§*5^ 44 5^6
nur zwei Notenreihen nebeneinander ^erliefen, von
Zahlen umsprungen. Schwerfällig und schleppend
war sein Spiel. Sein ganzer Körper zitterte dabei.
Aber ein Verstoß kam niemals vor.
Wenn dann der Gottesdienst aus war und der
Henrichvetter als letzter den Kirchsteig unter der
Linde herniederkam, schauten sich die Leute nach ihm
um. Er hat s wieder gut gemacht, er kann's noch,
hieß es da, und sein Lob ging von Mund zu Mund.
Eines schöllen Tages schickte mich mein Vater
zum Henrichvetter, daß er mich im Geigenspiel
unterrichte. Eine alte Geige, die manche Kirmes
durchjauchzt hatte, wurde mein eigen. Da hat
denn mein Fiedelbogen seine Nadel manchmal
irre gemacht und der Fingerhut manchen Takt vor
lneinen Ghren getanzi. Die Jacken und Hosen
aber, die unter soviel Sang und Klang genäht
wurden, mNssen besonders gut gehalten haben.
Es ist etwas Großes, wenn Frau Musika zu
einem sagt: Ich will dich segnen. Dann macht
sie in der Regel auch das andere wahr: Du sollst
ein Segen sein. So ist auch der Henrichvetter in
seiner Gemeinde ein Segen gewesen wegen seines
Handwerks wie seiner Kunst. So oft ich meine
Geige ansehe, denke ich an ihn, und ich höre sein
Waldhorn im Kirmeszug und die Geige aus dem
Holunderbusch und sehe seine Gestalt hernieder
schreiten von der Kirche still und würdevoll. Und
ich grüße ihn aus tiefster Seele wie einen Sonntag
aus Iugendland.
Aus Heimat und fremde.
Hessen-Nassäuisches Wörterbuch, über
bas Arbeitsjahr 1920 schreibt Professor W r e d e -Mar
burg in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie
der Wissenschaften vom 3. Februar 1921. Tie im vor
jährigen Bericht ausgesprochene Sorge, ov es bei der
zunehmenden Teuerung gelingen werde, die Wörterbuch
arbeit auch in diesem Jahre auf der Höhe zu halten,
ist durch den Ausschuß des Hessen-Nassauischen Wörter
buchs einigermaßen gebannt worden, der am 9. Ok
tober in Marburg zusammentrat. Die Beratung hatte
das Ergebnis, daß seitens der Akademie und des Bezirks
verbandes Kassel eine Erhöhung der vertragsmäßigen
Zuschüsse zunächst für das laufende Jahr gewährt werden
konnte. Ferner machte Geheimrat Prof. Dr. Behaghel
uns Hoffnung auf Gießener Zuwendungen, und heute
darf mit besonderem Danke über eine erhebliche Summe
quittiert werden, die die Gießener Hochschulgesellschaft
durch die Liberalität eines ihrer Mitglieder, des Groß
industriellen Hildebrand, unserm Wörterbuch zur Ver
fügung gestellt hat. Dazu ist weiter eine hochherzige
Zuwendung des Prof. Dr. Bach mann in Zürich,
Chefredakteurs des Schweizerdeutschen' Idiotikons, ge
kommen. Es bleibt zu hoffen, daß auch für die kom
menden Jahre sich Mittel und Wege finden werden,
um die Arbeit am Wörterbuch gleichmäßig durchzu
halten. In dieser Erwartung wurde von der genannten
Konferenz beschlossen, den Druck eiues knappen für weite
Kreise bestimmten Hesseu-Nassauischen Idiotikons in die
Wege zu leiten, neben dem der Marburger Zettelapparat
als stets benutzbares Wörterarchiv (zur Zeit 160 000
revidierte Zettel) ständig auszubauen ist und der wichtige
wortgeographische Kartenschatz, der im Berichtsjahr kaum
hat vermehrt werden können, weiter gefördert werden
soll. Unserer Arbeit wird ferner zustatten kommen, daß
das dialektologische Institut, das sich durch die glück
liche Vereinigung des Hessen-Nassauischen Wörterbuchs
mit dem Sprachatlas des Deutschen Reichs hier in
Marburg herausgebildet hat, vom Minister zur Zentral
stelle für deutsche Mundartenforschung erhoben worden
ist. Die Eingänge für das Wörterbuch sind im letzten
Jahre zwar nicht so zahlreich gewesen wie im Vorjahre,
haben aber dafür an innerem Gehalte gewonnen. Allen
den eifrigen Sammlern, die sich jetzt in schöner Gleich
mäßigkeit über das ganze Wörterbuchgebiet verteilen,
sei aufs neue herzlich gedankt. Die unmittelbaren Mit
arbeiter hier am Orte sind die alten geblieben: die
Studiepassessoren Dr. Kroh und Dr. Witzel (jetzt in
Frankfurt), Frl. Dr. Bertholt», Oberlehrer Canstein,
die Sekretärin Frl. Krahmer. Wissenschaftlicher und
heimatsfreudiger Idealismus ließen ihren Eifer für das
Wörterbuch nicht erlahmen, auch als ihren Leistungen
während des Jahres der äußere Lohn nicht immer ent
sprechen konnte. Ihrem Interesse wird es nicht am
wenigsten zu danken sein, wenn das Wörterbuch trotz
der Schwere der Zeiten mit unverminderter Hoffnungs
festigkeit ' in das neue Arbeitsjahr hineingeht.
, He s s i scher G e s ch i ch t s v e r e i n. Der letzte
Herrenabend dieses Winters am 7. März brachte zunächst
einen Vortrag des Geheimrats Scheibe, der die Be
setzung Frankfurts durch die Franzosen im Jahre 1792
und deren Vertreibung behandelte und durch Mitteilung
von Aktenauszügen, Briefen des Generals Custine, Auf
rufen, Schreiben Frankfurter Bürger, hessischen Rap
porten usw. einen Zeitabschnitt lebensvoll wieder aus
leben ließ, der manchen Vergleich mit der Gegenwart,
aber auch trostreiche Ausblicke zuließ. Bankbeamter
Ernst W o r i n g e r berichtete über einen viertägigen
Besuch Petersburgs anläßlich seiner Rückkehr aus sibi
rischer Gefangenschaft: der Vortragende sah in der
dortigen Jsaakskathedrale, deren Wand früher zahlreiche
Trophäen trug, u. a. ein Schild,, wonach hier auch
ein Stadtschlüssel Kassels hing. Es handelte sich um
einen Torschlüssel der Stadt, der 1813 dem mit seinen
Truppen einrückenden russischen General Tschernitscheff als
Zeichen der Übergabe eingehändigt war und von diesem
durch Vermittlung des Grafen Wintzingerode und Ber-
nadottes Kaiser Alexander I. ausgehändigt war, der ihn
nach Petersburg überführen ließ. Eine lebhafte Aus
sprache, an der sich namentlich Professor Dr. Fuckel,
General Eisen traut und Oberbibliothekar Dr. Hopf
beteiligten, brachte die erneute Erörterung über die
Lage der von Bonifatius gefällten Donareiche. Bekannt
lich hatte im Vorjahr Archivrat Dr. Schäfer sich
dahin ausgesprochen, daß nur das heutige Hofgeismar
als derjenige Ort in Frage komme, wo Bonifatius aus
dem Holz der gefällten Eiche eine Kapelle erbaut habe.
Dem ist nun neuerdings in den „Fuldaer Geschichts
blättern" Dechant Jestädt, der bekannte Geistliche am
Fritzlarer Dom, entgegengetreten, der wieder lebhaft für
Geismar bei Fritzlar eintritt. Für Jestädt, der mit.
der Vorgeschichte der Gegend und den örtlichen Ver