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dämonisch Gewordene. Er glaubt noch heute an ein
Hinüberwirken aus jenen in die Lebenden, die'Schwäche-
ren, und diese haben sich eigentlich nur zu fürchten vor
den Totenerscheinungen, die ihnen eine Tatsache sind:
die Borfahren haben solche erlebt, wie sie in den Familien
hören, sie selber.manchmal wohl auch (oder glauben es
doch); jedenfalls stehen einzelne in dem besonderen Ruf,
die Gabe zu haben, „etwas zu sehen", und werden darum
bedauert. Denn die Gabe ist dem Inhaber gefährlich.
Gefährlicher noch erscheint dem Bolle der Mutwille, der
die Geister herausfordert. Das erläutern u. a. merk
würdige eigene Erlebnisse in seinen Walddörfern, die
dem Bortragenden den Stoff geliefert haben. Dahin
gehören besonders noch die Erscheinungen, die das Volk
unter dem Begriff „das zweite Gesicht" zusammenfaßt,
die Fernwirkung der Sterbenden, die gerade während des
Weltkrieges wieder viel empfunden wurde und von sich
reden machte. Dergleichen läßt zeitweise nach, um in
der Not sich zu erneuern. Der Glaube an lebendige
Menschen von übernatürlichem Können, die sich in die
Welt der Geister, der Toten wie der Dämonen (des
Teufels), hineindrängen, dorther ihr Wissen beziehen,
wahrsagen, Heilungen vornehmen, Diebe entlarven,
das sind dem Volke unheimliche.Sterbliche, die es in
der Not dennoch aufsucht. Dabei unterscheidet es scharf
die Männer und Frauen der weißen und die der schwarzen
Sympathie: jene sind ungefährlich, diese sehr bedenklich
und unmittelvar gefahrbringend für dieses und für jenes
Leben. Der Dämonenglaube: auch er von wunder
barer Zähigkeit und in der Tiefe kaum berührt vom
Christentum, zurückgedrängt natürlich. Angst vor der
Krankheit, Angst vor dem Tode, Angst um sich selbst,
um die Seinen, um das Vieh und allen Besitz, und
dann die unausrottbare Zuversicht, durch Zauber Herr-
alles Schlimmen zu werden, wenigstens es doch auf
zuschieben — das sind die Triebfedern dieses Glaubens.
Schwerlich werden die zahlreichen Hörer dieser schönen
Borträge in den mitgeteilten Einzelheiten als solchen
Neues gefunden haben. Ich denke, sie haben dennoch
wohl alle das Ganze mit Genuß gehört. Das liegt
zunächst in der Anmut der Form. „Leget Anmut in
das Geben" fordert Goethe, und Bötte versteht das.
Weiter liegt es in der Konzentration auf das vom Vor
tragenden selbst Erlebte oder sozusagen Miterlebte. Bötte
bietet auch hier nicht eine fleißige Sammlung aus
aller Welt, Verbürgtes wie Unverbürgtes aus Nord und
Süd, wie man dergleichen gewöhnlich liest öder hört,
selbst bei Mannhardt, sondern er greift zu dem, was er
in seinen Rhöndörfern, allenfalls im anderen Hessen
angetroffen hat in jahrelanger Vertiefung in Art und
Unart seiner Bauern. Diese beiden Vorträge sind leben
diges, organisches Leben, kein totes Mosaik. Daß wir
von einem zuverlässigen Zeugen erfahren, wie es um
jenen scheuen Glauben in jenen Walddörfern noch heute
steht, darin sehe ich den Wert der Leistung. Und dann
in gewissen Einzelheiten, die den Mitforscher angehen.
Z. Ä. das Volk sagt mit vorsichtiger Scheu, ja Angst,
von Menschen, denen es übernatürliche Kräfte zuschreibt,
„der oder die kann oder weiß etwas" sehr allgemein.
Das hat seine Analogien. Medea heißt „die Kluge",
sie war eine von der schwarzen Sympathie. Von hier
her ist die Gestalt als eine aus dieser niederen Sphäre j
in die hohe Heldensage getretene Gestalt zu verstehen. i
Einen weiblichen Dämon, uns nur noch als Seegeist >
bekannt, nannten die Griechen „eine die etwas kann"
(Dynamene); auch andere Geister heißen „die Mäch- !
tigert" (Dyuatoi), wie die Toten „die Stärkeren" uss. i
Das mag doch dem Vortragenden ein Lohn für seine
treu beobachtende Arbeit in seinen Wäldern sein, daß
das, ivas seine Getreuen dort noch heute glauben und wie
sie es glauben, auf anderen Wissensgebieten allerlei
Dunkel erhellt und Licht schafft. Es sind ganz prächtige
Analogien. Professor Ernst M a a ß.
H o eh s ci) ii I ii a eh r i eh t e n: M a r b u r g: Am 24.
Oktober wurde, zum ersten Mal wieder nach vier Jahren
in der alten Form, der Rektorwechsel vollzogen. Ein
geführt wurde der für das Amtsjahr 1920/21 gewählte
Rektor Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Hofm a n n ,
Direktor des Physiologischen Instituts. Geheimrat .Hof
mann sprach über „die Beziehung zwischen den Vor
gängen im Gehirn und im Denken". Der scheidende
Rektor, Geh. Reg.-Rat Pros. Dr. B u s ch , zog einen
Vergleich zwischen der Zeit der Wiederaüfrichtung des
Deutschen Reichs vor 50 Jahren und der Gegenwart.
Nach 'den bis jetzt vorliegenden Meldungen sind in dem
großen Völkerringen 4 Mitglieder des Lehrkörpers und
850 Studierende au) dem Felde der Ehre geblieben,
gegen einen Gesamtverlust von 4 Studierenden im Kriege
1870 71. Geheimrat Busch begrüßte den Nachfolger des
Universitätskurators, Geh. Ober-Reg.-Rat v. Hülsen,
sowie den Nachfolger des Leiters der Bibliothek, Geheim
rat S ch u l tz e - Königsberg, im Namen der Universität
Ferner gedachte er der Stiftung des Prof. D. Simons,
der seine Villa am Rotenberg dem „Verein für das
Deutschtum im Ausland" zu einem Heim für studierende
Ausländsdeutsche zur Verfügung gestellt hat. Mit Beginn
des neuen Semesters wird das neue Verwaltungs- und
.Hörsalgebäude, das den Namen „Landgrafenhaus" er
halten hat, vollständig in Benutzung genommen.
Immatrikuliert sind 2605 Studierende (darunter 386
Frauen), gegen 3207 (410) im Sommersemester und
3376 (344) im vorigen Wintersemester. Es studieren
186 Männer und 8 Frauen Theologie, 443 Männer
und 11 Frauen Jura, 782 Männer und 60 Frauen
Medizin und 858 Männer 'und 257 Frauen Philosophie.
— Der Staats- und Völkerrechtslehrer und demokratische
Reichstagsabgeordnete für Hessen-Nassau, Prof, Dr. Walter
j Schücking, der als staatsrechtlicher Sachverständiger
an den Verhandlungen in Versailles teilnahm, hat
einen Ruf an die Berliner Handelshochschule zum
nächsten Sommersemester angenommen. Er ist bekanntlich
j ein Enkel des Romanschriftstellers Levin Schücking. —
| Dem Privatdozenten Prof. Dr. Glaser wurde ein
Lehrauftrag zur Vertretung der romanischen Sprach
wissenschaft erteilt. — In der philosophischen Fakultät
habilitierte sich Gras v. Degenfeld-Schomburg.'
'— Ter Hilfsbibliothekar an der Göttinger Universitäts
bibliothek Dr. G. W i e e z o r e k wurde zum Bibliothekar
an der Universitätsbibliothek Marburg ernannt. —
Gießen: Der o. Prof, und Kustos am botanischen
Institut zu Bonn Dr. Ernst K ü st e r wurde zum
ord. Prof, für Botanik als Nachfolger des Geh. Hofrats
Hansen ernannt.
P e r s o n a l ch r o n i k. Der Senior der Eschweger
Philologen und Ehrenvorsitzende des Werratalvereins
Prof. Dr. Pontani beging feinen 75. Geburtstag.
Am 8. November feierte der Chef des städtischen
Gesundheitswesens Geh. Medizinalrat Dr. Heine-
m a n n in Kassel seinen 70. Geburtstag.
Die Augsburger Schillerstiftung hat ihren diesjährigen
Preis dem Lehrer an der Homberger Taubstummen
anstalt Heinrich Ruppel für fein Novellenwerk
„Rhönbauern" und seinen Gedichtband „Die zu Häupten
Frührot haben" zuerkannt. Ruppel ist auch den Lesern
unserer Zeitschrift durch seine Gedichtbeiträge und die
Erzählung „Bonaventnra Rothämel" bekannt.