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die schwarze Nacht hinaus. Im Graben unterhielt
sich der Leutnant mit den Posten der Kompagnie,
wovon viele Hessen waren, besuchte den Feind und
kam nach ein paar Stunden durchnäßt und dreckig
wieder in den Stollen mit den Worten: „Na, Kon
rad, nun haben wir dem Franzmann mal wieder
ein krachendes Nachtwächterlied gesungen und einen
Haufen Handgranaten gemispelt, und die spektakeln
doch noch besser als der Base Sabine ihre Tassew-
scherben!" Vor ein paar Wochen hat mich mein
Leutnant hier besucht. Er verlor sein rechtes Auge
beim Rückzug 1918. Da haben ihn ich und Willi
noch getragen. Mein armer'Kamerad ist dann am
nächsten Tag von einer Granate zerrissen worden."
Sabine bemerkt, daß sie sich über den fremden Besuch
gewundert habe, Anna hätte ihr aber dann erzählt,
es hätte ein Student Konrad besucht und das sei
sein Kompagnieführer gewesen und er hätte ihm eine
Kiste Zigarren mitgebracht. „Die Glocke hat zehn
geschlagen", fällt ihr Konrad in die Rede. „Der
Krieg ist vorbei und die Nachtwächterei im Schützen
graben auch. Also ins Bett!"
Nach herzlichem Abschied verlassen wir mit den
andern Gästen die behagliche Stube. Anna leuchtet
uns noch den glatten Hausstein' hinunter, dann
läuft sie mit den Worten: „Kommt bald mal
wieder" zurück, während wir uns beeilen, nach
Hause zu kommen. „Macht's gut, Sabine, bestellt
einen schönen Gruß an Vetter Hansjörge, Base
Annekatharin und euern Rudolf!" In wenigen
Minuten sind wir daheim. Der Nachtwächter, der
bei der Linde steht, wünscht uns „Guten Abend"
und der Steinkauz ruft seinen Eulenschrei vom
hohen Kirchturm des hessischen Dorfes Süß. —
Zur Erinnerung an Wilhelm Strippel.
Von Walter
Am heiligen Abend verschied in Marburg der
ehemalige Apotheker Wilhelm Strippel aus Men
dorf an der Werra. Mit ihm ist ein Hesse von altem
Schrot und Korn heimgegangen. Seine Familie
stammt aus Maden, wo sein Urgroßvater Landwirt
, und Gerichtsschöffe, sein Großvater Bürgermeister
war. Sein Vater war Pfarrer in Dörnberg bei
Kassel, verheiratet mit Ernstine Kehr aus Wolfj-
hagen. Wilhelm Strippel, am 20. Februar 1843
in Dörnberg geboren, verlor schon mit 13 Jahreni
seinen Vater und siedelte mit seiner Mutter nach
Wolfhagen über. Noch in hohem Alter erkannte er
dankbar den guten Unterricht an, den er dort in der.
Rektorschule genossen. Nach seiner Konfirmation
trat er in Allendorf a. d. Werra bei seinem Oheim
Christian Kehr als Apothekerlehrling ein, war drei
weitere Jahre in verschiedenen Apotheken, so in
Grebenstein und Herborn. Ostern 1865 bezog er
die Universität Marburg, wo die Professoren Wi
gand, Zwenger und Kolbe seine Lehrer waren.
Seine Prüfung bestand er in der Wildschen Sonnen-'
apotheke in Kassel, schlug dann eine ihm von Pro
fessor Zwenger angebotene Assistentenstelle am
chemisch-pharmazeutischen Institut in Marburg aus,
um in die ihm liebgewordene Stellung in Herborn
zurückzukehren. Bei seinem ausgeprägten Lehr
geschick und glänzendem Gedächtnis ist es vielleicht
zu bedauern, daß er ans die akademische Laufbahn
verzichtete, er wäre sicher ein hervorragender Lehrer
geworden. 1876 entschloß er sich, die Apotheke in
Allendorf a. W. zu kaufen. Es gelang ihm, seine
Apotheke so aus die Höhe zu bringen, daß er eine
zweite Apotheke in Allendorf aufkaufen konnte. Er
machte auch einen leider mißlungenen Versuch, die
Soodener Soole für den Kurgebrauch trinkbar zu
machen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er sich
1884 mit Marie Schaub aus Allendorf verheiratet,
Kürschner.
die ihm 4 Söhne und eine Tochter schenkte. In
seinem Hause herrschte ein vorbildliches harmonisches
Familienleben. Zu der bisherigen Verwandtschaft
mit den Familien Kehr, Eschstrnth traten nun nwch
die in Hessen ebenfalls weitverbreiteten Familien
aus der Verwandtschaft seiner Frau, Schaub, Zülch,
Most, Baumann u. a.; eine von seinen Söhnen
während des Weltkrieges geführte Liste aller Vettern
führt fast 100 an, die im Feld standen, von denen
19 gefallen sind. Für alle Verwandten hatte er stets
ein warmes Herz und ein gastfreies Haus. Im
Jahr 1893 nötigte ihn sein Gesundheitszustand — er
litt viel an Schlaflosigkeit — seinen Beruf auf
zugeben; er zog zunächst nach Sooden, in sein dor
tiges selbst gebautes Haus, und arbeitete, in den
Gemeinderat gewählt, rastlos wie bisher an der
Hebung des Bades und der Kinderheilanstalt mit.
Als seine Söhne heranwuchsen, zog er nach Marburg
und kaufte in der Ockershäuser Allee ein Haus, das
er bis zu seinem Tode bewohnte. Seine Herzens»-
güte und stete Hilfsbereitschaft machte auch dieses
Haus bald wieder zum Sammelpunkt eines großen
Freundeskreises und der dort zahlreich studierenden
Vettern. Mehrere Anfälle von Herzschwäche hatten
ihn in den letzten Jahren heimgesucht, einem solchen
ist er dann ohne längeres Kranksein erlegen. Das
Bild seines arbeitsreichen Lebens würde unvoll
ständig sein, wollte man seine aufopfernde Tätigkeit
für die Allgemeinheit außer acht lassen. Bald nach!
seiner Übersiedelung nach Allendorf gründete er
dort einen Verschönerungsverein, um die nach
seinen eigenen Worten einem ungeschliffenen Edel
stein glerchende schönste Gegend Hessens besser zu
erschließen. Er fand einige Mitarbeiter, besonders
den damaligen Oberförster Danz und den Probator
Neuenroth und ging mit Eifer daran, durch An
legen von Wegen, Ruhebänken, Schutzhütten, Wege-