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Das Vorspiel.
Erzählung von Lotte Gubalke.
(Fortsetzung.)
An einem Sonntag im Juni — im Pfarrgarten
blühte Flieder, und im Rasen standen süß duftende
Büschel wilder Narzissen — geschah es, daß der
Pfarrer, nach dem Gottesdienst in der offene,:
Kirchtür stehend, wartete, bis der „Teufel" den
Klingelbeutelinhalt gezählt und abgeliefert habe.
Er beobachtete den kleinen beweglichen Mann
und meinte, das Geldzählen sei das Widerwärtigste
an den vielen Unebenheiten, die sein Amt begleiteten.
Er für seine Person hätte gern diesen Klingelbeutel
inhalt ungezählt in die Armenkasse gleiten lassen —
aber die Behörde wünschte, daß Rechenschaft abge
legt werde, auch von diesen Bettelpfennigen.
Plötzlich winkte der „Teufe!" und hielt einen
blinkenden Gegenstand hoch.
Er hatte einen Taler unter den Kupfermünzen
gefunden: Segen des Mansfelder Bergbaues. —
Das merkwürdige fei, daß er, der „Teufel",
gar nicht bemerkt habe, wie das Fräulein das
Geldstück habe in den Beutel fallen lassen.
„Das Fräulein?"
Nun ja, während des Vorspiels, das an diesem
Morgen besonders lange gedauert habe, sei ein
schlankes, sehr schönes Fräulein eingetreten, habe
im Schutze eines Pfeilers Platz genommen, sei
sich mehrfach mit dem Nastuch über die Augen
gefahren, um dann unmittelbar nach der Predigt
zu verschwinden. Während der Pfarrer verstimmt
und gedemütigt überlegte, welche Bewandtnis es
mit dem Taler haben möge, der ihm wie eine
persönliche Beleidigung erschien, erzählte Valentin
mit gelenker Zunge, daß er schon einmal einen
Knopf und einmal einen Ring im Klingelbeutel
gefunden habe. Der Knopf stammte von einem
Handwerksburschen, der Ring von einer Seiltänzerin
und sei bei näherer Betrachtung unecht gewesen.
Der alte Pfarrer, Gott hab ihn selig, habe ihn
aufbewahrt und behauptet, es sei eine Gabe, die
Gott wohlgefälliger sei als ein Demant. Der
„Teufel" lächelte überlegen und fuhr fort: „Die
meisten aber, die im Vorbeigehen eintreten, nicke::,
wenn ich ihnen den Beutel hinreiche. Soll heißen:
,Ich bete ein Vaterunser für den, der das Geld
haben soll/" Das Lächeln artete in ein Meckern
aus: „Sie geben nichts und beten nicht! Wie
kämen sie auch dazu!"
Theodor war noch nie so elend zumute gewesen.
Wie anders hatte er sich sein Amt vorgestellt. —
Wie hieß doch das Wort: Gehilfe eurer Freude. —
Er ordnete an: „Wickeln Sie das Geld ein und
schreiben Sie das Datum darauf. Kann sein,
daß ein Irrtum vorliegt, daß »um ihn aufklären
und das Geld zurückgeben kann." Er ging lang
sam durch den Garten in sein Haus. Der „Teufel"
sah ihm verächtlich nach. „Als ob er ein wohl
habender Herr wäre, so geht er dahin! Und hat
einen blankgebürsteten Rock und Stiefel mit
Riestern!" Aber ihm sollte es gleichgültig fein,
was aus den: Taler wurde! Er schrieb mit Blei
stift auf das Papier: 18. Juni 1856 und legte
ihn auf den Zinnteller zu dem übrigen Gelde, um
es dem Pfarrer nachzutragen. Plötzlich legte er
den Finger an die Nase und sagte: „Wie Ist nur
denn? Sollte etwa? —"
Der Pfarrer saß vor seiner Sonntagssuppe
und hatte nicht übel Lust, den Gpferteller aus
seinem Gesicktskreis zu bannen, — faßte sich aber
und ließ ihn auf der Tischecke stehen. Der „Teufel"
rieb sich die Hände und trat von einem Bein aufs
andere. Er hätte gern noch einige Randbemer
kungen über den Taler gemacht. Da aber der
Pfarrer über ihn hinwegsah, verließ er übelgelaunt,
wie jemand, dem ein Brocken im Halse stecken
geblieben ist, das Zimmer.
„Ich kenne sie nämlich", sagteer, untenange
kommen, zu seiner Frau, die wartend am gedeckten
Tisch saß.
„Wen kennst du?"
„Das Fräulein, das den Taler geopfert hat.
Aber man möchte gefragt sein, ehe man redet."
„Guter Gott und Vater, war sie bei Verstand?
Einen Taler?"
„Leichtfertig ist sie. Es kann dich nicht wundern,
wenn ich dir sage, daß es die Luise llricl vom
Schloß war, die in die Welt lief, als es sich nach
des alten Majors Tode herausstellte, daß sie den
Pflegesohn des Alten heiraten solle, wenn sie im
Schloß bleiben wolle."
„Die war doch arn: wie ein nackter Spatz!"
„Ich sagte schon: Leichtfertig war sie und blieb
sie. So etwas liegt im Blut. Wenn der Vater-
Tausende herauswarf, um das Fliegen zu erfinden,
warum soll sie nicht einen Taler hinauswerfen?"
„Aber was wollte sie gerade in unserer
Kirche?"
„Das kann ich dir sagen. Das fiel nur ein,
als ich das Datum auf das Papier schrieb, in das
ich den Taler wickeln mußte. Der achtzehnte Juni!
Es ist ihr Tauftag. Ihre Mutter, des alten Majors
Schwester, kam, nachdem sich ihr Herr^Gemahl
' aus dem Staube gemacht hatte, halb tot und elend
auf dem Schlosse an. Im Mai wurde das Kind