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nach dem Schlüssel unter dem Spiegel und sah
betroffen auf, als sie statt seiner den bloßen Nagel
fühlte — der Schlüssel war nicht da. Heftig schrak
sie zusammen, blickte auf den Fußboden, auf die
Fenstersimse — der Schlüssel lag da nicht. Nun
fuhr sie mit der Hand in die Laschst. lief in die
Kammer nebenan und durchsuchte das Kleid, das
sie gestern im Backhaus getragen — nirgends eine
Spur von dem wichtigen Gegenstand. Sie riß das
Fenster auf und ries dem Markus entgegen. Nein,
er wußte nichts vom Schlüssel.
In heißer Angst lief die Blümchen ins Back
haus — sollte sie den Schlüssel nicht mit heim- .
genommen haben? Der Backofen war fest ver
schlossen, auch hier vom Schlüssel nichts zu sehen.
Sie schrie den Bäcker an, der hob nur spöttisch die
Achsel. Beschämt, verzweifelt begann die Angst
gequälte den Backraum abzusuchen, machte sich,
gebückt, den Blick am Boden, auf den Heimweg,
kehrte wieder zurück. Nun kamen auch schon andere
Frauen, um ihre Töpfe zu holen. Da brach die. !
Blümchen in Tränen aus. Ein ums andre Mal
beteuerte sie, daß sie den Schlüssel mitgenommen
und zu Hause unter den Spiegel gehängt habe.
Mehr und mehr Frauen kamen heran, eine jede ging
in den Backraum, rüttelte am Schloß und suchte
den Boden ab. Auch Männer kamen nun herzu —
alle redeten und gestikulierten, die Aufregung wuchs
von Augenblick zu Augenblick. Ta schlich auch die
Blümchen wieder heran, schier gebrochen, nachdem
sie daheim zum drittenmal alle Ecken und Winkel
vergebens durchsucht hatte. „Denn misse mer uff-
breche lasse!" rief da der dicke Sandel, den bereits
der Hunger plagte. „Ja, uffbrechen lassen!" meinten
auch verschiedene andere. Aber da erboste der Heß,
einer der Ältesten, sich mächtig. „Uffbrechen an
Schabbes, wo mer soll kein Werk tun?!" schrie er
so laut, daß ihm die heisere, krähende Stimme über
schlug. Rollenden Auges drängte er sich durch die
Menge, seine kleine, magere Gestalt reckend, um
sich das Ansehen eines Propheten zu geben. Die
meisten verstummten, nur der Adolf und der Iwan,
die als Viehhändler oft weitere Reisen unternahmen
und im Gerüche freierer Ansichten standen, mur- !
melten widerspruchsvoll uud wechselten unwillige
Blicke. Der Bäcker kam herbei und setzte eine Frist
für die Räumung des Ofens, er mußte für die
Sonntagskuchen der Christenfrauen einheizen. Da
schnellte die allgemeine Erregung auf den Siede
punkt empor. Die Gebärden und Bewegungen wur
den vielsagender, stürmischer, die Stimmen lauter,
gereizter. Nur die Blümchen saß ganz zerbrochen
auf einem Reisighaufen vor dein Haufe und wand
sich wie in Schmerzen, krank und elend war ihr
zu Sinne.
Wie von ungefähr kam der Kallmen daher. Er
blieb stehen, als er den Wirrwarr sah und empfand
ein Behagen, das den knurrenden Magen eine
Weile besänftigte — Rache ist süß.
„Nu, was is? Was is los?" fragte er dann.
Niemand antwortete ihm. Er lächelte hämisch,
schadenfroh, seine Hand liebkoste den kleinen Schlüssel
in der Hosentasche. „Nu," sagte er dann zur Blüm
chen, in deren Nähe er stand, „nu, so bin ich's doch
nich allein heut, der Fasttag hat — Fasttag am
Schabbes!"
Die Blümchen fuhr aus. „Kallmen," sagte sie
und reckte feierlich, wie zum Schwur, die Rechte
uach oben, „Kallmen, wenn der Schlüssel gefunden
würde, sollten Se den ganzen Schabbes bei mev
' essen - nich nur diesen Schabbes — drei andre
noch!"
„Bei uns auch drei Schabbes!" sagte die Frad-
chen, die es hörte, „bei mir auch drei!" rief die
Taumer, „und bei mir einen", der Aron, der
Witwer war. Der Ruf pflanzte sich bis in das
Backhaus hinein fort, und alle kamen heraus. Auf
kurze Zeit war das allgemeine Mißgeschick vergessen,
man lachte und. rief immer wieder: „Bei mir auch
drei!"
Dem Kallmen verschlug es den Atem. Ganz
blaß war er geworden und er mußte die Hand aufs
ungebärdige Herz drücken. Mit geschlossenen Augen
lehnte er an der Lehmwand des Backhauses. „Lang
sam, langsam," rief er, „nich so schnell. Also, bei
der Blümchen drei Schabbes, bei der Fradchen drei
Schabbes, bei dem Aron drei" — „Nee, bei mir
nur ein Schabbes!" schränkte der Aron lachend ein.
„Bei der Taumer drei", fuhr der Kallmen fort
und zählte dabei an den Fingern. — Es kam eine
ansehnliche Ziffer heraus. „Ach," sagte er dann,
„so brauch' ich mein Leben lang an keinem Schabbes
mehr zu fasten!"
Beseligt lächelte er, seine Hand fuhr iu die
Hosentasche. Aber dann stockte er, und sein Gesicht
wurde bitter ernst — wenn er jetzt den Schlüssel
herausgab, war alles verloreu. Nicht nur an jedeur
Schabbes würde er fasten müssen — dem Hunger
tod würde er verfallen sein.
„Das is alles gilt und schön mit die drei Schab
bes, aber, wenn der Schlüssel sich nich find ?!"
Lachen und Heiterkeit waren plötzlich verflogen,
der Ernst der Lage wurde wieder drückend emp
funden und laut beredet. Traurig schlich der Kall
men sich hinweg. Wie den Schlüssel vorlegen? Un
auffällig, so daß kein Verdacht aufkam? Am Hause
der Blümchen blieb er stehen, die Tür war offen —
wenn er den Schlüssel geschwind, wie er ihn an
sich gebracht, drinnen wieder von sich täte? Un
möglich. Die Blümchen hatte wohl in ihrer Woh
nung das Unterste zu oberst gekehrt. Wenn der
Schlüssel sich jetzt darin fand — nein, das ging
nicht. Langsam, grübelnd ging er weiter. Von Zeit
zu Zeit blieb er stehen — kein rettender Gedanke
tvollte ihm kommen. Die kleinen Mädchen der
Blümchen begegneten ihm, sie wollten wohl heim,
zum Essen. Die erhielten nun auch kein Mittag
brot, die armen Dinger, dachte er mitleidig. Alsi
sie vor ihm standen, fiel Kallmens Blick auf das
Perltäschchen der Jüngeren, und plötzlich kam ihm
ein Einfall. Er beugte sich nieder und sprach mit