Full text: Hessenland (33.1919)

9««L» 161 S--SSL, 
Clausewih über einen Besuch in Kassel. 
Mitgeteilt von vr. Hans Rothfels. 
Ems, 3. Juli 1826 *. 
An Gneismau. 
In Kassel haben wir außer der Stadt 
nichts gesehen als den kleinen Landsitz der Chur 
fürstin, welcher Schönfeld oder auch Augusten Ruh 
heißt, eine halbe Stunde von Kassel nicht weit 
der Marburger Straße liegt und eine der lieb 
lichsten kleinen Besitzungen ist, die mir je vorge 
kommen sind. Die schönsten Bäume und Fluren, 
schattige, grüne, blumenreiche Plätze, einige sehr 
hübsche Blicke auf Kassel und ein Aglomerat nied 
licher kleiner Häuser zu einer bequemen Wohnung 
vereinigt. Die Zimmer sind klein und nicht hoch 
aber neu und sehr elegant meubliert. Da der 
Churfürst in Wiesbaden'war, so hat meine Frau 
einen halben Tag mit der Churfürstin ganz freund 
schaftlich und in gegenseitiger Mittheilung verlebt 
und ich habe bei einem uns zu gefallen sehr früh 
servirten und schnell beendigten kleinen Diner hin 
reichend Gelegenheit gehabt, uns den kleinen Be 
sitz anzusehen. In Kassel selbst hat der Chur 
fürst am Friedrichs Platz neben seinem Hause ein 
anderes als Ergänzung des ersten in Privat-Stil 
aufführen lassen, welches wegen der rothen Sand 
stein-Quadern. in denen es aufgeführt ist und wegen 
eines zum Unterfahren eingerichteten, also sehr her- 
* Original Geheimes Staatsarchiv. Gneiscnaus Nach 
laß. ' ' M 
vortretenden Perüstils von sechs dorischen Säulen 
auf welchen für das obere Geschoß ein Balkon ruht, 
eine überraschende Wirkung hat. Im Einzelnen 
ist manches recht schön, manches aber mißfällt mir 
daran. An demselben Platz hat er von demselben 
schön geaderten Sandstein an der Stelle des ehe 
maligen Gitterthors, welches zwischen den beiden 
Wach-Köllonaden nach der Aue hinunterführt, ein 
Thor im Stil eines Triumphbogens, zwar nicht 
groß und sehr einfach errichten lassen, welches aber 
eine ungemein schöne Wirkung thut, besonders 
von der Aue aus. Eudlich ist die Statue des Groß 
vaters, welche früher auf diesem Platz stand und 
von den Franzosen weggenommen war. restauriert 
und wieder ausgestellt. Die goldenen Spitzen des 
sehr schönen Lanzen-Gitters, welches sie umgiebt, 
ziehen den Blick hin, wenn man aber träher tritt, 
so muß man wenigstens nicht eben von Berlin 
kommen, um nicht unangenehm überrascht zu 
werden ** 
** Vgl. dazu das humorvolle Urteil, das Jakob 
Burckhardt über das Friedrichsdenkmal füllte (Briefe 
au einen Architekten S. 23): „Der Schädelbau und 
der gebietende Ausdruck und die ursprüngliche klassische 
Form des Kopfes herrschen noch mächtig vor über et 
liche Verquollenheit und ein zweites Kinn, dagegen reicht 
es nicht mehr gegenüber einem Schmerbauch in römi 
scher Tunika und einem einwärtstretenden Knie von 
der lächerlichsten Wirkung." 
Bilder vom vogelsberg 
von Bruno Jacob--Kassel. 
(Schluß.) 
Den Schwalmfluß hinauf führt die Bahn. Vor 
über an dem Riedeselschen Schlosse Altenburg, das 
erst im 18. Jahrhundert wieder auf der Stätte 
der alten, seit 1466 in Trümmer liegenden Veste 
entstand. Ein letzter Rest von ihr, ein mächtiger 
Rundturm stand aber noch länger und stürzte erst, 
wie Landau angibt, in den zwanziger Jahren des 
19. Jahrhunderts zusammen, einen Viehstall unter 
seinen Trümmern begrabend. 
Ferne, von Norden her sendet noch einmal der 
Herkules einen Gruß. Niederhessens zum Vogels- . 
berge herüber. Wir aber folgender jungen Schwalm 
bis.zu ihrer Quelle nahe der „Totenkirche" am 
„Heiligen Wald" zwischen Meiches und Dirlammen. , 
Dann wenden wir uns hinab nach Lauterbach. 
Ein liebes, freundliches Städtchen, eingeschmiegt 
zwischen die Berge. Die Lauter rauscht hindurch 
und oben in der Stadt steht die alte Burg mit 
gotischen und Renaissance-Bauformen und gar 
nicht weit davon das kleine neuere Barockschloß 
mit dem Ehrenhofe und dem hohen schmiedeeisernen 
Gitter davor. Und beiden gleich nahe steht die 
Kirche mit der Erbgruft der Herren v. Riedesel, 
die Jahrhundertelang als Landesherren hier saßen. 
Ursprünglich gehörte Lauterbach zu Fulda, aber 
oft hatten Abt und Stift Geld nötig und wisder 
und wieder kam Lauterbach in Pfanöschaft, bis 
1427 die eine Hälfte an den Landgrafen Ludwig 
den Friedsamen von Hessen, die andere cru den 
Erzbischof Konrad von Mainz gelangt war.' Von 
beiden erwarb .sie. Her man n v. JW i e desel, 
der erste Erbmarschall von Hessen' aus diesem Ge 
schlecht,) um den Preis der Pfandsumme, ^ die für 
Hessen 1878 Gulden und für^-Kmtznainz derchi 
1500 betrug. Was trotz der.Verpfändung Ailda 
noch an Ansprüchen und Rechten hatte,..ging ihm 
-nach und Nach verloren, und Zeit 1532 fühltpn 
sich die Herren v. Riedesel so. gut wie reichsun 
mittelbar: Die völlige Reichsunmittelbarkeit da 
gegen haben sie, wie erlangt, sie ward von den 
hessischen Landgrafen ihren Erbmarschällen gegen 
über stets bestritten. Schon 1559 hatten diese sich 
einmal geweigert) die von den Landständen be 
willigte Tranksteuep in Höhe von 300 ft. als für
	        
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