Full text: Hessenland (36.1922)

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ministerium zur Gutheißung zu serrden. Von den 
Zivilprozessen des Kriegsministeriums will ich zwei 
Gattungen etwas näher berühren, nämlich die Pro 
zesse wegen der Exerziergerechtigkeiten (auf dem 
Forst und dem Schützenplatz bei Kassel, dem Graß 
bei Wehlheiden, dem Meßhagen zwischen Hofgeis- 
mar und Grebenstein und der Dörnigheimer Heide 
bei Hanau) und dann die zahlreichen Klagen alter 
kurhessischer Soldaten auf Gewährung und Nach 
zahlung kapitulationsmäßiger Pension von 1 Taler 
monatlich auf Grund der Verordnung vom 15. Sep 
tember 1789. Nachdem die kurhessische Verfassungs 
urkunde vom 5. Januar 1831 die Eröffnung des 
Rechtswegs für Forderungen gegen den Staat aus 
gesprochen hatte, war von einem alten Soldaten 
auf Gewährung der in jener Verordnung verheißenen 
Pension geklagt und der Prozeß von ihm in höchster 
Instanz gewonnen worden. Sein Beispiel fand 
mehrfache Nachahmung mit gleichem Erfolg. Als 
daher kurz nach meinem Eintritt in das Kriegs 
ministerium wiederum eine derartige Klage einlief, 
beantragte ich deren gütliche Erledigung. Aber 
Kriegsminister Schmidt wollte davon nichts hören, 
indem er das Recht der betreffenden Soldaten nicht 
anerkannte und behauptete, daß das Oberappellations 
gericht bei der Beurteilung von falschen Grund 
sätzen ausgehe. So wurde sich denn auf die Klage 
eingelassen, freilich ohne günstigen Erfolg. Später 
gelang es mir, bei dem Oberappellationsgericht 
durchzusetzen, daß den Klägern nur Verzugszinsen 
vom Tage der Klagbehändigung, nicht, wie bisher 
in mehreren Fällen geschehen, von der Fälligkeit 
der einzelnen Pensionsbeträge ab zuerkannt wurden. 
Auch gelang es mir in einzelnen Fällen auf Grund 
der besonderen Verhältnissen entnommenen Ein 
reden Zurückweisung der Klagen herbeizuführen. 
Im allgemeinen aber wurde sich nach dem Abgang 
von Schmidt mit den durch die Umtriebe eines 
Winkelschreibers in Hofgeismar immer zahlreicher 
auftretenden Forderungsberechtigten in billiger 
Weise gütlich verständigt. 
(Fortsetzung folgt.) 
Der Schabbesgast. 
Von M. Brehm. 
Freitagnachmittag. Den Kochtopf mit dem vor 
bereiteten Schabbesgericht im Arm, strebten die 
Judenfrauen dem Backhaus zu, um es dort über 
Nacht schmoren zu lassen. Ganz wie zufällig stand 
in dem Backraum, lässig an den Tisch gelehnt, die 
Füße übereinandergeschlagen, die Hände in den 
Hosentaschen, der Kallmen. Neben ihm lag, gleich 
sam zur Begründung seiner Anwesenheit, der halbe 
Brotlaib, den er eben vom Bäcker erstanden hatte. 
Der Kallmen hatte sich so ausgestellt, daß die Blicke 
der ankommenden Frauen sofort auf ihn fallen 
mußten. Er begrüßte jede aufs freundlichste, rich 
tete an die eine ein Scherzwort, suchte mit der 
andern ein Gespräch anzuknüpfen, das, je nach 
Person und Umständen, das schöne Wetter, das 
letzte Tagesereignis oder auch den Inhalt ihres 
Kochtopfs betraf. Aber der Kallmen mußte die 
unerfreuliche Erfahrung machen, daß die meisten 
der Frauen ihm mit Zurückhaltung, wenn nicht 
mit Abweisung begegneten. So verstummte er zu 
letzt und begnügte sich damit, zuzusehen, wie der 
hart bedrängte Bäcker seiner Aufgabe gerecht wurde, 
von den Frauen, von denen eine jede zuerst bedient 
sein wollte, die Töpfe entgegen zu nehmen und in 
den Ofen zu schieben. Aber obwohl dies Schauspiel 
eine anregende Unterhaltung bot, verfinsterten Kall- 
mens Mienen sich, mehr und mehr — keine Einzige 
hatte ihn für den morgenden Schabbes zu Tische 
geladen, obschon sie wußten, daß für ihn kein Topf 
in den Ofen geschoben wurde! Und warum überging 
man ihn? Nur, weil der Gäßchen-David dazu 
gekommen war, als er vorgestern in einem Wirts 
haus der Kreisstadt trefe gegessen hatte. Ach, diese 
Stockjuden, diese Moscheroschs, die am Alten, Un 
sinnigen klebten, weil sie ein Brett vor dem Kopfe 
hatten, weil sie niemals wie er, der Kallmen, in die 
Welt hinausgekommen waren! 
Der Backraum leerte sich allmählich, nur wenige 
Töpfe noch waren in den Ofen zu schieben. Der 
Topf der Blümchen kam zuletzt, weil ihr heute das 
Beschließeramt am Backofen zufiel. Der Bäcker 
legte die Ofentüre an und schob den Riegel vor. 
Die Blümchen kam mit einem großen Vorhänge 
schloß, drehte den Schlüssel um und versicherte sich 
durch vielmaliges Zerren und Rütteln am Schlosse, 
daß sie ihres Amtes gilt walte. Dann ging auch 
sie. Ingrimmig sah der Kallmen ihr nach, seine 
Blicke hingen an dem Schlüssel, der zusammen mit 
einer Holzkugel auf einen dünnen Lederriemen ge?- 
schnürt, an Blümchens Fingern baumelte. — Dieser 
Schlüssel hütete den kostbaren Schatz, an dem er 
nicht teilhaben sollte, zum erstenmal, seit er nach 
langer Abwesenheit in die alte Heimat zurückgekehrt 
war. Bisher hatte ihn, den Unbeweibten, an jedem 
Schabbes eine der Familien zum Essen geladen — 
morgen würde er hungern müssen. 
Der Kallmen nahm seinen halben Brotlaib unter 
den Arm und ging langsam heim. Beim Lumpen- 
schmul hatte er eine kleine Kammer inne. Ein Tisch, 
ein Stuhl und eine armselige Lagerstatt bildeten 
das Mobiliar seines Wohnraums. Auf dem Boden 
stand ein abgenutzter Reisekoffer, an der Wand 
hingen ein Paar schäbige Kleidungsstücke. 
Der Kallmen legte sein Brot auf den Tisch, schob 
die Hände in die Hosentaschen und trat an das 
kleine Schubfenster, das einzige des Raumes. Ge-
	        

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