Regierung 
seinen Willen zu übermitteln, da er, besonders später 
in den Niederlanden, von seiner spanischen Bewachung 
außerordentlich scharf beobachtet wurde. Er schrieb teils 
direkte Briefe oder bediente sich einer Mittelsperson 
wie des Pfennigmeisters Reinhold Abel. In Kassel selbst 
war als Statthalter Rudolf von Schenk zu Schweinsberg 
zurückgeblieben, dem verschiedene Räte wie Günderode 
und Wilhelm von Schachten zur Seite standen. Die 
Korrespondenz führte in erster Linie der Kammerschreiber 
Simon Bing. Nach dem unglücklichen Ausgang des 
Schmalkaldischen Krieges sah sich Landgraf Philipp ver 
anlaßt, sich dem Kaiser auf Gnade oder Ungnade zu 
unterwerfen; er begab sich nach Halle, um hier durch 
einen persönlichen Fußfall vor dem Kaiser seine Frei 
heit zu erringen. Diese Hoffnung vereitelte; bei dem 
ihm vom Herzog von Alba gegebenen Gastmahl wurde 
er gefangengenommen und abgeführt. Zu den Kapi 
tulationsbedingungen, die er eingehen müßte, gehörte 
die Schleifung sämtlicher Festungen des Landes außer 
zweien, und es war noch nicht bestimmt, ob Kassel oder 
Ziegenhain unentfestigt bleiben sollte. Die Kasseler Re 
gierung hatte eine Gesandtschaft in das kaiserliche Hof 
lager mit einer Eingabe an die Landstände geschickt, die 
darauf dringen sollte, daß der Landgraf nicht gefänglich 
eingezogen werden sollte. Über diese Eingabe war den 
Kaiser aufs äußerste empört. Inzwischen hatte der 
Landgraf aus der Gefangenschaft beim Herzog von Alba 
schon anfragen lassen, welche der beiden Städte ent 
festigt werden sollte; Alba antwortete, daß auf Wunsch 
des Kaisers Kassel gebrochen werden müßte. Die Ent 
festigung hat also wohl im September 1547 begonnen. 
Gegen Ende November berichtet Philipp an die Reichs 
stände, daß an ihm keine Schuld an der Verzögerung der 
Entfestigung läge und man in Kassel bereits ausführlich 
gebrochen habe und noch immer weiter breche; bis jetzt 
sei vom Zwehrentor bis zum Gießberg gebrochen. Er 
bittet weiter, daß der Kaiser durch Verordnete die Ent 
festigung besichtigen lassen möchte. Wenn dieser darüber 
hinaus noch gebrochen wissen möchte, dann würde auch 
das geschehen. Die Räte hatten sich vergeblich bemüht, 
vom Kaiser eine Resolution über seinen Willen betreffs 
der Entfestigung zu erhalten, und den weitesten Raum 
der Ausführungen zwischen der kaiserlichen Regierung 
und derjenigen in Kassel nimmt diese Frage in An 
spruch. Der Kaiser verzögerte planmäßig die Arbeit 
an der Entfestigung, und immer aufs neue drängte der 
Landgraf, diese zu betreiben, damit er wieder in die 
Heimat zurückkehren könne. Er befand sich damals in 
Donauwörth, von wo er auch in chiffrierten Briefen 
mitteilte, was die italienischen Kommissare dem Kaiser 
berichtet hätten. Unwillkürlich drängt sich uns die 
Parallele zur heutigen Zeit auf, wo wir gleichfalls 
die feindlichen Kommissare im Lande herumreisen sehen, 
die sich von der Durchführung der Bedingungen über 
zeugen. Neben den italienischen traten später auch 
spanische Kommissare auf. Am gehässigsten drang Graf 
Reinhard von Solms auf die Durchführung der Kapitu 
lationsbedingungen. Der Landgraf schreibt, er habe 
keine Hoffnung, daß Kassel irgendwie als Festung ge 
halten werden könne, und bitztet dringend, mit den Ar 
beiten so schnell als möglich fortzufahren; der einzige 
Ausweg sei der, daß er auf die Stellung von Geiseln 
hin entlassen werde, aber auch das würde an der Ent-, 
festigung nichts ändern. Wenn übrigens Kassel nur 
halb gebrochen würde, so wäre das schädlicher als die 
völlige Schleifung, denn dann könne irgend ein Feind 
es schnell wieder befestigen und er dann seiner Haupt 
stadt verlustig gehen. Nur Schloß und Stadtmauer 
verbietet er ohne seinen Befehl zu schleifen. Er war in 
zwischen nach dem von der Pest heimgesuchten Nörd- 
lingen geführt worden und berichtet von hier über ein 
Schreiben des Herzogs Alba, wonach alle Streitwehren, 
die Mauern und Schleusen geschleift werden sollten. Der 
Landgraf wird allmählich ungeduldig und macht den 
Räten in der Heimat den Vorwurf, daß sie nicht genug 
gebrochen hätten und dadurch seine Freilassung ver 
hinderten. Auch im Winter solle die Entfestigungs 
arbeit nicht ausgesetzt werden; die Landschaft solle sofort 
genügend Leute stellen. In zwei gleichzeitigen offenen 
Briefen teilt er der Bevölkerung mit, daß die Ent 
festigung auf seinen ausdrücklichen Befehl erfolge; der 
Kommissar Hans Georg Schad bringe ein Schreiben mit
	        

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