Full text: Hessenland (34.1920)

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dämonisch Gewordene. Er glaubt noch heute an ein 
Hinüberwirken aus jenen in die Lebenden, die'Schwäche- 
ren, und diese haben sich eigentlich nur zu fürchten vor 
den Totenerscheinungen, die ihnen eine Tatsache sind: 
die Borfahren haben solche erlebt, wie sie in den Familien 
hören, sie selber.manchmal wohl auch (oder glauben es 
doch); jedenfalls stehen einzelne in dem besonderen Ruf, 
die Gabe zu haben, „etwas zu sehen", und werden darum 
bedauert. Denn die Gabe ist dem Inhaber gefährlich. 
Gefährlicher noch erscheint dem Bolle der Mutwille, der 
die Geister herausfordert. Das erläutern u. a. merk 
würdige eigene Erlebnisse in seinen Walddörfern, die 
dem Bortragenden den Stoff geliefert haben. Dahin 
gehören besonders noch die Erscheinungen, die das Volk 
unter dem Begriff „das zweite Gesicht" zusammenfaßt, 
die Fernwirkung der Sterbenden, die gerade während des 
Weltkrieges wieder viel empfunden wurde und von sich 
reden machte. Dergleichen läßt zeitweise nach, um in 
der Not sich zu erneuern. Der Glaube an lebendige 
Menschen von übernatürlichem Können, die sich in die 
Welt der Geister, der Toten wie der Dämonen (des 
Teufels), hineindrängen, dorther ihr Wissen beziehen, 
wahrsagen, Heilungen vornehmen, Diebe entlarven, 
das sind dem Volke unheimliche.Sterbliche, die es in 
der Not dennoch aufsucht. Dabei unterscheidet es scharf 
die Männer und Frauen der weißen und die der schwarzen 
Sympathie: jene sind ungefährlich, diese sehr bedenklich 
und unmittelvar gefahrbringend für dieses und für jenes 
Leben. Der Dämonenglaube: auch er von wunder 
barer Zähigkeit und in der Tiefe kaum berührt vom 
Christentum, zurückgedrängt natürlich. Angst vor der 
Krankheit, Angst vor dem Tode, Angst um sich selbst, 
um die Seinen, um das Vieh und allen Besitz, und 
dann die unausrottbare Zuversicht, durch Zauber Herr- 
alles Schlimmen zu werden, wenigstens es doch auf 
zuschieben — das sind die Triebfedern dieses Glaubens. 
Schwerlich werden die zahlreichen Hörer dieser schönen 
Borträge in den mitgeteilten Einzelheiten als solchen 
Neues gefunden haben. Ich denke, sie haben dennoch 
wohl alle das Ganze mit Genuß gehört. Das liegt 
zunächst in der Anmut der Form. „Leget Anmut in 
das Geben" fordert Goethe, und Bötte versteht das. 
Weiter liegt es in der Konzentration auf das vom Vor 
tragenden selbst Erlebte oder sozusagen Miterlebte. Bötte 
bietet auch hier nicht eine fleißige Sammlung aus 
aller Welt, Verbürgtes wie Unverbürgtes aus Nord und 
Süd, wie man dergleichen gewöhnlich liest öder hört, 
selbst bei Mannhardt, sondern er greift zu dem, was er 
in seinen Rhöndörfern, allenfalls im anderen Hessen 
angetroffen hat in jahrelanger Vertiefung in Art und 
Unart seiner Bauern. Diese beiden Vorträge sind leben 
diges, organisches Leben, kein totes Mosaik. Daß wir 
von einem zuverlässigen Zeugen erfahren, wie es um 
jenen scheuen Glauben in jenen Walddörfern noch heute 
steht, darin sehe ich den Wert der Leistung. Und dann 
in gewissen Einzelheiten, die den Mitforscher angehen. 
Z. Ä. das Volk sagt mit vorsichtiger Scheu, ja Angst, 
von Menschen, denen es übernatürliche Kräfte zuschreibt, 
„der oder die kann oder weiß etwas" sehr allgemein. 
Das hat seine Analogien. Medea heißt „die Kluge", 
sie war eine von der schwarzen Sympathie. Von hier 
her ist die Gestalt als eine aus dieser niederen Sphäre j 
in die hohe Heldensage getretene Gestalt zu verstehen. i 
Einen weiblichen Dämon, uns nur noch als Seegeist > 
bekannt, nannten die Griechen „eine die etwas kann" 
(Dynamene); auch andere Geister heißen „die Mäch- ! 
tigert" (Dyuatoi), wie die Toten „die Stärkeren" uss. i 
Das mag doch dem Vortragenden ein Lohn für seine 
treu beobachtende Arbeit in seinen Wäldern sein, daß 
das, ivas seine Getreuen dort noch heute glauben und wie 
sie es glauben, auf anderen Wissensgebieten allerlei 
Dunkel erhellt und Licht schafft. Es sind ganz prächtige 
Analogien. Professor Ernst M a a ß. 
H o eh s ci) ii I ii a eh r i eh t e n: M a r b u r g: Am 24. 
Oktober wurde, zum ersten Mal wieder nach vier Jahren 
in der alten Form, der Rektorwechsel vollzogen. Ein 
geführt wurde der für das Amtsjahr 1920/21 gewählte 
Rektor Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Hofm a n n , 
Direktor des Physiologischen Instituts. Geheimrat .Hof 
mann sprach über „die Beziehung zwischen den Vor 
gängen im Gehirn und im Denken". Der scheidende 
Rektor, Geh. Reg.-Rat Pros. Dr. B u s ch , zog einen 
Vergleich zwischen der Zeit der Wiederaüfrichtung des 
Deutschen Reichs vor 50 Jahren und der Gegenwart. 
Nach 'den bis jetzt vorliegenden Meldungen sind in dem 
großen Völkerringen 4 Mitglieder des Lehrkörpers und 
850 Studierende au) dem Felde der Ehre geblieben, 
gegen einen Gesamtverlust von 4 Studierenden im Kriege 
1870 71. Geheimrat Busch begrüßte den Nachfolger des 
Universitätskurators, Geh. Ober-Reg.-Rat v. Hülsen, 
sowie den Nachfolger des Leiters der Bibliothek, Geheim 
rat S ch u l tz e - Königsberg, im Namen der Universität 
Ferner gedachte er der Stiftung des Prof. D. Simons, 
der seine Villa am Rotenberg dem „Verein für das 
Deutschtum im Ausland" zu einem Heim für studierende 
Ausländsdeutsche zur Verfügung gestellt hat. Mit Beginn 
des neuen Semesters wird das neue Verwaltungs- und 
.Hörsalgebäude, das den Namen „Landgrafenhaus" er 
halten hat, vollständig in Benutzung genommen. 
Immatrikuliert sind 2605 Studierende (darunter 386 
Frauen), gegen 3207 (410) im Sommersemester und 
3376 (344) im vorigen Wintersemester. Es studieren 
186 Männer und 8 Frauen Theologie, 443 Männer 
und 11 Frauen Jura, 782 Männer und 60 Frauen 
Medizin und 858 Männer 'und 257 Frauen Philosophie. 
— Der Staats- und Völkerrechtslehrer und demokratische 
Reichstagsabgeordnete für Hessen-Nassau, Prof, Dr. Walter 
j Schücking, der als staatsrechtlicher Sachverständiger 
an den Verhandlungen in Versailles teilnahm, hat 
einen Ruf an die Berliner Handelshochschule zum 
nächsten Sommersemester angenommen. Er ist bekanntlich 
j ein Enkel des Romanschriftstellers Levin Schücking. — 
| Dem Privatdozenten Prof. Dr. Glaser wurde ein 
Lehrauftrag zur Vertretung der romanischen Sprach 
wissenschaft erteilt. — In der philosophischen Fakultät 
habilitierte sich Gras v. Degenfeld-Schomburg.' 
'— Ter Hilfsbibliothekar an der Göttinger Universitäts 
bibliothek Dr. G. W i e e z o r e k wurde zum Bibliothekar 
an der Universitätsbibliothek Marburg ernannt. — 
Gießen: Der o. Prof, und Kustos am botanischen 
Institut zu Bonn Dr. Ernst K ü st e r wurde zum 
ord. Prof, für Botanik als Nachfolger des Geh. Hofrats 
Hansen ernannt. 
P e r s o n a l ch r o n i k. Der Senior der Eschweger 
Philologen und Ehrenvorsitzende des Werratalvereins 
Prof. Dr. Pontani beging feinen 75. Geburtstag. 
Am 8. November feierte der Chef des städtischen 
Gesundheitswesens Geh. Medizinalrat Dr. Heine- 
m a n n in Kassel seinen 70. Geburtstag. 
Die Augsburger Schillerstiftung hat ihren diesjährigen 
Preis dem Lehrer an der Homberger Taubstummen 
anstalt Heinrich Ruppel für fein Novellenwerk 
„Rhönbauern" und seinen Gedichtband „Die zu Häupten 
Frührot haben" zuerkannt. Ruppel ist auch den Lesern 
unserer Zeitschrift durch seine Gedichtbeiträge und die 
Erzählung „Bonaventnra Rothämel" bekannt.
	        

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