Full text: Hessenland (35.1921)

45 srSE. 
hältnissen aufs engste vertraut ist, kommt vor allem der 
Umstand in Frage, daß dieses Geismar bereits im 
8. Jahrhundert urkundlich nachweisbar ist, daß auch die 
Tradition, wie sie noch Gerstenberg in seiner 1493 
begonnenen Landeschronik festhält, durchaus dieses Er 
eignis nach Geismar bei Fritzlar verlegt oder vielmehr 
nach dem bei Geismar gelegenen Johanniskirchkopf, 
der noch Spuren einer Kapelle ausweist und recht wohl 
Sitz eines altheidnischen Heiligtums gewesen sein kann. 
Dieser Jestädtschen Beweisführung, die sich auch auf 
mythologische Untersuchungen stützt, ist nun wieder Dr. 
Schäfer, gleichfalls in den „Fuldaer Geschichtsblättern", 
entgegengetreten, der nach wie vor an seiner Hypothese 
Hofgeismar festhält. Nach angeregter Erörterung stellte 
sich auch der Kasseler Verein auf die Seite Jestädts, 
wenn er sich auch nicht verhehlte, daß ein unmittel 
barer schlüssiger Beweis für keine der beiden Annahmen 
geführt werden könne und die ganze Untersuchung schließ 
lich auf eine historisch-philologische Auslegung, hinaus 
kommt. Die Wahrscheinlichkeit spricht aber. zweifellos 
für Geismar bei Fritzlar, zumal Schäfers Urkunden 
beweise nicht über das Jahr 1200 zurückgehen und 
demnach für das 8. Jahrhundert wenig Beweiskraft 
besitzen. Professor Dr. Kn atz sprach hieraus kurz über 
die technischen Liebhabereien des Landgrafen Karl im 
Anschluß an die von Uffenbach, der 1709 Kassel be 
suchte, in seinem Reisewerk gebrachten Schilderungen. 
Rechnungsdirektor W o r i n g e r berichtete über die An 
wesenheit einer französischen Flotte auf der Fulda im 
Jahre 176Î. Es handelte sich um den Bau von 
Schleusen, um den bis Hersfeld schiffbaren Fluß für 
Transportzwecke geeigneter zu machen. Die später von 
der hessischen Regierung aufgenommenen Versuche, die 
Schiffbarmachung weiter zu fördern, erlahmte jedoch 
Ivieder, so daß auch die Schleusen bald zerfielen. Be 
kannt ist, daß auch König Ludwig von Holland seinem 
Bruder Jerome ein kleines Schiss zum Geschenk machte, 
das damals häufig die Fulda befuhr. Lehrer Blum 
teilte, an die am letzten Herrenabend mitgeteilte Be 
schwerde der Gemeinde Asbach aus 1611 über ihren 
Pfarrer anknüpfend, mit, daß dieser zwar drei Jahre 
später noch im Besitz seiner Pfarrstelle, aber nach 
Allendorf verzogen war. Auch durch zahlreiche topo 
graphische und familiengeschichtliche Mitteilungen wußte 
der Vortragende diesen Stoff noch zu ergänzen. Die 
100. Wiederkehr des Tages, an dem Kurfürst Wilhelm I. 
in der Löwenburg beigesetzt wurde, gab Schriftsteller 
Heidelbach Anlaß, die Tradition über den in Hessen 
immer als geheimnisvoll betrachteten frühen Tod des 
bei der Beisetzung hervorragend tätig gewesenen „schwar 
zen Ritters" im Zusammenhang zu betrachten. Es war 
dies der von unsern hessischen Dichtern wiederholt be 
sungene Jagdjunker Christian von Eschwege, dessen 
Rüstung in der Löwenburg jedem Hessen bekannt ist 
und dessen schönes Grabmal noch heute wohlgepflegt auf 
dem alten Kasseler Totenhof am Lutherplatz steht. — 
Vorgelegt wurde ein von Ernst Ötzel verfaßtes Werk 
„Mit der 22. Infanterie-Division", das die persönlichen 
Eindrücke des Verfassers in gefälliger Form schildert. 
Weiter wurde ein von der bekannten Schriftstellerin 
Mathilde v. Eschstruth (M. v. Eschen) dem Verein ge 
schenktes Album vorgelegt, das zahlreiche Photographien 
von Persönlichkeiten zeigt, die am Hof des letzten hes 
sischen Kurfürsten eine Rolle gespielt haben. Mitgeteilt 
wurde schließlich noch, daß sich auch in Zierenberg jetzt 
eine Ortsgruppe des Vereins gebildet hat. 
Es ist ein alter Brauch des Hessischen Geschichts 
vereins, hundertjährige Gedenktage wichtiger Ereignisse 
aus der hessischen Geschichte zu begehen. Am 14. März 
waren hundert Jahre seit der Beisetzung Kur 
fürst Wilhelms I. in der L ö w e n b u r g ver 
flossen. Das gab dem Schriftführer des Vereins Rech 
nungsdirektor W o r i n g e r Anlaß, an diesem letzt 
winterlichen Vortragsabend im Saal der Landesbibliothek 
diese denkwürdige Beisetzung und die sich daran an 
schließenden Ereignisse den außergewöhnlich zahlreichen 
Zuhörern nahe zu bringen. 
Christian von Rommel hat in einer Lebensbeschreibung 
des ersten hessischen Kurfürsten darauf aufmerksam ge 
macht, daß die Zahl 7 im Leben dieses Fürsten eine 
bedeutsame Rolle gespielt hat. Nachdem er dreimal 7 
Jahre über Hanau, fünf mal 7 Jahre (mit Einschluß 
der 7 jährigen Verbannung) über Hessen regiert hatte, 
sollte das Jahr, in dem er ein Alter von 77 Jahren 
erreicht hatte, für ihn verhängnis'voll werden. Sein 
Tod kam nicht unerwartet. An der Gicht leidend, war er 
seit dem 24. Februar an das Lager gefesselt, wenn auch 
noch geistig tätig. Doch am Morgen des 27. Februar 
zeigte sich ein bedenklicher Verfall, und der Leibchirurg 
Mann fand den Kurfürsten bereits im Verscheiden. 
Noch am Sterbetag erschien die Kundgebung, in der 
Kurfürst Wilhelm II. dem Volk den Tod seines Vaters 
mitteilte, und die übliche Landestrauer wurde angesetzt. 
Das Leichenbegängnis selbst erfolgte erst nach verhältnis 
mäßig langem Zeitraum. Der Kurfürst war im Bellevue 
schloß gestorben. Am 12. März wurde die Leiche aus 
dem Sterbezimmer in feierlichem Zug in den Thronsaal 
des Schlosses gebracht und im Paradesarg aus einen mit 
weißem Atlas überzogenen Katafalk gestellt, zu dessen 
Seite die Kapsel mit dem Herzen stand, während zu 
Füßen eine Urne mit den Eingeweiden niedergesetzt war. 
Zwei Tage lang >var die Leiche von 11—1 und 3—5 
ausgestellt und jedermann der Zutritt gestattet; von 
fünf zu fünf Minuten wurden jedesmal 20 bis 30 Per 
sonen in den Saal gelassen, und die Kasseler Bürger 
uno Beamten mit ihren weiblichen Angehörigen machten 
von dieser Erlaubnis einen ausgedehnten Gebrauch. Am 
Abend des 12. März wurde der Sarg aus den acht- 
spännigen, von Gardehusaren begleiteten Leichenwagen 
durch das Tor in der Georgenstraße über Bellevue und 
Wilhelmshöher Tor bei Nacht nach Wilhelmshöhe über 
führt, wobei die auf den Wagen des Gefolges stehenden 
Lakaien brennende Wachsfackeln trugen. In der Wil 
helmshöher Schloßkirche wurde der Leichnam wieder aus 
einem von einem Thronhimmel überdeckten Katafalk nus- 
gebahrt, indes ein doppelter Jnfanterieposten vor der 
Kirche, ein doppelter Gardedukorpsposten an der Jnnen- 
türe aufgestellt war. . Am Vormittag des 14. März um 
11 Uhr versammelte sich das Leichengefolge, nachdem 
zuvor schon das Militär in Wilhelmshöhe aufmarschiert 
war. Um 1 / 2 12 traf der neue Kurfürst in Wilhelmshöhe 
ein und begab sich in die Schloßkirche. PunA 12 er 
tönte vom Fuß der Kaskaden ein Kanonenschuß, woraus 
der Zug sich, durch weitere Schüsse geleitet, zu ordnen 
begann, um sich aus einen vierten Signalschuß hin in 
Bewegung zu setzen. Dem Leichenwagen ritt ein Ritter 
in schwarzem Harnisch voraus, ivährend das von zwei 
Stallmeistern geführte Trauerpferd dem Sarge nachfolgte. 
Dieser selbst, von der Krone, den auswärtigen Orden, 
dem Degen und Marschallstab des Verstorbenen bedeckt, 
wurde von 12 Offizieren getragen, während vier Generäle 
die Zipfel des Leichentuches hielten. Aus beiden Seiten 
des Wagens schritt ein Schweizergardedetachement. Die 
Avantgarde bildeten die reitenden Schützen und das 
Leibdragonerregiment, die Eskorte des Leichenwagens 
die Gardedukorps und die Gardehusaren, den Beschluß, 
das Husarenregiment. Das Jägerbataillon hatte die 
Löwenburg besetzt, während drei Bataillone Infanterie
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.