Full text: Hessenland (33.1919)

Chevalier Simeon bedauere, dennoch seine Genug 
tuung ausgesprochen habe, mich für die Dauer 
seines Urlaubs mit den Geschäften der westfäli 
schen Gesandtschaft betraut zu sehen, und daß er 
selber jede Gelegenheit wahrnehmen werde, nur 
zu beweisen, wie sehr es ihn erfreue, geschäftliche 
und freundschaftliche Beziehungen mit mir zu 
unterhalten". 
Kurze Zeit darauf hat Stölting neue Beweise 
der königlichen Gewogenheit erhalten: am 29. Ja 
nuar 1813 wurde sein Gehalt auf 4800 Franks 
erhöht, und am 4. März teilte ihm Fürstenstein 
mit, daß ihn der König zum Ritter des Ordens 
von der Westfälischen Krone ernannt habe. Die 
Dankbriefe, die Stölting auf diese Gnadenakte hin 
an seinen- Chef gerichtet hat, sind in den Akten 
der westfälischen Zentralbehörden erhalten geblieben. 
Sie zeigen, daß sich Stölting an der Schwelle 
dieses Jahres, das den Zusammenbruch der napo- 
leonischen Schöpfung erleben sollte, seinem könig 
lichen Herrn mit Leib und Seele verpflichtet ge 
fühlt hat; in ihren Ergebenheitsbezeugungen ent 
halten sie ein Programm, das Stölting sein ganzes 
Leben hindurch mit einer Treue festgehalten hat, 
die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. 
Da heißt es beispielsweise am 4. Februar: „Die 
Zufriedenheit Sr. Majestät und Ew. Exzellenz 
werden mir immer die schönste Belohnung sein: 
ich werde mich glücklich schätzen, wenn meine 
schwachen Anstrengungen der Regierung, der ich 
mit der größten Aufrichtigkeit diene, 
nicht völlig unnütz erscheinen". Und am 10 . März 
setzt der junge Diplomat hinzu: „Die Gefühle der 
lebhaftesten Dankbarkeit, von denen ich mich durch 
drungen fühle, vermag ich nicht, Ihnen, Herr Graf, 
zu beschreiben. Dieses Zeichen des Wohlwollens 
Sr. Majestät ist für mich um so wertvoller, als 
es mir einen Beweis für die Zufriedenheit meines 
geliebten Herrschers bedeutet. Ich werde alles 
daran setzen, um mich dieser Zufrie 
denheit von Tag zu Tag würdiger zu 
erweisen. Wenn meine Anhänglichkeit, meine 
vollkommene Ergebenheit für die Person und für 
die Regierung Sr. Majestät noch zunehmen könn 
ten, so leistet mir die Auszeichnung, deren Sr. 
Majestät mich würdig erachtet haben, eine sichere 
Bürgschaft dafür. Ich hege den glühenden 
Wunsch, Gelegenheit zu finden, wo 
ich diese Gefühle beweisen könnte; ich 
hoffe, daß mir der Himmel solche bie 
ten wird. — Ew. Exzellenz bitte ich, am Throne 
der Dolmetscher eines Herzens zu sein, dessen 
Aufrichtigkeit Ew. Exzellenz bekannt sein dürfte 
und das Ihnen auf ewig ergeben ist!" 
Sechs Monate später war das Königreich West 
falen vom Erdboden verschwunden, Dresden war 
in den Händen der Verbündeten, Stölting irgend 
wohin verweht. Möglich, daß er nach Pyrmont 
gegangen ist. Nach der Rückkehr des Kurfürsten 
in seine Staaten erscheint er jedenfalls bei seinem 
alten Studienfreunde Fulda in Kassel. Der ist in 
zwischen älter geworden und reifer; seinen Bruch 
mit dem ehemaligen Freunde hat er zu den Akten 
gelegt; er will ihm nur noch helfen, nützlich sein. 
Er rät ihm also, da an ein staatliches Unter 
kommen nicht zu denken ist, zur Übernahme von 
Sprachstunden. Wer dazu hat Stölting keine Lust. 
Es zieht ihn zu Jerome, der in Frankreich unter 
geschlüpft ist. Er kann von der westfälischen Idee 
nicht lassen. Sie scheint ihm lebensfähig, not 
wendig; jetzt ist die Gelegenheit gekommen, sich 
ihr zu opfern, die Ergebenheit zu beweisen, die 
er dem jungen König und seinem Außenminister 
mehr als einmal geschworen hat. Und so taucht 
er von neuem im Strome dieser brodelnden Zeit 
unter. 
Fulda hat später aufgezeichnet, daß Stölting 
von ihm zu der schönen Fürstin Ernestine von 
Löwenstein-Wertheim geflüchtet sei, der er am 
westfälischen Hoef nahe getreten sei; er habe sie in 
Wertheim aufgesucht und sei bis zu ihrem Tode 
bei ihr geblieben. Möglich, daß er das beim 
Wschied von Fulda tatsächlich beabsichtigt hat; 
möglich auch, daß er sich schon damals einige 
Wochen bei der Fürstin aufgehalten hat. Der 
Drang, Jerome direkt zu dienen, überwog aber 
doch jede praktische Erwägung: und so hat er sich 
noch im selben Jahre dem westfälischen Exkönig 
und seiner Gemahlin zur Verfügung gestellt, ob 
wohl Jerome inzwischen auf Drängen Napoleons 
endgültig auf seinen Thron und alle damit ver 
bundenen Ansprüche auf einen deutschen Ehren 
dienst verzichtet hatte. — Wann und wie Stölting 
in sein Haus eingetreten ist, liegt im Dunkeln. 
Ob er mit dem „seerotairs äss eommunckomsuts" 
der Königin Katharina identisch ist, der Anfang 
1814 in Compiègne bei ihr Dienst tat 4 5 , steht 
dahin. Sicher ist nur, daß er sich im Sommer 
1814, als Jérôme und Katharina nach ihrer Ab 
reise aus Frankreich von Bern nach Österreich 
aufbrachen, als Privatsekretär der Königin in 
ihrem Gefolge befand? Wer das hohe Maß von 
Vertrauenswürdigkeit kennt, das eine solche Stel 
lung und noch dazu in derartigen Zeiten vor 
aussetzt, weiß, daß Stölting keineswegs einen sub 
alternen Posten erhalten hatte; man vergegen 
wärtigt ihn sich vielleicht am besten, wenn man 
^Frédéric Masson, Napoléon et sa famille, 
Bd. VIII, 2. Ausl., Paris 1907, S. 239. 
5 Frédéric Masson a. a. O. Bd. X S. 52.
	        
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