Full text: Hessenland (34.1920)

Ein Ruck — und sie standen, unruhig trappelnd 
und kaum zu bändigen. Die weiße Gestalt näherte 
sich ihnen. 
„Alwerne Biester, so steht doch endlich!" — 
und „Guten Abend, Herr Landrat!" kam eine 
Stimme aus der Dunkelheit. „Verflucht — der 
Wirt!" sagte der Kutscher, und der Wageninsasse 
lachte: „Mit Ihnen schließ ich nie einen Vertrag 
ab, eher mit dem Teufel!" 
„Wort ist Wort, Herr Landrat! Und der Deuwel 
läßt sich auch nichts abmarkten." Und so tanzte 
und dienerte er um den hohen Herrn, der aus 
steigen und sich dergestalt von ihm bewirten lassen 
mußte. Einfach mußte. Der Landrat verstand 
Spaß. Nach dem Genuß zweier Iagdliköre fuhr 
er lachend weiter. 
Wenn der Schelmenwirt mit den hohen Herren 
schon solche Tänze wagte, konnte er so 'n Geiß 
bäuerchen wie Bonaventura Rothämel erst recht 
nach seiner närrischen Fiedel tanzen lassen. Und 
das tat er denn auch oft genug nach Herzenslust. 
„He, du! Komm 'rein! Hier wird erst einer 
mitgenommen. Wer gut schmeert, der gut fährt." 
Dieser Anruf aus offenem Fenster begrüßte den 
Herannahenden. Bonaventura stand und bedachte 
sich den Fall. Er kniff nach seiner Gewohnheit 
beim Nachdenken das rechte Auge ein und zwinkerte 
mit dem linken „Überecks" nach dem Wirt, der 
seinen großmächtigen, schlohweißen Bart mit den 
Fingern kämmte. 
„Wo 'naus denn, Freundchen?" 
„Herzogshagen." 
„Geschäfte?" 
,,'n Geißchen kaufen." 
„Bei wem denn?" 
„Bei Seckel Anschel." 
„Da nimm dich in acht! Der ist gerieben. Reib' 
dir das Maulwerk erst mal gut ein, dann geht 
der Kuddelmuddel 1 besser!" 
„Jetzt net — wenn ich zurückkomm'." 
„Laß dich net beschummeln! Denk an mich!" 
„Werd' schon aufpassen." 
So entkam er diesmal glücklich. 
In der Stadt traf er's ganz nach Wunsch und 
Willen. Seckel Anschel war zu Hause und hatte 
zwei prächtige Schweizerziegen zum Verkauf stehen. 
Bonaventura betastete die Geißen mit den Hand 
griffen eines tierkundigen Bäuerchens und ent 
schied sich bald für die mit dem größten und 
straffsten Euter. Sie war „frischmelk". Nun ging 
das Handeln los. Das Gezeter, Feilschen und 
Sichverheißen^ dröhnte durch Stall und Hof. 
Seckel war zäh, unnachgiebig und wollte von dem 1 2 
1 Handel. 
2 Beteuerung der Wahrheit unter Anruf Gottes-. 
geforderten Preis nichts nachlassen. Bonaventura 
verstand sich auch auf seinen Vorteil, und so feilschten 
sie hartnäckig hin und her. 
„Hast Kredit bei m'r," sagte Anschel, „kannst 
bezahlen, wenn du's hast." 
„Kauf' nichts auf Borg", lehnte Bonaventura ab. 
Endlich wurden sie handelseinig. Weinkauf 
tranken sie nicht, den wollten sie sich aufs kom 
mende Frühjahr aufheben, wenn Seckel,die Felle 
von den Lämmchen bekam, die die Geiß noch 
werfen sollte. 
Bonaventura war mit seinem Handel zufrieden, 
bezahlte bar, zog mit der Geiß am Strick seines 
Weges und dachte, wie seine Bürb ihn um das 
schöne Tier gewißlich loben würde. So kam er 
nach Arnsrode zurück. Der Schelmenwirt brauchte 
seine Redekünste nicht aufzuwenden; denn Bona 
ventura hielt es selbst für angebracht, den Handel 
gelinde zu begießen, damit das Geißchen gut ein 
schlage. Er stellte das Tier in die als Ausspann 
dienende Stallung, deren Tür offen stand. Im 
Halbdunkel des leeren Raumes sah er einige 
Hühner im Stroh und in der Krippe nach Hafer 
körnchen scharren. Gackernd und flügelschlagend 
stoben sie vor ihm und dem Vierfüßler hinaus in 
den Sonnenschein, Nun verfügte er sich in die 
Schenkstube, bestellte „Kurzen", eine Kuhschelle 1 
voll, und warf hin und wieder ein Wort in die 
Unterhaltung. Die ging, wie in Dorfwirtshäusern 
üblich, um Kauf und Lauf, um Sterben und 
Freierei, Bankrottskrämer und Prozeßnarren, 
bäuerliche Stammbäume und einheimische Rind 
viehrassen. Dabei zog Bonaventura einen Runken 
Brot aus der Kilteltasche und aß mit gutem 
Hunger. Die Neige Branntwein tröpfelte er sorg 
sam auf sein Brot, das er sich mit behaglichem 
Schnaufen einverleibte. Doch an der harten, 
schwarzbraunen Kruste versuchte er seine morschen 
und brüchigen Zähne vergebens. Er bröckelte die 
Brotrinde, raffte die Bröckchen in die hohle Hand 
und ging. Im Hinausgehen kam ihm der Wirt 
vom Hof entgegen. 
„Nun, Bonaventura, so kurz angebunden heut? 
Du trägst mir ja die Ruh aus'm Haus. Trink 
erst noch eins auf dein stolzes Geißchen! Es gerät 
besser. Ein wahres Prachtstück von Schweizergeiß 
ist das ja!" 
„Will zur Mittagssupp' daheim sein", erwiderte 
Bonaventura und ging in den Stall. Er wunderte 
sich, daß seine Geiß derweil so unruhig geworden 
war. Er band sie los und zog weiter. Doch was 
war das? Die Geiß wollte nicht mit ihm, ließ 
sich zerren und ziehen und plärrte wie nicht recht 
' 1 Kännchen 1) Schnaps.
	        

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