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droben schon die Entwürfe, die Verträge, fertig für
ein neues Werk, das mit allen Feinheiten des
modernen Betriebes ausgerüstet imstande wäre, nicht
nur den Betrieb der Hütte aus ihren besten Tagen
zu vervielfachen? Ruhten nicht in diesen Plänen
Keime zu einem Aufsteigen auf die Höhe der Kon-
kurrenzwerke, die jetzt schon die alte .Hütte längst
überflügelt? Und war nicht sein Name, seine Ar
beitskraft schon an sich ein Schlüssel zu allen Bank
verbindungen, deren er zu neuem Aufschwünge nun
einmal benötigte?
Aber?
Ja, es war ein „Aber" dabei! Es war ein
Neues, das er aufrichten mußte! Ja, wenn es
noch auf dem alten Platz am Walde gewesen wäre,
am alten Orte, an dem nun einmal Hütte und
Namen hafteten! Aber es war ein völliges Ver
lassen des alten Bodens. Zwar der Name blieb,
aber es war doch mehr, das ihn fesselte. Und wenn
zehnmal und hundertmal ruhige kaufmännische Über
legung ^zu dem entscheidenden Schritte riet. Blut
der Väter war es, das ihn bannte. Hier am Orte
hatten sie geschafft. Und was sie geschafft, war ihm
überkommen. Durfte er es verschleudern? Der Ver
stand sagte: ja. Das Gefühl, das Herz, das eigen
sinnige, strebte wieder dem „Nein" zu. Es war.
als ob aus jedem Steine der Hütte die Ahnen zu
ihm sprächen. Stolzer als er auf die seinen konnte
auch nicht der zu Schild und Helm Geborene auf
sein Geschlecht blicken. Am Forsthofe führte sein
Weg vorbei. Ter alte Hegemeister stand in der
Tür, ein Granbart, dem mancher Herbstregen und
mancher Tezemberschnee auf Haar und Bart gelegen.
Neben ihm, im schmucken Rocke des Forstgehilfen,
sein Sohn, der hier wohl auch wohnen würde der
einst, wenn des Vaters letzter Pulverdampf ver
flogen. So wie hier die Vorväter in langer, langer
Reihe sich als Hüter der Forst gefolgt. Hinüber und
herüber schwebte der Gruß. Es war, als spräche
jeder leise-zum andern: „Du und ich, wir gehören
hierher! Dies ist unser Grund!"
Am Kirchplatze vorbei ging der Weg des Herrn
der Hütte. Tie breiten Linden standen wie Wächter
um den schlichten Bau. Auf dem freien Platze
spielten die Kinder. Und er erinnerte sich, daß einst
in stürmischen Tagen, da ein neuer Geist durch das
Land brauste, der Altes rüttelte, Morsches brach,
und dennoch vorübergetost war wie ein Gewitter
im Februar, ohne den Lenz zu bringen, daß damals
sein Vater mit wenigen andern vor jeder hastigen
Neuerung gewarnt, da man zwar wisse, was man
aufgebe, nie aber, was man dafür eintausche. Da
war der Vater den Stürmern und Drängern ent
gegengetreten, hatte dem Hohne, dem Schimpfe ge
trotzt, weil ihm die Tage noch nicht reif schienen
zu neuem Werden. Man hatte den Vater einen
Träumer gescholten, der am Alten hänge, der den
Geist der neuen Zeit nicht verstehe. War er nicht
der Sohn? Und war er nun nicht selbst bereit,
einen Schritt zu tun,-der übereilt war, den er
bereuen, zurückzutun wünschen müsse, wenn es ihm
später vergönnt sei, auf Getanes zurückzuschauen?
Durfte er gehen, durfte er dem Zeitgeiste folgen?
Sich von der Heimatsscholle, die ihm Kraft gab,
lösen? Durfte er sich dem Mammonsdienste in die
Arme werfen? Durfte er alle die Familien, die
gleich ihm vom Ertrage der Arbeit, der Hütte lebten,
durfte er sie verlassen? Dort saß ein alter Former
vor der Tür, auf der Treppe seines Häuschens.
Die lange Pfeife, aus der er behaglich den Dampf
blies, lag zwischen seinen Knieen. Um ihn eine
Schar spielender Enkel. Sein Sohn, gleich ihm int
Werke tätig, stand am Sägebocke, schnitt Buchen
knüppel in kurze Stücke, Stücke, die sein Weib auf
einen Haufen schichtete. Ein Bild des Friedens.
Man sprach so viel von sozialen Pflichten! War es
nicht hier die seine, einen Arbeiterstand, der auf
eigener Scholle saß, wie er, zu erhalten? Diente, er
nicht damit dem gesellschaftlichen Frieden? Denn
was erwartete jene, die durch Eingehen des Werks,
seiner Hütte, brotlos wurden? Entweder, sie
folgten ihm, dann verloren sie die Verbindung mit
dem Heimatboden. Sie, die hier nach dem Staub
und Ruß und Qualm der Hütte ihr Land bauten,
die sich 'frisch hielten an Herz und Geist in der
Natur, sie gingen in der Großstadt unter, sie ver
kümmerten an Seele und Leib in dem seelenlosen
Steinhaufen. Obgleich einige, wenige, Tüchtige sich
zu gehobenen Stellungen durchrangen! Oder aber,
die eigene Scholle hielt sie fest, wenn die Hütte
einging. Sie sollten, sie würden umlernen! Ja,
was? Und über kurz oder lang blieb auch ihnen
nur der Weg zur Stadt. Zur tosenden, nimmer
rastenden, friedlosen!
Vor dem Ende der Straße lag breit das einstige
fürstliche Schloß. Nun war es der Herrenbau der
Fabrik, die unter günstigeren Verhältnissen arbeiten
konnte als die Hütte am Walde. Doch auch sie
entbehrte bitter den Anschluß an das Geäder des
Weltverkehrs. Zwar machten ihre hochwertigen Fa
brikate, die örtliche Bodenschätze benutzten, den
Mangel weniger fühlbar.
Ein Hund schlug an. Durch den stillen Hos, der
noch ganz wie das Schloß den barocken Charakter
seiner Anlagezeit sich erhalten, ging der Hütten
besitzer. Die breite Freitreppe hinauf. Mit dem
befreundeten Fabrikanten wollte er sich nochmals
bereden». Das Schicksal des Bahnprojektes war es,
das ihm Schicksal ward, und 'das ihm darum be
sonders am Herzen lag.
Schon verglühte hinter dem Walde das Tages--
gestirn, als er das Haus verließ. Am Stromufer
den Pfad schritt er entlang. Drüben, ferne, aus
dem Walde leuchteten jetzt im letzten Sonnenlichte
die obersten Zinnen der Burgruine herüber, die, aus
dem roten Felsgestein des Berges erbaut, ins stille
Tal grüßte. Ihre Zeit war um. Auch sie hatte
eine Aufgabe erfüllt.
Das Schilf am Stromufer rauschte. Klatschend
schlugen leichte Wellen gegen einen Fischerkahn.
Nicht rastet der Strom, nicht der Strom des Ge
schehens. Nie steht er still, und nicht zweimal ist