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Hanauer Theater im 18. Jahrhundert.
Bon Dr. Philipp Losch.
(Schluß.)
Das R epe rtoire war das gewöhnliche der
damaligen Zeit, hauptsächlich leichte Lust- und
Singspiele und zwar zum großen Teil Übersetzun
gen und freie Bearbeitungen aus' dem Französi
schen und Englischen. Die damals beliebten deut
schen Autoren wie Götter, Bode, Brandes, Faber,
Engel, Weiße u. a. sind heute ausnahmslos eben
so vergessen, wie ihre harmlosen Werke, an denen
das Theaterpublikum der Rokokozeit sich erbaute
und amüsierte. Um nur einige Stücke zu nennen,
so gab man „Jeannette und den argwöhnischen
Ehemann" von Götter, den „Grasen v. Olsbach"
von Brandes, die „Drillinge" von Bonin, ein
schwieriges Stück, in dem die drei Titelhelden,
von einem Schauspieler gespielt werden mußten,
den „dankbaren Sohn" und den „Edelknaben"
von Engel, den „Nebenbuhler" von Barnekow,
den „Großmütigen" von Wetzel, „Sind die Ver
liebten nicht Kinder" nach Goldoni, ferner die
„seltsame Probe", „Jean Calas" und andere
Stücke von mir unbekannten Autoren. Das Drama
„Emilie Waldgrau", ein Jntrigenstück, stammte
aus der Feder des obengenannten Heldendarstellers
Crentzin. Auch à einheimischer Dramatiker, wohl
der einzige, den Hanau damals besaß, kam zur
Aufführung, der erbprinzliche Leibarzt Dr. Kämpf
mit seiner anonym erschienenen Komödie „Peter
Squenz", die aus seiner eigenen Praxis geschöpft
schien und natürlich besonderes Interesse erwecken
mußte. Aus dem Englischen wurde der „West
indier" in der Fassung von Bode aufgeführt.
Die Singspiele waren meist französischen Ursprungs
wie „Tom Jones" von Philidor, „Anton und
Antoinette" von Gossec, das „Milchmädchen" nach
Duni's „Daitiere" und der „Faßbinder" nach dem
„Tonnelier“ von Audinot und Gossec. Von deut
schen Opern erlebte Andrés „Töpfer", dem Erb
prinzen gewidmet, am 22 . Januar 1773 in Hanau
seine Uraufführung.
Nur wenige der damals aufgeführten Stücke ge
hören noch der theatralischen Gegenwart an, ivie
Lessings „Minna von Barnhelm" und „Emilia
Galotti". Ob Goethe auf der Hanauer Bühne
damals schon zum Worte kam, vermag ich nicht
nachzuweisen, es ist aber wohl um der Nachbar
schaft der Frankfurter Junghofbühne anzunehmen,
die nicht ohne Einfluß auf das Hanauer Theater
sein konnte.
Der hessische Erbprinz hatte wohl kaum ein
besonderes Verständnis für Goethes dichterische Be
deutung. Als im Januar 1780 der Herzog von
Weimar mit Goethe auf der Rückreise von der
Schweiz in Hanau und Wilhelmsbad war, da
fand der Erbprinz nur, daß dieser écrivain alle
mand d’une composition nouvelle très mal placé
en qualité de ministre d’un prince sei.
Unter den unsterblichen Werken der dramatischen
Weltliteratur darf eins nicht vergessen werden,
das damals zum ersten Male in Hanau auf der
Bühne erschien, Shakespeares Hamlet. Den
Dänenprinzen gab Mössel, den König Herr Erle
mann, die Königin. Madame Reichard, die Ophelia
Madame Hartmann, Laertes war Herr v. Crentzin.
Herr Reichard spielte den Geist und den Toten
gräber, wie überhaupt bei dem kleinen Personal
öfters einzelne Schauspieler mehrere Rollen zu
gleich übernehmen mußten. Fremdartig muten uns
in dem Personenverzeichnis die Namen Gustav
(Herr Künz), Bernsield, Ellrich, Frenzow an. So
hießen Hovatio und die dänischen Offiziere und
Soldaten in der Heuseld-Schröderschen Bearbei
tung des Stückes, die damals gebräuchlich war,
ebenso wie Polonius unter dem Namen Olden-
holm auftrat, der in Hanau von Herrn Strom
gegeben wurde. Hamlet blieb darin am Leben,
wodurch man sich das Auftreten des Fortinbras
sparte.
Bescheidene Anfänge einer Theaterkritik
enthielt das seit 1778 erscheinende von dem luthe
rischen Superintendenten Stockhausen herausge
gebene Hanauische Magazin 4 . Ein ungenannter
Korrespondent dieses Magazins sah 1780 das Lust
spiel „Sind die Verliebten nicht Kinder?" und
den „Faßbinder" und war sehr befriedigt über die
Aufführung: „Fast alle Rollen waren gut besetzt.
Allein Madame Engst tat sich besonders hervor,
ihr Spiel hatte soviel Natur, soviel Wahrheit,
daß sie, wenn sie in allen andern Rollen ebenso
spielt, gewiß unter die besten Schauspielerinnen
Deutschlands gehört. Stellung, Bewegung, Stimme,
Blicke, alles war dem Charakter, den sie vorstellte,
angemessen; selbst in dem stummen Spiel blieb
sie demselben treu, und dev.Übergang von einer
Leidenschaft zur andern war ganz Natur ....
Kein einziges Mal sah ich sie mit den Logen oder
Parterre sich beschäftigen, ein Fehler, den so viele
Schauspieler und Schauspielerinnen begehen, und
wodurch sie den Zuschauer aus seiner Täuschung,
die doch nie unterbrochen werden sollte, bringen,
4 Die Europäische Zeitung, in der Hanau schon 1678
eine der ältesten deutschen Zeitungen besaß, war mir
leider nicht zugänglich.