Full text: Hessenland (33.1919)

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Wir klappten zusammen. Einer hielt den anderen 
für d«l Schuldigen, und mit bösen Blicken und 
Puffen versuchte einer den andern zu vernichten. 
Aber am Ende hieß es, sich ins Unvermeidliche 
fügen. Wir sahen die Kleinen kommen und 
führten unsere Rollen mit Würde zu Ende. 
Auf dem Heimwege trugen wir an der Mäh 
maschine schwerer als an unserer Strafe. Das 
Wunder mußten wir heute noch sehen. Darüber 
hätte keiner schlafen können. 
Der Ernst wußte auf Hermeiers Hofe, wo sein 
Vater als Knecht diente, gut Bescheid. Man war 
im Heu, und nur eine Magd ließ sich sehen. Der 
Karo war ein guter Bekannter. So gelangten 
wir unbehindert zum Ziele. 
Mit einiger Mühe klemmten wir uns durch 
den Spalt des unverschlossenen Scheunentores. Da 
stand der Wagen mit dem unerklärlichen Wesen 
im Halbdunkel. Ein großes Eisenrad mit roten 
Speichen glotzte uns an. Zahlreiche Kammräder 
und Eisenteile lagen wie kleine Kinder in Stroh 
gebettet. Am Rande eines hochgerichteten, ab- 
gerundeten Dreiecks blitzten Drachenzähne, daß 
man erschrocken zurückfuhr. 
Von seinem Vater hatte es der Ernst gehört: 
zwei Pferde kämen davor, auf den Bock der 
Kutscher, und dann gehe es los ohne Sense und 
Sichel, kein Mensch brauche abzunehmen, alles 
besorge die Maschine. 
Wir mallen uns das aus, und dem Ernst war 
es gewiß, daß ihn sein Vater einmal auf den Bock 
ließe. Indem entdeckte ich zwischen zusammen 
genagelten Latten einen stählernen Zickzack. Ohne 
Zweifel, das waren die Schneidemesser. Unsere 
zuckenden Finger stellten das neugierig fest. 
Auf einmal knarrte das Tor und flog weit 
auf. Entsetzt schauten wir in der hereinflutenden 
Helle die Gestalt des Verwalters. 
„Soll euch Kerle doch gleich so ein Himmel — 
Hagel — Schockschwernot — 
Und schon spuckte er in die Hände. 
Aber ehe ich mich umsah, war der Ernst schon 
wie der Wind die Treppe hinauf, die ich im Halb- 
dunkel gar nicht bemerkt hatte. Mir blieb keine 
Wahl. Hinterher. Ein dunkler, stroherfüllter Raum 
nahm uns auf. Die schweren Tritte des Verwalters 
folgten. Wir duckten uns tief ins Stroh. Der Riegel 
knirschte. Verhallende Tritte. Dann wurde es still. 
Eine Weile bangen Laufchens verging. Wir 
hoben die Köpfe und wagten uns an die Türe. 
Sie war verschlossen. Was nun? 
Auf der Höhe des Strohberges leuchtete tröst 
lich ein Lichtstrahl vom Tage. Wir kletterten 
hinauf und öffneten eine Lade, die ging in den 
Garten hinaus. 
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„Wir springen hinab", meinte der Kühne. Bange 
maß ich die Tiefe und sah neidisch auf die flinken 
Füße, die sich schon auf ihre Tat zu freuen schienen, 
und erklärte, lieber ausharren zu wollen, bis — 
„Bis Maus und Katz' aus den Löchern kommen 
und Hochzeit halten", höhnte er. 
Auf mein Anraten versuchten wir es noch ein 
mal mit der Tür, alle Mühe war umsonst. 
Wie wir so ratlos da sitzen, gesellt sich ein 
Dritter zu uns. In der Hffnung erscheint ein 
Spatz. „Ist wer hier?" fragt er hastig. Da 
niemand antwortet, huscht er herein und nimmt 
auf einem Balkenvorsprung Platz. Wie ein Eich 
horn schießt der Ernst empor und schließt die Lade. 
„Den müssen wir fangen", jubelt er und gab 
so unsern Gedanken ein anderes Ziel. 
Eine wilde Jagd begann. Von einer Wand 
zur andern hetzten wir den armen Burschen. Aber 
dem Flieger war schlecht beizukommen. Unsere 
Strohgeschosse gingen daneben. Schließlich machte 
der Ernst den Vorschlag, er wolle auf den Stroh- 
berg nahe der Lade Posto fassen, denn dorthin 
lenkte der Verfolgte immer wieder feinen Flug. 
Ich sollte ihm die Beute mit meiner Jacke in die 
Hände treiben. 
Man konnte es bald merken, in dem engen 
Raume war der arme Spatz flügellahm geworden, 
meine Jacke hatte ihn bereits zweimal geduckt. 
Plötzlich — ich weiß gar nicht zu sagen, wie 
schnell das ging — kommt mein Ernst jauchzend 
heruntergeflogen, als hätte er nun auch Flügel 
bekommen, und verschwindet unter gellendem Auf 
schrei spurlos unter dem Boden. 
Meine Jacke zu neuem Wurfe erhoben, stehe 
ich sprachlos da. Ich starre. Ich staune. Kein 
Zweifel — beide Spatzen waren fort. Aber wohin? 
Die Gebunde auseinanderschiebend, dazwischen 
ich ihn versinken sah, schaute ich in ein rundes Loch. 
Bei genauerem Hinsehen gewahrte ich tief unten 
einen hellen Schimmer. Kuhgebrumm und Ketten 
geklirr und Geschimpf einer Frauenstimme klangen 
herauf. Ich tastete und ahnte richtig: der Ernst 
hatte durch den Futtersack, der hinab in den Kuh- 
stall führte, seinen Ausweg gefunden. 
Aber was wurde nun aus mir? Sollte ich 
den gleichen Weg wählen? Ich zog meine Jacke 
an, steckte die Beine in den Schlund und pro 
bierte.' Da hörte ich schon die Schalter gehen 
und mein Retter sprang herein. Ließ mir keine 
Zeit zur Freude, erzählte nichts von feiner Reife 
ins Unterland, klagte keinen Ton über Verrenkung 
oder Hautabschürfung, nein, ganz entrüstet 
er mir etwas unter die Nase: „Guck nur mal 
hier, mein Hannes, mein Hannes!" 
Ich schaute ihn ungläubig an.
	        
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