Full text: Hessenland (34.1920)

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namen eines Heiligen. Bo—na—ven—-tu—ra 
Rot —hä—mel! . Wie das klang . . . ! 
Die Mutter konnte sich gar bald der Einsicht 
nicht verschließen, daß in ihrem Jungen kein Hei 
liger mit mehr oder minder großem Glorienschein 
stecke, sondern ein rechter, triebkräftiger, erdhafter 
Mensch. Doch auch damit gab sie sich zufrieden. 
Rur der Vater schalt ihn oft Träumer und Guck- 
indiewelt . . . Ach ja, nun waren sie beide, Vater 
imd Mutter, längst an der Wahrheit. 
. . . Solch ein Guckindiewelt war Bonaventura 
Rothämel auch heute, als alter Mann noch. Gft 
blieb er stehen, lauschte dem tieftönigen Bienen 
chor und atmete den mailichen Blütenduft. In 
der Seele froh war er. Im Gehen sprach er mit 
sich selbst, das heißt mit seiner reingestimmten 
Seele — oder mit den leise rauschenden Bäumen, 
streichelte den schrundigen Stamm eines Riesen 
und sagte: „He, alter Bursch, blühst ja, daß sich 
die jungen vor dir schämen müssen! Kein grünes 
Fleckchen am Schopf, alles weiß, alles weiß! Alter, 
blüh dich net tot!" 
Weiter ging er. Was war denn das .. . ? Ei, 
pfiff wohl gar, der alte Krauter? Jawohl, pfiff 
sich ein Liedchen und schwenkte die Wacholdergerte 
mit dem grünen Nadelbüschel an der Spitze durch 
die Luft, daß es fitzte. Sorglos war er wie die 
Lerche im blauen Himmel über grünen Roggen 
feldern. Zaster 1 trug er in der Tasche, was ihm 
nicht oft geschah. Und in der Stadt anlegen wollte 
er sein sauer verdientes Geldchen. Aber nicht auf 
der Sparkasse. Nein, bewahre! Ihm war so wohl 
und leicht zu Mute, wie einem Hochzeiter ist, der 
die Braut einholt. Denn er ging um nichts Ge 
ringeres als — eine Geiß. Die wollte er kaufen. 
Bei Seckel Anschel, den er scherzhafterweise seinen 
Hofjuden nannte, standen zwei reinrassige Saanen- 
ziegen feil. Die eine wollte er käuflich erstehen 
und bar berappen, damit das Kleeblatt in seinem 
Geißstall wieder vollzählig werde. Was das für 
ihn zu bedeuten hatte, konnte nur der ermessen, 
der wie er in einer Armutei aufgewachsen war. 
Und in seinem Glücksgeftthl ging Bonaventura 
Rothämel heute wie im Tanz den Kirschbaum 
blütenweg entlang. 
Vor ihm tauchte ein Dörfchen auf. Das war 
Arnsrode. Bonaventura wurde einsilbig und un 
lustig. Denn nun mußte er mit seinem Schatz 
an einer Drachenhöhle vorbei, und da erging's 
manch einem nicht gut. Diese Drachenhöhle war 
das Wirtshaus „Zum dreifachen Schelm" an der 
Dorfftraße zu Arnsrode. In der Leute Mund 
hieß es kurzweg „die Schelmenburg" und der 
Eigentümer „der Schelmenwirt". Das Wirtshaus- 
schild zeigte eine lange Nase mit spottend aus 
gespreiteter Hand davor. Das hatte er schon als 
Junge belacht. Jetzt fiel ihm auch der angetrunkene 
Schoppen ein. 
Der Schelmenwirt war der Drache, den Bona 
ventura zu fürchten hatte, zwar ein gutmütiger, 
schnurriger Drache, dessen Schnurrpfeifereien man 
gern anhörte imd belachte, wobei seine Schnäpse 
und Schöppchen nicht übel schmeckten, aber um 
so gefährlicher für arglose Leute, auch für Bona- 
Ventura imb seine Barschaft. Denn einen guten 
Trunk in fröhlicher Gesellschaft schlug er nicht aus, 
und da er ein gefühlvolles Herz hatte, mit welchem 
Übel Dichternaturen ja gemeiniglich behaftet sind, 
so trug er seine Gedanken auf der Zunge wie 
seine Groschen ans der Hand. Wenn er's trotzdem 
zu einem kleinen Eigen gebracht hatte, so war das 
weniger sein Verdienst als das seiner Eheliebsien 
Barbara, geborenen Feldpusch, der es gelungen 
war, den unpraktischen Träumer zu einem halb 
wegs brauchbaren Menschen zu erziehen. 
Durch seine lustigen Streiche und übermütigen 
Possen war der Schelmenwirt allen Leuten im 
Lande bekannt. Niemand entkam ihm ungerupft 
und ungehechelt, ohne ihm deshalb zu zürnen. 
Nicht Amt noch Würde schützten vor dem Witz 
des Schelmen. Sogar der hochwohlgeborene Herr 
Landrat entging diesem Schicksal nicht. Alle Welt 
kannte den viel belachten Auftritt. Einmal näm 
lich war der gestrenge Herr mit seinem Renn 
gespann unversehens vorbeigefahren und entwischt, 
weil er's mit seiner Fahrt von der Kreisstadt 
irgendwohin sehr eilig hatte. Beinahe hätte ihn 
der Wirt noch erwischt. Doch hörte er nur, wie 
der Landrat, sich aus dem Wagen beugend, zurück 
rief: „Heute abend, Herr Gasthalter! Auf der 
Rückfahrt — Wiedersehn!" 
Was tat nun mein Schelm von Wirt? Legte 
sich auf die Lauer wie'n Ratz vors Hühnerhaus 
und wartete bis tief in die Nacht hinein. Als auch 
der letzte Gast die Tür in die Hand nahm, ging 
der Wirt ins Bett, schlief aber mit keinem Blinz, 
sondern horchte in das Dunkel hinaus. 
Die „Wannerftonn" (Gespensterstunde) war 
schon da, aber der landrätliche Wagen noch nicht. 
Endlich hörte der Wirt Pferde herantraben und 
Räder rollen. Aha, er kommt! Hurtig war er 
aus dem Bettstroh und auf der Straße vor dem 
Hause. Barhaupt, im blanken Hemd und in 
Schlappen, den Besen in der Hand, sprang er dem 
heranrollenden Gefährt in den Weg. Die Pferde, 
die ja Gespenster eher sehen sollen, als dies 
Menschen können, sahen die weiße Gestalt mit 
ausgestrecktem Arm winkend am Wege stehen. 
' Geld.
	        

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