aufhören zu sein. Du fliehest mit der Sonne;
wenn es dunkel wird, dann wirst Du dünn u.
unsichtbar, nur die lichten Augenblicke lebst Du,
glückt. Schatten! Wenn eine Jungfrau vorüber
eilt, der wir uns gern naheten in Lust u. Liebe,
husch! hängest Du an ihr u. umgaukelst sie,
während uns göttliche u. menscht. Gesetze das
Nähern legen. Wenn nun gar der liebe Gott
einen Heiligenschein '— Manufactnr-Laden auf
einer duftenden Wiese — angelegt hat, da streckest
kühn Dein Haupt hinein u. lässest ihn Dir
darum legen, wie ein Diadem — wir aber stehen
oben am kahlen Berge u. sehen an unserem
Schatten den Schimmer, den unser sterbt. Leib
entbehren u. beneiden muß, — gerade wie Dichter
im Leben hungern sie und singen, u. wenn sie
verhungert sind, dann werden sie besungen und
bekränzt. . .
Sieh! in der Art, lieber Julius! mache ich
jeden Mittag meine Spaziergänge, die ich unter
der Rubrik „Wanderungen des Rintler Stadt
poeten" später zu schildern gesonnen bin. Später
wird zu Oleirn oder Illo — Ferdinand ist ab
wesend — gegangen u. bei diesen ein sentimen
taler Seichbeutel aufgethan, oder auch sie kommen
zu mir, oder wir gehen zusammen. Das sind denn
wirkl. recht angenehme Stunden. (Ueirn ist in
jeder Lebens-Äußerung ein completter Philister,
im Lieben u. Arbeiten u. Denken u. Beten, kurz
in Allem; an ihm sammle ich adiuvante Illo köstl.
Züge zu einem ausführl. Genrebild. Dieser, nämt.
Illo, ist im Umgang unvergleichlich — vom er
götzlichsten Humor u. heiterer Satire voll, dabei
garnicht ohne Gefühls-Innigkeit, sogar in mancher
Richtung Schwärmer, der gern aus seinem juristi
schen Dienste in einen höheren sich versteigt. Ich
glaube, wir fangen uns an zu kennen; er hat mich
zu gering angeschlagen, ich habe seinem Charakter
nicht getraut — das fällt jetzt weg und wir
fühlen uns dabei sichtlich Wähler und liebevoller.
Der Abend gehört wieder diesen, oder meinen
Musen, — die mich recht fleißig aufsuchen — mit
Ausnahme des Sonntag-Abends, wo ich, durch
gütige Einladung der Direction bewogen, die
s. g. Damen-Reßourceö besuche. Biel ist
da freilich nicht zu holen; Gesellschaftsspiele des
allertraurigsten Calibers, Blicke von alten Lor
gnetten, manches heimliche Katzenpfötchen . . man
bringt aber doch die Zeit aus andre Weise hin,
wie gewöhnlich. Außerdem entschädigt für den
ganzen langweiligen Habitus ein Mädchen, das
ich mir schließlich zur Nachbarin und Gesprächs-
Noitio erkoren, Dir noch aus der Tanzstunde 5
5 Vgl. dazu Rodenberg I. S. 39 ff.
bekannt, Auguste Dunter & — ehemals unbescheiden
blond, jetzt durch ein bleiernes Zeitalter (vice
versa wie die röm. Literatur) zur Brünette ge-
' bildet, durch manche Reisen und Aufenthalt in
Bädern, Residenz PP. geschliffen, wir haben uns
zu einander gesellt und klatschen und schwärmen,
daß es eine Lust ist. Denke nicht, daß sich eine
neue Göttin in meine Lieder einschmuggle —
daran denke ich — parole d’honneur — selbst
noch nicht.
Auf solchen Rädern wickelt sich mein Faden
immer und ewig fort, selten gestört (neulich nur
durch einen constitutionellen Ball voll Raub
und Gemeinheit und Plaisir — nächstens durch
ein Concert auf der Reßource) und ich kann nicht
sagen, daß es mir übel gefiele. Gekanzelt habe
ich bereits 2 Male — das erste Mal beinahe
ex tempore, wenigstens erfuhr ich es erst am
Sonnabend Mittag, das zweite Mal pro ten
tamine — beide Male am Nachmittag in der
luth. K(irche), also ohne Zuhörer, also ohne In
teresse. Verse mache ich nach wie vor, bin auch
nach wie vor krank und zuweilen recht mißver-»
gnügt. Dann packt es mich, wie ein leises Fieber
mit Zähneklappern und Visionen an, daß ich
ein Esel gewesen bin und ich denke: wärest du
keiner gewesen, so wärest du jetzt keiner. Und es
reift in mir die lebendige Überzeugung, daß ich
zu nichts Beruf habe, als dazu, wozu der Beruf
mich nicht hat — daß ich das am allerwenigsten
erreiche, was ich am allerliebsten erreichen möchte
und am allerleichtesten hätte erreichen können. .
Dann schleiche ich zu Illo und lese ihm m. Ge
dichte vor, oder er mir seinen Jean Paul und
wir schimpfen gemeinschaftl. und freuen uns über
unsern Ingrimm —
Hier kann ich wohl das allgemeine Gemälde
schließen — sollten mir noch einzelne Züge bei
fallen, so kann ich sie nachtragen.
Ein Rintelner Bekannter, namens Thiermann,
erlöste Dingelstedt noch vor Ostern 1835 aus seinem
Hangen und Bangen, indem er ihm, der nicht mehr
die elterliche Unterstützung beanspruchen durfte, sein
Lehramt an einem englischen Erziehungsinstitut in
Ricklingen bei Hannover abtrat. So wenig Neigung
Dingelstedt auch für den Beruf des Lehrers ver
spürte, er erhielt damit eine Stellung, die ihm
volle Freiheit zur Entwicklung seiner Anlagen ge
währte.
6 Zum erstenmal nennt Dingelstedt hier den Namen
jenes Mädchens, das in seinem Leben und Dichten
noch eine so bedeutende Rolle spielen sollte. Auguste
Dunker wurde am 10. November 1816 in Rinteln ge
boren als Tochter des Oberstleutnants, späteren Ober
rentmeisters Franz Dunker und seiner Gattin Marie
Regine, geb. Wißmann.