Das Vorspiel.
Erzählung von Lotte Gubalke.
Theodor Schwendemann war sieben Jahre mit
Sophie Deuteter verlobt. Sieben lange Jahre.
Wer wollte es Sophie Deuteler verdenken, als sie
sich eines Tages entschloß, den verwitweten Kreis
arzt Mackenrott zu heiraten, anstatt vielleicht noch
weitere sieben Jahre zu warten, bis Theodor
Schwendemann in ein Pfarramt gerufen wurde!
Als Theodor sein Abiturientenexamen bestand,
war diese Verlobung beschlossen worden. Ihren
Anfang hatte die Liebe dieser, beiden Nachbars
kinder in der Konfirmandenstunde genommen. Tn
der Tanzstunde hatte sie den Gipfel einer ehren
haften Leidenschaft erreicht. Das war die schöne
Zeit der rosa Briefe, die nicht durch die Post be
fördert wlwden, sondern auf abenteuerlichen Um
wegen in die Hand des Empfängers gelangten.
Jedermann hätte ihren Inhalt lesen dürfen, und
sie wurden dennoch so geheim gehalten, als handelte
es sich um wichtige Staatsdokumente.
Dann bot das gemeinsame Schlittschuhlaufen
am gefrorenen Feuerteich, das Stuhlschlittenfahren
am frühen Abend, dem das Achtuhrläuten stets
ein jähes Ende bereitete, eine Fülle unschuldiger
Freuden. Nach dem ersten Examen wurden Ver
lobungsanzeigen geschickt, nach dem letzten nahm
man die Wäscheaussteuer in Angriff. Vier Jahre
lang lag die Wäsche gebrauchsfertig im Kasten-
schrank aus Hellem Ahornholz. Dann verlor Sophie
die Geduld und ging zu Mackenrott über.
Nicht daß Theodor sehr unglücklich gewesen
wäre. Bestürzt war er. Konnte sich nicht gleich
mit der Tatsache abfinden, daß alles in der Welt
seine Zeit habe, auch die Liebe. Wenn er ganz
ehrlich sein wollte, so mußte er sich eingestehen,
daß aus einer heißen Liebe eine gleichmäßige, fast
langweilige Freundschaft geworden war. Aus der
munteren Sophie ein mißvergnügtes, welkes
Mädchen, aus ihm ein Mann, der anfing, Ver
gleiche zu ziehen. ... Ja, man hatte fast alle seine
Illusionen verloren, konnte nichts mehr erwarten,
was an Wunder gemahnte.
Dennoch empfand Theodor eine tiefe Beschä
mung. Wie war es doch möglich, daß eine Sache,
die unter blühenden Bäumen mit aufrichtigen Ge
fühlen und wonneerfüllten Herzen anfing, daß eine
Verbindung, die für die Ewigkeit beschlossen schien,
so traurig und nüchtern im grauen Alltag versank?
Ein zerrissen Band ist eine traurige Angelegenheit,
die der Tragik nicht entbehrt. Aber dies Band
war langsam zermürbt und zerfasert, das war
niederziehend.
Waren diese innigen Gefühle wie Seifenblasen,
die im Winde zerflatterten, ohne eine Spur zu
hinterlassen? Fast gleichzeitig mit dem Absagebrief
seiner Braut kam Theodors Berufung an die
Siechenhaus-Kirche. Er hatte das Siechenhaus,
das draußen vor dem Tor am Ufer des Flusses
lag, immer mit einem Gefühl angesehen, als sei es
ein Vorwurf für die gesamte Menschheit. Warum
sonderte man diejenigen ab von der Gemeinschaft
der andern, die lahm und siech waren? Im Jahre
1233 war es gegründet von einem Reichen, der
sich nach einem lustigen und leichtfertigen Leben
einen Platz im Himmel sichern wollte. Das statt
liche, mehr breite als hohe Haus hatte allen Stürmen
der Jahrhunderte getrotzt. Krieg und Eroberer
waren achtlos an ihm vorbeigezogen — bei Alten
und Siechen - war wenig zu holen. Es enthielt
eine Anzahl gut eingerichteter Kammern und einen
gemeinsamen Wohnraum für die Alten beiderlei
Geschlechts. Nicht immer gab es Frieden dort,
oft genug Streit und Zank; denn Armut und
Alter machen selten milde und weise.
Diese Berufung bedeutete für Theodor nicht
mehr, als daß er ein sehr altes Pfarrhaus, eine
Kanzel mit berühmten Holzschnitzereien, auf der
er sonntäglich, von niemand unterbrochen, reden
durfte, und ein festes Einkommen von jährlich
200 Talern erhallen sollte, hinzugerechnet den
Inhalt des Klingelbeutels, der ihm ebenfalls zu
stand. Außer den Siechen gehörten nur wenig
Seelen noch zu der Kirche, die waren mit wenig
Ausnahmen arm oder unkirchlich. Also war auf
einen Zuwachs durch die Klingelbeutel-Einnahmen
kaum zu rechnen. Zuweilen sollten Leute, die auf
der Landstraße daherkamen — fahrend Gesindel —
die Hilfe des Siechenhauspfarrers in Anspruch ge
nommen haben. Etwa eine Taufe, so im Vorbei
gehen, aus Not und Herzensangst und Heimweh
nach einer verspielten Heimat, oder ein Begräbnis,
ein letztes Abendmahl — ausgeteilt in einem Wohn
wagen, der zu einem Karussell gehörte. Das brachte
nichts ein als ein „Vergelt's Gott" und die Pflicht,
mit einem Almosen die Not des Augenblicks zu
sänftigen.
Das sonntägliche Glockenläuten hatte auch zu
weilen wandernde Handwerksburschen oder Spazier
gänger in die Kirche gelockt, die aus einem ge
heimen, nicht erklärbaren Gefühl ihrem Rufen
nicht halten widerstehen können. Das hatte ihm
Valentin Tietz, der Küster, mitgeteilt, den die Alten
im Siechenhaus den Teufel nannten. Als Theodor