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es uns vergönnt, in dasselbe Wasser zu tauchen,
dasselbe Wasser zu schöpfen.. Denn nur die Ufer
sind 'das Feste, Unverrückbare, die Wellen rollen
vorüber. Nie die nämlichen, nie auch nur sich
völlig gleichend.
*
Über die Stoppeln hatte der Herbstwind gepfiffen,
hatten die Jägerbüchsen geknallt. Die Kartoffel
feuer hatten in den frühe verglimmenden Abend
hineingeraucht. An den Obstbäumen der Straßen
hatten Leitern gelehnt, und in weißem dichten
Nebelschleier war jeder schöne Herbstmorgen ins
Tal gezogen. Länger und länger hatte die Sonne
gebraucht, bis sie, eine glanzlose Scheibe zuerst,
durch die Schwaden drang, bis sie endlich auf dem
bronzebraunen Herbstlaube der Eichen des Forstes
mit vollem Lichte lag und in den Millionen Tropfen
funkelte, die in den Netzen hingen, die sich silberig
zwischen dem braunen Heidekraut ausgespannt.
Die Arbeit in der Hütte ging ihren alten Schritt.
Die Ofen glühten, die kleinen Krane über den
Formen taten, wie stets, knarrend und ächzend ihre
Arbeit. Freundüch wie stets, nur mit einem leisen
Schatten um die Augen, fast, als wolle er mit
doppelter Liebe um sein Werk, seine Hütte, sorgen,
war ihr Herr durch die Hallen gegangen. Noch
war keine Entscheidung gefallen ber der Regierung.
Nur gerüchtweise hatte man vernommen, daß an
den entscheidenden Stellen keine Stimmung für
das Projekt vorhanden sei. Wer sollte sich auch für
den stillen, weltverlassenen Waldwinkel interessieren?
Andere Entwürfe, die bessere Rentabilität ver
sprachen oder die gewichtigere Fürsprecher hatten,
oder aus denen man politisches Kapital zu schlagen
hoffte, d i e würden wohl vorgehen. Auf alle Fälle
mußte jede Möglichkeit ins Auge gefaßt werden.
Während ein Entwurf durchgearbeitet ward von ge
eigneten technischen Kräften für eine völlige Moder
nisierung des alten Hüttenwerkes, ward zugleich das
erste Projekt für den Neubau in der Großstadt, an
geschlossen an die dort zusammenlaufenden Bahnen,
einer nochmaligen Prüfung unterzogen! Dort ward
ein Grundstück „an Hand" gekauft!
Spätnovemberregen rieselte nieder. Zwischen den
rinnenden Tropfen flog schon hier und da ein nasses
Flöckchen zu Boden, flog gegen die Scheiben des
Geschäftszimmers und glitt langsam daran herab.
Durch die frühe Dämmerung glühten die Lampen.
Nur ein Knittern umschlagender Papiere, ein leises
Geräusch schreibender Federn. Das Ticken der Uhr.
Sonst tiefste Stille im Zimmer. Schrill gellte in
die Ruhe hinein die Glocke des Fernsprechers. Ein
Angestellter meldete sich und wandte sich sofort an
den Besitzer des Werks. Der Inhaber der Fabrik
im alten Schlosse verlangte ihn persönlich zu sprechen.
Hastig griff jener den .Hörer. Er meldete sich. Nur
wenige Worte von drüben. „Abgelehnt?" Er trat
einen Schritt näher zum Apparate.
Noch eine längere Ausführung von drüben folgte.
Wie eine Bagatellsache hatte ein vortragender Rat
im Ministerium die Bahnangelegenheit bei Seite
geschoben. Einige Interessenten hatten sich noch
mals persönlich bemüht. Die Regierung habe näher
liegende Aufgaben.
Schweigend trat der Herr an seinen Platz zurück.
Dann wandte er sich plötzlich und blickte hinaus in
das Abendgrau, durch das leise schwebend nun
weißes Gewirre herniederrann.
Lange, lange.
Leiser noch als zuvor war es in dem Raume ge
worden. Nur die alte Uhr tickte in gleichmäßigem
Schlage.
Als der Herr des Werkes zu seinem Arbeitstische
zurückgekehrt war, sah man ihn über Berechnungen,
Risse und Pläne gebeugt sitzen.
Die Uhr tickte, tickte. —
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. In der Januar
sitzung des Vorjahres war eine Denkschrift des Regierungs
rats Hempel über den „Kurhessischen Staatsschatz
und Laudemialfonds und die Geldleistungen Preußens
für die Provinz Hessen-Nassau" zur Verlesung gekommen.
Ter Verfasser versuchte darin nachzuweisen, daß unsere
Provinz unter Preußen eine Entwicklung genommen habe,
die das Kurfürstentum nie hätte erreichen können. Diese
Denkschrift gab dem Hessischen Volksbund Veranlassung,
am letzten Unterhaltungsabend des Vereins (6. November)
durch Schriftsteller W. M. I d e eine Gegenschrift zur
Verlesung zu bringen. Darin wird zu Eipgang betont,
daß in keiner Weise der Beweis dafür erbracht sei, daß
die Geldbestände von 1830 dieselben waren, die im
vorausgegangenen Jahrhundert für hessische Söldner
truppen von England gezahlt wurden. Die Lüge von
den „verkauften Landeskindern" sei seit Presers Schrift
über den „Soldatenhandel in Hessen" endgiltig widerlegt.
Völlig unbewiesen sei die Behauptung der Hempelschen
Denkschrift, der kurhessische Hausschatz sei 1866 in
preußische Verwaltung, „wahrscheinlich in den Besitz
der preußischen Krone" übergegangen, nnd es sei „an
zunehmen", daß die von den höfischen Agnaten gestellten
Ansprüche auf Zahlung von Jahresrenten mittels dieses
Hausschatzes befriedigt wurden. Ebenso befremdlich wie
diese Wahrscheinlichkeitsrechnung sei die Behauptung, der
Staatsschatz sei dem Regierungsbezirk Kassel zur Ver
wendung für bestimmte Zwecke als ein ihm gehöriges
Vermögen überwiesen und nach dem Zeugnis eines Un
genannten stets im Interesse Kurhessens verwendet worden,
und die fernere Behauptung, der Laudemialfonds sei
gleichfalls nach der Annexion dem kurhessischen Lande
erhalten geblieben. Dem gegenüber sei folgendes fest
zustellen : Preußen fand 1866 außer vielen anderen
Werten in Hessen vor einen Hausschatz von 6 Millionen
Talern, einen Staatsschatz von 6 Millionen Talern und
ein Guthaben von mehr als 5 Millionen Talern bei der
Landeskreditkasse. Preußen hat diesen Haus schätz,
der nur in seinen Zinsen dem in Kurhessen regierenden
Landesherrn zustand, im Kapital aber dem Volke ge
hörte, dem preußischen Staatsvermögen einverleibt und
mit der Abfindung der Agnaten des Kurhauses die steuer
zahlende Bevölkerung belastet. Der Staatsschatz,
dem politisch einflußlosen Kommunallandtag auf demütige