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wunderbarer Genesung seiner ersten Frau wieder
rechtens sich mit ihr zu verbinden' und der zweiten,
die mit ihrem geliebten Friseurjüngling in aller
Mund ist, den Abschied zu geben. „Das Kartenhaus"
ist im Wechselreigen der Novellen wieder in ein
bitteres Element getaucht. Leonhard Schmittborn,
ein sonst ehrenfester tapferer Bursche, fällt dem
Spiel anheim. Selbst die Tatsache seiner Ver
lobung, selbst die Erklärung seiner Braut, nur bei
fester Versicherung seiner Enthaltsamkeit vom Spiel
würde sie ihn nehmen, kann ihn vor dem Dämon
nicht bewahren. Er nimmt die Karten zur Hand.
Da geht ihm das Unselige auf, daß er mit
einem Handgriff sein ganzes Lebensglück vernich
tet, und in tapferer Ehrlichkeit schreibt er seiner
Braut die Absage. „Die Annekett" ist eine Mah
nung. „Nehmt die Menschen wie sie sind, sie sind,
wie sie sein müssen." Die Annekett hat eine un
eheliche Tochter, ist aber im späteren Leben so
tüchtig geworden, daß sie ihre Tochter verfluchen
will, als diese das gleiche Geschick erfährt. Recht
zeitig kommt sie zu der Erkenntnis, daß der Apfel
nicht weit vom Stamm gefallen ist; schließlich kann
ihre Tochter nachmals eine ebenso tüchtige Person
werden, wie sie sich schmeicheln darf, eine zu sein.
Es ist im tiefsten und allgemeinsten Bocks Welt-
und Lebenserfahrung, die da herausspricht. Es
können alle Menschen gut sein und gut werden.
Die furchtbarsten Härten und der tragischste Hohn
werden umgebogen in liebender Erkenntnis der
Gründe zur Ehrfurcht und zum Vertrauen aus Gott:
„Wer da stehe, wer da falle
Kinder Gottes sind wir alle
Fehlt die Brücke, fehlt der Steg
Liebe weist den rechten Weg."
So hat Bock auf den Grabstein des Kalmak aus
dem Kuppelhof schreiben lassen, den er persön
lich recht gut gekannt hat. Das ist auch garpz
die Farbe, die die zart wehmütige Erzählung
„Albertine von Grün" trägt. Goethes Zeitgenosse
Klinger studiert in Gießen und trifft bei seinen
.Hausleuten Albertine, die aus der mürrischen
Stimmung ihres Elternhauses sich heranssehnt.
Ihre Neigung zu Klinger, für sie das Leben, kann
dem jungen Feuerkopf nicht lange kühle Fassung
bedeuten. Alles Irdische ist zu klein für ihn, und
Albertines Schicksal ist, in der Erinnerung an ihre
Jugendliebe auf dem elterlichen Gut durch den
langen Rest der Jahre dahinzukümmern. „Der
neue Pfarrer" und die fünf „Hessischen Schwänke"
sind dagegen wieder von solchem Lachen durch-,
schlittert, von solcher Derbheit und Körperlichkeit
durchtränkt, daß es eine Entstellung bedeutete, sie
in kurzen Inhaltsangaben wiederzugeben.
Bei dem Bemühen in dem Gesamtwerk Bocks die
einzelnen Elemente in ihrer Darstellung zu er
fassen, bleibt der starke Eindruck, daß alle Werke
das Kriterium des Organischen, des Aufstieges, der
Folgerichtigkeit tragen. Fehler sind allemal aus
den Vorzügen zu begreifen, sofern überhaupt ein
ernstliches Können dahintersteht. Und daß bei Bock
solches der Fall ist, liegt zu Tage. Bock kann von
sich sagen: „Ich habe es mir um die Kunst sauer
werden lassen, sie hat mich süß belohnt!" Uner
müdliche Arbeit hat er geleistet, und das Werk geht
nicht mit dem Dichter von der Erde.
Ausstellung Kasseler Künstler im Kunslverein zu Kassel.
Von A. F r i ck e, Kassel.
Diesen Monat stellen im Kasseler Kunsthause die
Kasseler Mitglieder der Allgemeinen Deutschen
Kunstgenossenschaft aus. Solche Ausstellungen von
örtlichen Künstler - Vereinigungen der Provinz
pflegen von der großen Öffentlichkeit wenig be
achtet zu werden. Es ist freilich richtig, daß sie
selten „große" oder auch nur eigenartige Kunst
bringen. Aber man vergesse doch nicht, das; „große"
Kunst genau so selten ist wie alles, was sonst das
Durchschnittsmaß übersteigt. Es ist darum grund
verkehrt, wenn der Betrachter stets und überall
Besonderes und Bedeutungsvolles erwartet und
ijmmer einen „tieferen" Sinn vermutet, der den
eigentlichen Wert des Kunstwerkes ausmachen soll.
Kein Wunder, wenn er hülflos davor steht und
nach einem Stichwort hascht, um es begrifflich zu be
wältigen. Auf diese Weise bringt man sich bald
gänzlich um die Fähigkeit, den im Kunstwerk wirk
lich steckenden Werten nahekommen zu können.
Man soll sich auch nicht zu der Auffassung ver
führen lassen, daß das diene und Sonderbare an
sich bedeutend sei, und soll darum nicht alle Kunst
danach einschätzen, wie weit sie sich in der Technik
oder der künstlerischen Absicht von dem Bekann
ten entfernt oder dieser oder jener Kunstrichtung
angehört. Die örtlichen Künstlervereinigungen sind
selten der Ausgangspunkt für neuere Bestrebungen
— die großen geistigen Bewegungen, die Kunst
moden, die technischen Neuerungen' pflegen viel
mehr meist in den großen Sammelstellen des
künstlerischen Lebens zu entstehen. Zu jenen kom-
men nur die auslaufenden Wellen. Ihr Kunst
schaffen ist darum gewöhnlich ruhiger und alltäg
licher, ihre Kunst ist Gebrauchskunst, wie man
sie in Lust und Leid des Werktags um sich haben
möchte. Das gibt dieser Kunst ihr Recht und ihren