Full text: Hessenland (36.1922)

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der deutschen Ordens- und Missionszentrale Fulda. 
Bonifatius hatte unterdessen, durch den Zuwachs an 
Mitteln und Kräften angefeuert, die deutsche Mission 
verselbständigen, für sich aber die Arbeit in Friesland 
wieder aufnehmen wollen; doch Papst Gregor III. 
(731—741) wies - ihn gelegentlich der dritten Romreise 
737/38 in die bewährte Arbeit zwischen Rhein und 
Saale, Main und Edder zurück. So schritt er denn 
zur Aufteilung dieses weiten Gebietes in kirchliche 
Sprengel: Hessen empfing auf dem schon befestigten 
Buraberge seinen Bischofssitz, der Angelsachse Witta 
wurde e r st e r H e s s e n bi s ch o f. Papst Zacharias 
(741—752) dehnte die Sendung seines germanischen 
Glaubensboten auf Neustrien aus. Die großen Reform 
synoden der Jahre 742 (21. April: Concilium Ger 
manicum), 743 (1. März zu Estinnes im Hennegau: 
Concilium Liftinense für Austrasien), 744 (3. März 
zu Soissons: Goncilium Suessionense für Neustrien), 
745 und 747 (für das Gesamtfrankreich) stehen im 
Lichte dieses weitgreifenden Legatenamtes. Doch eben 
die Tätigkeit im stark verwilderten Westreiche weckte bei 
Bonifatius den Sinn für die heimischen Werte, das zu 
nehmende Alter von mehr als 70 Jahren lehrte ihn, auf 
das Erreichbare sich zu besinnen. Daher erstrebte er 
um 745 einen festen erzbischöflichen Sitz im 
O st r e i ch e. Köln wurde mit Genehmigung der frän 
kischen Majordome als Metropole in Aussicht genommen; 
Papst Zacharias erteilte seine Zustimmung. Doch per 
sönliches Gegenspiel, mehr aber noch politische Bedenken 
ließen diesen großen Plan scheitern. Bonifatius siedelte 
um 746 nach Mainz über, persönlich zwar (seit 732) 
Erzbischof; indessen blieb Mainz weiterhin einfaches 
Bistum. Dieser Mißerfolg verminderte erheblich seine 
"Freude am germanischen Werk. - -Hm den schlimmsten 
Gefahren zu begegnen, schloß er die ihm ergebenen 
Bischöfe des Gesamtreiches in einer Ergebenheitserklärung 
an den Papst zusammen; diese Reichsversammlung des 
Episkopats sollte den vermittelnden Metropoliten ersetzen. 
Seinen Klerus empfahl er der Huld König Pippins. 
Mit mehr als 50 Gefährten trat er dann Frühjahr 
753 die Reise nach Friesland an. Am 5. Juni 754 
verblutete der Meister mit seinen Getreuen unter den 
Streichen erregter Heiden zu Dokkum. Einen Monat 
später bereits stritten zu Mainz zwei Bonifatiusschüler, 
Lul und Sturm, um des Führers Leiche: ein Vorspiel 
zum nahenden Kampfe um des Führers Werk. Lul 
folgte dem Heiligen in Mainz) doch gleichfalls nur als 
einfacher Bischof. Aber er wollte nun überall nachsehen 
und eingreifen wie ehedem sein Lehrer, obgleich er doch 
nicht mehr Rechte besaß als etwa Bischof Witta von 
Buraburg. So geriet er bald in Konflikt mit der 
Mönchsgemeinde von Fulda. Ihr zum Trotze gründete 
er gegen 770 ein eigenes Kloster, ein „Trutz-Fulda" zu 
Hersfeld. Dieses erwarb bald Besitzungen im Eddertale, 
eine Gefahr zu Zusammenstößen" mit der hessischen 
Kirche. Der Hessenbischof war mittlerweile (vor 765) 
bereits verschieden, sein Sprengel seitdem ohne Ober 
hirten. In der Zeit 780—782 erhob Papst Hadrian I. 
(772—795) Mainz zum Erzbistum; trotzdem hat 
Lul Buraburg nicht wieder besetzt. Er ver 
leibte Hessen seinem engeren Mainzer Sprengel ein, 
vermehrte damit dessen Umfang, Ansehen und Einfluß 
und baute auch so jener umfassenden kirchlich-politischen 
Stellung vor, die Mainz nun bald empfangen und für 
mehr als ein Jahrtausend behaupten sollte. Buraburg 
wurde so zwar dem Lande alter Rheinkultur genähert; 
doch erstarb damit auch langsam die völkisch-eigenartige 
Ausprägung des Christentums in Hessen. Redner ging 
auch kurz ein auf die Frage nach der Örtlichkeit 
der Geismartat und kennzeichnete als bonifa- 
tianisches Geismar zweifelsohne Geismar im bottifa- 
tianischen Hessen, d. i. im Eddertale, also Geismar 
a. Elbe, das jetzt noch als Haufendorf vorhanden ist; als 
Standort der Eiche selbst die Höhe bei Geismar, wo 
die Petriftiftskirche (von Fritzlar) sich erhebt. Die 
Peterskapelle aus dem Holze der Donnereiche war die 
erste Vorgängerin eben dieses heutigen Petersdomes. 
Hier auf der Höhe hat volkstümliche Erinnerung noch 
bis 1521 die kühne Tat in jedem Lenze gefeiert. Ein 
deutscher Maler, Philipp Veit, verlegte schon vor nun 
mehr 80 Jahren in seinem gewaltigen Werke „Ein 
führung der Wissenschaften und Künste in Deutschland 
durch das Christentum" (Städelsches Institut, Frank 
furt a. M.) die Geismartat auf den Petrikirchplatz von 
Fritzlar: genialer Künstlerblick hat intuitiv richtig er 
schaut, was die Forschung erst in langwieriger Reflexion 
erkennen sollte. 
Am wissenschaftlichen Unterhaltungsabend des Kas 
seler Vereins (4. Dezember) bot Fabrikant Dr.-Jng. 
h. c. Wilhelm Breithaupt eine anschauliche und 
auf gründlicher Sachkenntnis beruhende Darstellung der 
astronomischen Forschungen Landgraf Wilhelms IV.- und 
seiner Mitarbeiter. Schon als Prinz galt dieser Fürst 
als einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit, 
und das Wilhelmszimmer unseres Landesmuseums birgt 
heute noch zahlreiche Kunstuhren und astronomische In 
strumente, die .z. T. nach Zeichnungen Wilhelms an 
gefertigt sind. Darunter befindet sich auch die seinerzeit 
von August Cöster im 15. Band der Bereinszeitschrift 
beschriebene große astronomische Kunstuhr, die jedoch 
nicht von Bürgt, wie Esöster annimmt, sondern von 
zwei Marburgern, dem hochbegabten einstigen Schneider 
Eberhard Baldewein und Hermann Diepel hergestellt 
und 1561 vollendet wurde. Das im Innern mit einem 
Uhrwerk versehene auch heute noch staunenswerte Werk 
stellt die Bewegungen der damals bekannten Planeten 
nach dem Ptolemäischen Weltsystem dar, ferner den 
Stand des Mondes, gibt die Jahreszahl, das Datum, 
die beweglichen und unbeweglichen Feste des Kalenders, 
die Stunden, die Tages- und Nachtlängen an und findet 
seinen architektonischen Abschluß in einem Himmels 
globus, der sich innerhalb 24 Stunden einmal um 
seine Achse dreht. Ein von denselben Künstlern an 
gefertigtes ähnliches Kunstwerk schenkte der Landgraf 
dem Kurfürsten August von Sachsen; es ist heute noch 
im Dresdener Museum erhalten. Landgraf Wilhelm, 
durch die Werke des Peter Apianus zu seinen Studien 
angeregt, wär der erste, der die Zeit als Beobachtungs 
clement einführte, indem er eine die Sekunden an 
zeigende Uhr herstellen ließ. Das war eine große Tat. 
Jahrhunderte lang hat man geglaubt, er habe schon 
durch Bürgt eine Pendeluhr herstellen lassen, aber erst 
Galilei hat das Pendelgesetz gegeben, und erst Huygens 
hat das Pendel bei Uhren in Anwendung gebracht. 
Etwa 1563 begann er seine OrtsbestiMMung der Fix- 
ster-ne mit einem kleinen 'Quadranten; er wollte einen 
Sternkatalog von 1000 Sternen anlegen, hat aber nur 
52 Sterne bestimmt; dann haben seine Astronomen 
Rothmann und Büri etwa 200, und Tycho de Brahe 
hat über 1000 bestimmt. Um auf seinen Reisen in 
sternklaren Nächten zur Beobachtung ein rasch aufzu 
stellendes Instrument zu haben, ließ er durch Baldewein 
und Diepel einen mit einem Uhrwerk versehenen und den 
Bewegungen der Fixsterne folgenden Himmelsglobus 
anfertigen, der 1575 vollendet wurde und sich heute im 
physikalischen Institut zu Marburg befindet. 1575 kam 
der junge dänische Astronom Tycho nach Kassel, um 
den Landgrafen, seine Sternwarte und seine Jnstru-
	        

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