Full text: Hessenland (34.1920)

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Heinrich Bertelmann f. 
Wie ein Blitz aus heiterem Frühlingshimmel traf 
uns, die wir von seinem Kranksein nichts wußten, 
die Nachricht vom Hinscheiden Heinrich Bertelmanns. 
Zögernd nur gaben wir der bitteren Erkenntnis 
Raum, daß diesem hochgewachsenen Niedersachsen, 
der noch eben des Lebens Becher froh in der Hand 
hielt, auf der Höhe rüstigsten Schaffens des Daseins 
letzte Stunde schlug. Heinrich Bertelmann ist tot — 
erschüttert sagte es einer dem anderen, und alles 
Edle und Schöne, das wir diesem Hessendichter dan 
ken, all die sonnige, liebenswürdige Heiterkeit, die 
dem Wesen dieses edlen Menschen entstrahlte, tritt 
uns groß und leuchtend vor das von Trauer ge 
trübte geistige Auge. Tief klafft die Lücke, die 
gerade dieser Mann hinterließ,, der wie kein Zweiter 
berufen war, uns aus den Niederungen einer trost 
losen Gegenwart, unter der auch er gelitten, zu 
lichten Höhen des Höffens zu er 
heben. Nun er im Bann des ewigen 
Schweigens ruht, bleibt uns doch der 
Geist, in dem er wirkte, in seinen 
Werken, die auch unser Leben, 
dessen sind wir gewiß, überdauern. 
Es wird die Zeit kommen, da im 
Hessenland ein dankbares Geschlecht 
zu ihm als einem der besten seiner 
Dichter aufblicken und sich, wenn 
mancher andere vergessen ist, an 
seinen Schöpfungen erheben und er 
freuen wird. 
Knapp umrissen war sein äußerer 
Lebensgang. Am 15. September 
1866, in eben jenen Tagen, wo sein Heimatland 
nach mehr als sechshundertjährigem Bestand seine 
Selbständigkeit einbüßte, auf dem Pötterhof zu Nie 
dermeiser, wo schon die Urväter auf ererbter Scholle 
sich mühten, als Sohn des Landwirts Jost Heinrich 
Bertelmann geboren, besuchte er dort unter dem 
Lehrer Jungmann die Dorfschule, verlor, erst zehn 
jährig, die Mutter, bereitete sich nach der Kon 
firmation beim Lehrer Berge im nahen Zwergen, 
bei dem er schon zwei Jahre lang Klavierunterricht 
genossen, zur Präparande vor, besuchte 1881—83 
die Präparandenanstalt zu Eschwege, 1883 bis 1886 
unter Dömig und Otto das Seminar zu Homberg, 
an dem noch der greise, um die Hebung des Kirchen 
gesangs und .Orgelspiels in Hessen hochverdiente 
Professor Or. Volckmar wirkte, verbrachte dann einige 
Zeit im Elternhause, war Anfang 1887 Gehilfe in 
Schlierbach, wirkte von März 1887 an drei Jahre 
in Deisel, von 1890 an neun Jahre in Eschwege und 
war von 1899 an 21 Jahre lang als Lehrer am 
reformierten Waisenhaus in Kassel tätig, wo er am 
29. Mai der tückischen Schlafkrankheit erlag, nach 
dem ihm wenige Jahre zuvor die treue Lebensge 
fährtin, mit der er seit 1896 verbunden gewesen war, 
im Tode vorausgegangen jwar. Zwei blühende Kinder, 
Tochter und Sohn, stehen verwaist am Grabe dev 
Eltern, um ihn trauert eine große Schar von 
Kindern des Waisenhauses, denen er,, wie seine 
Mitarbeiter bezeugen, „ein pflichtgetreuer Lehrer, 
ein warmherziger und väterlicher Freund gewesen, 
der ihnen aus der Tiefe seines gütigen Herzens und 
seines poetischen Gemütes allezeit Licht und Sonne 
spendete". Licht und Sonne hat er auch unzähligen 
anderen ,gespendet durch die reichen Gaben, die 
ihm beschieden waren. Nicht groß freilich ist 
die Zahl seiner Werke, soweit sie in Buchform 
erschienen; in einer heute so selten anzutreffen 
den Zurückhaltenden Bescheidenheit hat Bertelmann 
es nie verstanden, gleich manchem 
anderen Zeitgenössischen Dichter, den 
sein Können weit überragte, sich 
im großen Kreis der deutschen Lite 
ratur Zur Geltung zu bringen. So 
gern und oft er auch in den heimat 
lichen Zeitschriften und Zeitungen, 
in Sohnreys Volkskalender, in der 
„Hilfe", im „Daheim" und „Tür 
mer" seine Gaben ausstreute, in 
Buchform hat er nur wenig hinter 
lassen. Und doch verriet schon sein 
Erstlingswerk, der 1903 erschienene 
Sang aus dem Lehrerleben „In 
Frührotund Abendschein", 
einen Dichter, der Bleibendes zu sagen wußte. In 
diesem köstlichen Idyll tritt uns neben dem form 
vollendeten Epiker der Jugendbildner entgegen, der 
sein von hohen Idealen getragenes pädagogisches 
Programm enthüllt. Höher als die alles beherr 
schende, den Lehrer im ausgetretenen Gleise ein 
kettende Methode steht ihm die Persönlichkeit: 
D i e Schule wird als beste stets gepriesen, 
Drin alles ist auf gleichen Ton gestimmt. 
Man wird zum Rad in dem Fabrikgetriebe. 
Man leiert seine Weis', dreht seinen Kreis, 
Und ist man ausgeleiert, läßt man sich 
Unbrauchbar dann zu altem Eisen werfen. 
Wo bleibt da die Persönlichkeit? o sagt! 
Und doch ist uns're Arbeit eine Kunst, 
Die heiligste, die es auf Erden gibt. 
Dem Schöpfer gleich sollt Eure Seele Ihr 
Dem zarten Kinde ins Gemüte hauchen, 
Daß Euer Glaube seine Hände falte. 
Daß Eure Liebe heiß sein Herz entflamme, 
Daß seine Wünsche himmelwärts sich wenden. 
An Eurem Hoffen, wie der Eseuranken 
Empor sich hebet an der Eiche Stamm. 
Wo ist die Kunst, die dieser sich vergleicht? — 
Heinrich Bertelmann.
	        

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