6
Licht und zur Finsternis, mitzuzeichneu, zeigt sich
hier in so durchdringender Beleuchtung, daß auch
der entschiedene Christ von dem sogenannten Welt
kind Goethe unendlich viel lernen kann und >veit
davon entfernt scheint, in dieser Beziehung aus-
.gelernt zu haben. „Wer das Christentum nicht in
seinem hohen Wert versteht, der gehe hier unten
im Staub der Crde bei Goethe in die. Schule";
dieser Satz belegt die innige Übereinstimmung der.
in diesem Buche vorgetragenen Gesinnung mit der
jenigen August Vilmars, der in der Vorrede zu
dem posthum erschienenen Werke seines geliebten
Sohnes nochmals betont, daß Goethes Dichtungen
aus den christlichen Kreisen nicht verbannt werden
dürfen noch können, das; sie diesen vielmehr auf das
Nächste angehören, was zu leugnen auch nur einer be
klagenswerten geistigen Beschränkung einfallen kann.
Wenn'die Tragödie „Faust" auch im Äußeren
rein christliche Züge nicht austveist, diese vielmehr,
uw sie sich zeigen, gern durch pantheistische Wen
dungen sich trüben lassen, und die .Fremdheit des
Dichters der christlichen Heilsoffeubarung selbst
gegenüber schon im „Prolog" deutlich hervorkommt,
so werden doch auf die unbewußte Weise, die im
Dichter über dessen persönliche Begrenzung hinaus
zu wirken pflegt, in der allgemeinen menschlichen
Bloßstellung des verneinenden Prinzips, und hier
allerdings auf Grund einer gewaltigen Auffassung
des Stoffes und einer ungemein sinnlichen Fülle
der Darstellung, die vornehmsten Imperative des
Christentums — Reinheit des Innenlebens, geistige
Demut, Menschenliebe und Gottvertrauen — über
alle Zeit hin erschütternd gerechtfertigt. Da jedes
Lebewesen aber nur das ihm Gemäße sucht, muß
Goethe, der im Intellektuellen nur eine nebulöse
AhnMg von den Urkräften des Christentums besaß,
doch in einer tieferen Schicht seines Weltgefühls
eine starke Witterung dieser Urkräfte um so mehr
zugesprochen werden, als er, dessen Größe ja über
all im Betonen der Hauptsache lind im Vermeiden
von, Nebensächlichem sich erweist, durch die Voll
kommenheit der Einzelbilder ein so weltmufassendes
Gesamtbild schafft, daß alle Einwände, wie sie
namentlich von einer orthodoxen Ästhetik erhoben
werden können, unbedingt verstummen müssen . . .
Das tiefe persönliche Erlebnis, die methodische
Durchdringung, die Konfrontation mit der christ
lichen Ideenwelt sind es, die dem Verhältnis Vil
mars zu Goethe, wie es der Nachwelt übersichtlich
vor Augen liegt, seine besondere Färbung und
seinen eigentümlichen Wert verleihen. Der Weg zu
Goethe, den jeder Geistige zu gehen hat, wird von
Vilmar in einer Weise erhellt, die die Anwartschaft
besitzt, in weiterem Umkreise zu wirken, als manche
vollkommenere Anleitung neueren Datums. Dieser
Umstand schien ein näheres Eingehen auf den
Gegenstand zu rechtfertigen. Im übrigen muß auch
bei dieser Gelegenheit mit Vilmar darauf hingewiesen
werden, daß eine restlose, weltgeschichtliche Wertung
Goethes erst dann inöglich fein wird, wenn ein
neuer, geistesmächtig die Nation beherrschender
Genius aufgetreten ist, von dessen Standpunkt aus
der frühere erst in seiner ganzen Größe erfaßt
werden kann.
Adolf Hildebrand f.
‘ Mit dem Heimgang Adolf Hildebrands, der irr
der Nacht zuur 18. Januar 73jährig in München
den Folgen eines Schlaganfalles erlag, hat die
deutsche Plastik ihren Meister verloren und die
abendländische Kunst einen letzten ihrer Vertreter
klassischer Art. Seine säkulare Bedeutung vor allem
in der deutschen Plastik beruht, wie Alexander Heil- >
meyer treffend zeigte, darin, daß er ihr die plastische !
Sehform gegeben, ihre ursprünglichen Allsdrucks-
formen wieder hergestellt, sie Mieder mit der Ar-
chitektlir verbunden nnb damit die Skulptur ihrer
eigentlichen praktischen Bestimmung lvieder zugeführt
hat. Meyer-Graefe hat seine Bedeutung einnial
dahin definiert, daß er vielleicht der einzige Ger
mane loar, den die Antike nicht geknickt, nicht zum
Epigonen gemacht hat. Adolf Hildebrand hat die
Antike und auch die Renaissance mit den Augen
eines inodernen Teutschen angeschaut, er hat sie
uns neu sehen gelehrt, nicht als Archäologen, son
dern als empfindende Menschen.
Adolf Ernst Robert Hildebrand lvurde am 0. Ok
tober 1847 in Marburg als Sohn des National-
ökonomen Brlllio Hildebrand geboren, den die Wir
ren des Jahres 1848 aus Hessen nach Bern ver
trieben, ivo der Knabe die ersten künstlerischen Ein
drücke empfing. Seit 1865 besuchte er die Kunstschule
ill Nürnberg, bildete sich 1866 unter Kaspar Zum
busch in München weiter, begleitete diesen 1867
nach Italien und Rom, arbeitete 1869—72 in der
Berliner Werkstütte Rudolf Siemerings und siedelte
1872 nach Florenz über, uw er mit Hans von
Marses und Kourad Fiedler das ehemalige Kloster
San Francesco di Paolo kaufte. Ende der 80er
Jahre schuf er sich in München eine zlveite Heimat,
in der er, 1913 in den Adelsstand erhoben, die
letzten Jahre seines Lebens in rüstigem Schaffen
verbrachte.
Durch Wort und 'Werk hat er der europäischen
Bildhauerei einen Halt gegeben. Fechter bezeichnet
es als Hildebrands historisches Verdienst, ivenn die