Full text: Hessenland (34.1920)

anlagen. Fülle und Reichtum der Formen, sondern 
Abgeklärtheit, Beschränkung auf das unbedingt Not 
wendige, das aber so gediegen und klar vorgetragen 
wurde, daß nichts hinzugesetzt zu werden brauchte, aber 
auch nichts weggenommen werden durfte, ohne daß das 
Ganze Schaden litt. Bei aller Sicherheit des Form 
gefühls und Ausgeglichenheit der Verhältnisse waren 
die Bauten doch sachlich, zweckentsprechend und gewissen 
haft durchgeführt. So galt es, die Straßen und Plätze 
und am liebsten die ganze Stadt zu einem vollkommen 
harmonischen Organismus herausznmodellieren. Das 
war die leitende Kraft, die Fürsten und Architekten in 
diesem Jahrhundert zu den größten Schöpfungen fort 
riß. Allerdings ist es den großen Architekten der Ober 
neustadt nicht gelungen, diese vollkommene Harmonie 
des Ganzen überall zu erreichen, dazu waren die Schwie- 
rigkeiten sozialer und anderer Art- zu - mannigfaltig. 
Und doch hatten sie es gegenüber den heutigen Architekten 
leicht. Hinter ihnen stand der Wille des Landgrafen. 
Die Bevölkerung, die angesiedelt werden sollte (Huge 
notten), war eine verhältnismäßig gleichmäßige soziale 
Schicht, dazu die Bauzeit verhältnismäßig kurz. Die 
Du Ry's konnten noch ganze architektonische Zusammen 
hänge schaffen, Plätze von künstlerischer Klarheit, wie 
es schwer wieder erreicht werden wird. Redner weist 
das an einer ganzen Reihe von Grundrissen nach. 
Gleich beim ersten Entwurf stand Paul Du Ry 1688 
für die Oberneustadt ein vollständig jungfräuliches Ge 
lände zur Verfügung, wo nichts dem künstlerischen 
Raumgedanken Abbruch tun konnte. Die Grundlage 
bildete ein Platz, äuf dem ein öffentliches Gebäude, 
die Kirche, stehen sollte. Alles, Straßen und Häuser, 
ist auf diesen Platz und die Kirche konzentriert; auch 
die ganze Form der Baublöcke ist schon in ihren Längen 
abmessungen von künstlerischer Fassung. Der Grundriß 
ist nicht zur Ausführung gekommen, aber ein ähnlicher 
Plan, der den Platz größer zeigte. Alle Häuser waren 
gleichmäßig, zweigeschossig mit Mansarden, gedacht, von 
der doppelt so großen Kirche überragt. Leider hat es sich 
nicht verwirklichen laßen, daß die Häuser alle gleich 
geschossig geblieben sind; sicher sind die Verhältnisse 
des Karlsplatzes in ihrer Wirkung dadurch nicht schöner 
geworden; immerhin bildet dieser noch am wenigsten 
verschandelte Platz noch heute ein Muster. Der nächste 
Plan zeigte einen noch großartigeren Entwurf mit pom 
pösem Ehrenhof, Schloß und Marstallgebäuden, wobei 
die Achse der Kirche zur Hauptachfe wurde. Es kommt 
aber schließlich keine hervorragende Platzlösung zur Aus 
führung, man beschränkt sich darauf, einen Teil des 
Baublocks, den späteren Meßplatz, als Platz liegen zu 
lassen, um hier ein Rathaus, ein Hospital und den 
Meßpalast zu bauen. Der Platz (1768) hat lange un 
fertig gelegen und wurde später noch mit Bäumen be 
pflanzt. Ein weiterer Plan (1767) zeigt zum erstenmal 
den Königs- und Friedrichsplatz angedeutet, diese beiden 
Meisterwerke Simon Louis Du Rys, der sich, da das 
Problem zur Lösung drängte, sehr eingehend mit der 
Verbindung der Alt- und Neustadt beschäftigte und schon 
in den letzten Jahren die Arbeiten des Vaters aus 
geführt hat. Auch was Du Ry am Friedrichsplatz ge 
baut hat, ist in seiner Anlage mustergültig. Die drei 
Gebäude an der Längsseite des Platzes, Bibliothek, Eck 
palais und katholische Kapelle, wirkten bester als die 
späteren fünf Bauten. Durch die den Platz umstellenden 
drei Baumreihen kam seine Größe in richtiges Verhält 
nis. Der große, schwer zu bewältigende Platz war fein 
abgewogen; nur zwei Wege liefen im Zuge der Frank 
furter- .und Karlstraße über den Platz, die Diagonal 
wege stammen erst aus französischer Zeit. Die zweite 
musterhafte Lösung des Anschlusses an die Altstadt. bil 
dete der Königsplatz mit 130 Metern Durchmesser. Bei 
der damaligen gleichförmigen Höhe der Häuser war die 
Bepflanzung mit Bäumen noch nicht so notwendig als 
heute. Hier können die Architekten lernen, daß man selb 
ständig sein kann, auch wenn man sich an die Nachbar 
häuser anpassen soll. Von vollkommener Harmonie 
war auch der benachbarte Opernplatz. Verstärkt wurde 
der Eindruck noch durch die Terrasse mit ihrer Balustrade. 
An eine Bepflanzung dieses Platzes, dessen Rhythmus 
ein vollendeter war, hat damals niemand gedacht. Durch 
das Spohrdenkmal ist er nicht gerade schöner geworden. 
Auch am Gardedukorpsplatz konnte Du Ry mit der 
Kaserne wieder etwas symmetrisch Schönes aufbauen. 
.Der Wilhelmshöher Platz zeigte zuerst, gleichsam als 
Gegenstück zum Königsplatz, eine runde Anlage, kam 
aber dann sechseckig zur Ausführung. Er war die letzte 
städtebauliche Lösung Du Rys. Als er 1799 starb, 
Ivaren etwa 100 Jahre vergangen, seitdem sein Groß 
vater die ersten Häuser der Oberneustadt gebaut hatte. 
Diese 100 Jahre haben der Stadt ihren Charakter ge 
geben. Leider blieb nicht alles erhalten; die nächsten 
100 Jahre brachten eine Menge von Mißklängen. Bis 
dahin war es eine Stadt, die auch hygienisch und ver 
kehrstechnisch Anspruch zu haben schien, für die Ewigkeit 
gebaut zu sein, es waren Häujer, die bei richtiger Er 
haltung niemals zu schänden geworden wären, Straßen, 
die dem Verkehr durchaus gewachsen ivaren. Auch nach 
1800 werden noch an verschiedenen Stellen einzelne 
schöne Häuser errichtet; aber das Verständnis für große 
architektonische Zusammenhänge läßt nach, der Sinn 
für ausgeglichene Verhältnisse fangt an zu verflachen. 
Schon Kurfürst Wilhelm II. ordnete an, daß die Häuser 
am Friedrichsplatz Aufbauten erhielten und so die schönen 
Giebel, desgleichen die Treppen vor den Häusern be 
seitigt wurden. Auch Straßendurchbruchsgedanken kom 
men bereits, der Friedrichsplatz ivird durch den Bau 
des Roten Palais und der späteren Kriegsschule ver 
dorben (an sich einwandfreie Bauten), ineis durch die 
nun entstandene geschlossene Front das Fallen des 
Platzes mehr zum Ausdruck kommt. 1824 kam der Tor 
bau, vor dem schon Du Ry gewarnt hatte, mit dem 
wir uns heute aber doch gern abgefunden hätten. 
Nach 1835 nahm die Entwicklung zur Veräußerlichung 
zu, die Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs ließ keinen 
Raum mehr für die Architektur, die sich mit einer 
Nebenrolle begnügen mußte. Das Verständnis für grö 
ßere städtebauliche Zusammenhänge versagte, eine voll 
kommene Unsicherheit ans dem Gebiet des Geschmacks, 
eine Urteilslosigkeit bei Laien und Fachleuten griff 
Platz. Wir können alle die späteren Neugestaltungen 
nicht einzelnen Personen, sondern müssen sie der ganzen 
Zeit zuschieben. Es fehlte an einer Stelle, die künst 
lerisch ernst genommen wurde; der Glaube an die 
Autorität eines Künstlers hatte sehr gelitten. An War 
nungen einzelner Personen hat es in Kastel, gerade bei 
den größten Verunstaltungen, nicht gefehlt. Redner 
möchte heute darüber ohne Kritik hinweggehen und lieber 
in den Vordergrund schieben, was noch geschehen kann. 
Das Erfreulichste, was die neue Zeit gebracht habe, 
sei die Anregung der Gartenkommission, die, veranlaßt 
durch die Beschränkung der Mittel zur Erhaltung der 
Plätze, aber auch der Verschönerung der Stadt dienen 
wolle. Daß diese Anregung richtig sei, glaube er, 
heute gezeigt zu haben durch die Schönheit und Eben 
mäßigkeit, die keine solchen malerischen Zutaten nötig 
habe. Warum für teures Geld gärtnerische Anlagen 
erhalten, die von jedem städtebaulich 'gebildeten Menschen 
als entbehrlich betrachtet werden müssen? Die Harmonie
	        

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