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erste Anregung zu der erst unter Landgraf Wil
helm IX. angelegten Wilhelmshöher Allee zu geben.
Man muß nämlich wissen, daß zu damaliger Zeit
die vornehme Welt von Kassel nur innerhalb der
Stadt wohnte und selbst ihre Promenaden nur in
den Alleen des Friedrichsplatzes oder in dem
Auepark unternahm und selten weiter ging als
uach Wilhelmshöhe, damals Weißenstein genannt.
Vor den Toren Kassels wohnten in jener Zeit
nur Gärtner und ganz arme Leute. Sie richtete
sich hier ganz ländlich ein, hielt zwei Ziegen für
ihre kleine Familie, zog Gemüse und dergleichen.
Dies kühne Unternehmen der dichterischen Frau
brachte in der Kasseler Gesellschaft einen wahren
Sturm hervor. Die vornehmen Verwandten ihres
Mannes, ihre Schwiegermutter, vornehmlich über
deren Schwestern, Fräulein Priziers, Frau Regie
rungssekretär Huno und andere hielten einen Fa
milienrat und protestierten feierlich gegen den
etwaigen Verdacht die auffälligen Ausschreitungen
der Göttinger Dichterin zu billigen, setzten jedoch
in der Sache selbst nichts durch und mußten schließ
lich gute Miene zum bösen Spiel machen."
Das Haus wurde zum Jugendparadies für
ihre Kinder, und die Gäste fühlten sich wohl darin.
Ein besonderer Hausfreund für Engelhards wurde
damals .ein Offizier von Münchhausen, Dichter
und Freund von Seume. Er gehörte zum Feld
jägerkorps, das in der Nähe sein Quartier hatte.
Häufig stellt er sich des Mends ein, und die Erzäh
lungen von seiner Bekanntschaft mit Seume und von
den Erlebnissen im amerikanischen Kriege, den er
mitgemacht hatte, waren dann sehr unterhaltend.
Wichtig für die Hausfrau wurden auch seine Ge
spräche über die Dichtkunst. Eines Mends, als er
die Hauskatze beobachtete, die sich in der warmen
Ofenröhre ein Ruheplätzchen ausgesucht hatte, rief
er lachend aus: „In diesem Hause ist doch alles
genial, selbst die Katze!"
Ja freilich ging es in Frau Philippineus Haus
halt oft recht genialisch zu. Zwischen Wirtschaft
und Kinderpflege hindurch arbeitete ihr Geist immer
lebhaft weiter. Oft schrieb sie die besten Gedanken,
Briefkonzepte und Gedichte auf die Rückseite einer
gerade vorhandenere Rechnung, z. B. über das
Flicken eines schwarzen Strohhuts. Auf Miets
kontrakten , Witwengehaltsquittungen und dgl.
fanden sich solche Entwürfe, bei denen sich die
Zeilen überdenr noch kreuzten. Recht ein Bild
ihres Lebens! Es war in ihr ein eigenes Gemisch
von praktischem Sinn und Sparsamkeit auf der
einen, von Poesie und Leichtlebigkeit auf der andern
Seite. Wenn's nicht anders ging, setzte sie sich
schnell entschlosserr über alle üblichen Fornren und
gesellschaftlichen Sitten weg. Eines Tages- roollte
es das Schicksal, daß sie ihr zweites Töchterchen
badete und wickelte. Da fährt die landgräfliche
Equipage vor. Schon ist die Landesmutter im
Hausflur, da fliegt, von Philippinens Händen
schnell zusammengerafft, ein Bündel Kinderrväsche
und Windeln zum Fenster hinaus auf die Wil
helmshöher Allee, während Badewännchen und
Wiege schnell vom Mädchen fortgeschleppt werden
und nun dem Eintritt der Landgräfin in die gute
Stube kein Hindernis mehr im Wege steht..
Einst hatte sie sich eine Gesellschaft geladen,
war aber mit den Vorbereitungen nicht zu rechter
Zeit fertig geworden, so daß die ankommenden
Gäste sie nicht'finden konnten und in den Garten
traten, wo sie sich ziemlich deutlich über dies Be
nehmen der Frau Kriegsrätin aussprachen. Diese
saß im Erbsenbeet, und plötzlich ertönte ihre
Stimme: „Die Frau Kriegsrätin pflückt Erbsen,
und wenn Ihr sie nachher essen wollt,. müssen
sie doch erst gepflückt werden!" Mitten in der ge-
rührtesten Stimmung, etwa über den Verlust eines
lieben Menschen, konnte sie, da sie immer alles
bemerkte, was um sie her vorging, plötzlich aus
rufen: „Schmier' nicht so dick, die Putter ist teuer!"
Sie wollte sparsam sein, aber die Wirtschaftlichkeit
sollte doch niemand bemerken: ..„Keine ausge
zirkelte, oft die Gesundheit schädigende Sparsamkeit
ängstige die Mitgenießenden." Auf Reinlichkeit
war sie immer sehr bedacht, aber manch' ein Miß
griff wird in ihrer Wirtschaft vorgekommen sein,
denn sie arbeitete ohne System. Immer hatte sie
eine Unzahl kleiner Besorgungen zu machen, die
viel Zeit kosteten. Mends noch, mit der Laterne,
suchte sie im Garten die Schnecken ab, und selbst
aus der Ferne ermahnt sie in ihren Briefen, daß
man ja dem Vogel im Käfig das Freßnäpfchen
nicht verkehrt anhängt. Um alles recht preiswert
zu bekommen, ging sie am liebsten selbst zu den
Kaufleuten und behauptete, auf diese Weise immer
am besten zu fahren; weil sie freundlich mit den
Leuten sei, gäben sie ihr auch immer das Beste.
Doch mag ihre Gutmütigkeit dabei oft getäuscht
worden sein. Wenigstens im Verkehr mit den
Dienstboten war dies oft der Fall. Sie war zu
harmlos und ließ sich oft hinter das Licht führen,
weil sie allen Menschen das Beste zutraute. Auch
da, wo sie die Fehler deutlich sah, schritt sie nicht
energisch ein. Sie klagte sich dann selbst an, daß
sie mit Untergebenen schlecht auskäme, weil sie
es nicht über sich vermöchte, durch Zwang etwas
zu erreichen. Was Bürger einst von ihrer Künst
sagte, gilt auch für ihr ganzes Dasein: „Sie,
meine charnrante Jungfer, mag sich nur bestreben
einerlei Flug halten zu lernen." Das hat
sie nie gekonnt. Es blieb auch im Verkehr mit