Full text: Hessenland (36.1922)

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droben schon die Entwürfe, die Verträge, fertig für 
ein neues Werk, das mit allen Feinheiten des 
modernen Betriebes ausgerüstet imstande wäre, nicht 
nur den Betrieb der Hütte aus ihren besten Tagen 
zu vervielfachen? Ruhten nicht in diesen Plänen 
Keime zu einem Aufsteigen auf die Höhe der Kon- 
kurrenzwerke, die jetzt schon die alte .Hütte längst 
überflügelt? Und war nicht sein Name, seine Ar 
beitskraft schon an sich ein Schlüssel zu allen Bank 
verbindungen, deren er zu neuem Aufschwünge nun 
einmal benötigte? 
Aber? 
Ja, es war ein „Aber" dabei! Es war ein 
Neues, das er aufrichten mußte! Ja, wenn es 
noch auf dem alten Platz am Walde gewesen wäre, 
am alten Orte, an dem nun einmal Hütte und 
Namen hafteten! Aber es war ein völliges Ver 
lassen des alten Bodens. Zwar der Name blieb, 
aber es war doch mehr, das ihn fesselte. Und wenn 
zehnmal und hundertmal ruhige kaufmännische Über 
legung ^zu dem entscheidenden Schritte riet. Blut 
der Väter war es, das ihn bannte. Hier am Orte 
hatten sie geschafft. Und was sie geschafft, war ihm 
überkommen. Durfte er es verschleudern? Der Ver 
stand sagte: ja. Das Gefühl, das Herz, das eigen 
sinnige, strebte wieder dem „Nein" zu. Es war. 
als ob aus jedem Steine der Hütte die Ahnen zu 
ihm sprächen. Stolzer als er auf die seinen konnte 
auch nicht der zu Schild und Helm Geborene auf 
sein Geschlecht blicken. Am Forsthofe führte sein 
Weg vorbei. Ter alte Hegemeister stand in der 
Tür, ein Granbart, dem mancher Herbstregen und 
mancher Tezemberschnee auf Haar und Bart gelegen. 
Neben ihm, im schmucken Rocke des Forstgehilfen, 
sein Sohn, der hier wohl auch wohnen würde der 
einst, wenn des Vaters letzter Pulverdampf ver 
flogen. So wie hier die Vorväter in langer, langer 
Reihe sich als Hüter der Forst gefolgt. Hinüber und 
herüber schwebte der Gruß. Es war, als spräche 
jeder leise-zum andern: „Du und ich, wir gehören 
hierher! Dies ist unser Grund!" 
Am Kirchplatze vorbei ging der Weg des Herrn 
der Hütte. Tie breiten Linden standen wie Wächter 
um den schlichten Bau. Auf dem freien Platze 
spielten die Kinder. Und er erinnerte sich, daß einst 
in stürmischen Tagen, da ein neuer Geist durch das 
Land brauste, der Altes rüttelte, Morsches brach, 
und dennoch vorübergetost war wie ein Gewitter 
im Februar, ohne den Lenz zu bringen, daß damals 
sein Vater mit wenigen andern vor jeder hastigen 
Neuerung gewarnt, da man zwar wisse, was man 
aufgebe, nie aber, was man dafür eintausche. Da 
war der Vater den Stürmern und Drängern ent 
gegengetreten, hatte dem Hohne, dem Schimpfe ge 
trotzt, weil ihm die Tage noch nicht reif schienen 
zu neuem Werden. Man hatte den Vater einen 
Träumer gescholten, der am Alten hänge, der den 
Geist der neuen Zeit nicht verstehe. War er nicht 
der Sohn? Und war er nun nicht selbst bereit, 
einen Schritt zu tun,-der übereilt war, den er 
bereuen, zurückzutun wünschen müsse, wenn es ihm 
später vergönnt sei, auf Getanes zurückzuschauen? 
Durfte er gehen, durfte er dem Zeitgeiste folgen? 
Sich von der Heimatsscholle, die ihm Kraft gab, 
lösen? Durfte er sich dem Mammonsdienste in die 
Arme werfen? Durfte er alle die Familien, die 
gleich ihm vom Ertrage der Arbeit, der Hütte lebten, 
durfte er sie verlassen? Dort saß ein alter Former 
vor der Tür, auf der Treppe seines Häuschens. 
Die lange Pfeife, aus der er behaglich den Dampf 
blies, lag zwischen seinen Knieen. Um ihn eine 
Schar spielender Enkel. Sein Sohn, gleich ihm int 
Werke tätig, stand am Sägebocke, schnitt Buchen 
knüppel in kurze Stücke, Stücke, die sein Weib auf 
einen Haufen schichtete. Ein Bild des Friedens. 
Man sprach so viel von sozialen Pflichten! War es 
nicht hier die seine, einen Arbeiterstand, der auf 
eigener Scholle saß, wie er, zu erhalten? Diente, er 
nicht damit dem gesellschaftlichen Frieden? Denn 
was erwartete jene, die durch Eingehen des Werks, 
seiner Hütte, brotlos wurden? Entweder, sie 
folgten ihm, dann verloren sie die Verbindung mit 
dem Heimatboden. Sie, die hier nach dem Staub 
und Ruß und Qualm der Hütte ihr Land bauten, 
die sich 'frisch hielten an Herz und Geist in der 
Natur, sie gingen in der Großstadt unter, sie ver 
kümmerten an Seele und Leib in dem seelenlosen 
Steinhaufen. Obgleich einige, wenige, Tüchtige sich 
zu gehobenen Stellungen durchrangen! Oder aber, 
die eigene Scholle hielt sie fest, wenn die Hütte 
einging. Sie sollten, sie würden umlernen! Ja, 
was? Und über kurz oder lang blieb auch ihnen 
nur der Weg zur Stadt. Zur tosenden, nimmer 
rastenden, friedlosen! 
Vor dem Ende der Straße lag breit das einstige 
fürstliche Schloß. Nun war es der Herrenbau der 
Fabrik, die unter günstigeren Verhältnissen arbeiten 
konnte als die Hütte am Walde. Doch auch sie 
entbehrte bitter den Anschluß an das Geäder des 
Weltverkehrs. Zwar machten ihre hochwertigen Fa 
brikate, die örtliche Bodenschätze benutzten, den 
Mangel weniger fühlbar. 
Ein Hund schlug an. Durch den stillen Hos, der 
noch ganz wie das Schloß den barocken Charakter 
seiner Anlagezeit sich erhalten, ging der Hütten 
besitzer. Die breite Freitreppe hinauf. Mit dem 
befreundeten Fabrikanten wollte er sich nochmals 
bereden». Das Schicksal des Bahnprojektes war es, 
das ihm Schicksal ward, und 'das ihm darum be 
sonders am Herzen lag. 
Schon verglühte hinter dem Walde das Tages-- 
gestirn, als er das Haus verließ. Am Stromufer 
den Pfad schritt er entlang. Drüben, ferne, aus 
dem Walde leuchteten jetzt im letzten Sonnenlichte 
die obersten Zinnen der Burgruine herüber, die, aus 
dem roten Felsgestein des Berges erbaut, ins stille 
Tal grüßte. Ihre Zeit war um. Auch sie hatte 
eine Aufgabe erfüllt. 
Das Schilf am Stromufer rauschte. Klatschend 
schlugen leichte Wellen gegen einen Fischerkahn. 
Nicht rastet der Strom, nicht der Strom des Ge 
schehens. Nie steht er still, und nicht zweimal ist
	        

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