Full text: Hessenland (33.1919)

swííl 121 §sa«L 
men Sje ihn gütig an und mit derselben Liebe, 
womit ich ihn Ihnen übergebe. Mögte er Ihnen 
alle Verehrung und Dankbarkeit zurufen, die 
mich für Sie erfüllt, womit ich lebe und gern bald 
sterche, wenn es Gott gefällt. Der Wunsch ist 
erlaubt; ob ich endlich so weit bin, daß ich dank 
bar und zufrieden auf den dunklen, geheimniß 
vollen Pfad zurücksehe, den ich wandten mußte 
— es ist so weit überstanden. Dankbar erkenne 
ich den inneren Seegen und den ewigen Nutzen, 
der daraus hervorging — vor allem auf die 
Freunde, die mir Gott gab, die ich nur so er 
halten konnte. Sehnsuchtsvoll blicke ich in die 
nahe Zukunft, die alle Rätsel lösen und mich 
wieder mit denen vereinigen wird, in denen 
ich so Viel verlohn 
Vergeben Sie, daß ich Sie so lange heute 
aufhielt, an dem Krüppel Fest, das Sie Ihrem 
jungen Völkchen geben. Ich bin nicht wohl, 
angegriffen und erkältet, daß ich auch wie 
Iii 6 r 686 noch schlechter aus den Augen sehe 
wie sonst, aber mit immer gleichen Gesinnungen, 
die Sie kennen 
die Ihrige 
Charlotte. 
6 . 
10/2 39 
An diesem stillen Sontag Morgen setze ich 
mich zum Schreiben an Sie, Gute, Theure! 
hin, um Ihnen etwas an Ihr gütiges Herz zu 
legten, was auf dem meinen liegt; es sollte 
schon ein paar Tage geschehn, aber mir fehlte 
die nöthige Stille und Augenkrafft. Wenn ich 
nun nur ungestöhrt bleibe. Ein Vorwort haben 
Sie zu erwarten. Eingedenk, wie oft Sie, gütige, 
sehr gütige, wahrhaft Herzens Gütige! mir ein 
Vörwort erlaubt hablen, wage ich es aufs neue. 
Ich habe nemlich mit Erstaunen, gerührt und 
mit recht dankbarer Freude, das mehr als 
Fürstliche, reiche, großartige Geschenk des Hrn 
v. Waitz für die Armen in der Zeitung gelesen 4 
Gott segne den Mildthätigen, edlen, menschen 
freundlichen Mann ferner, der ihm schon zu 
reichem Jrrdischen das noch reichere, himm 
lische Gemüth verlieh, 8 o viel missen zu 
können! Es ist eine gar schöne Handlung! Daran 
nun mögte ich Anspruch machen, für eine recht 
4 Nach einer Bekanntmachung der Armenverwaltung 
der Residenz vom 29. Januar 1839 hatte Baron Waitz 
v. Eschen die ihm als Vertreter des Landgrafen Karl 
von Hessen-Philippsthal-Barchfeld auf dem Landtag zu 
stehenden Diäten im Betrag von 1044 Talern für die 
Kasseler Armen, besonders für reichere Gaben an Brenn 
material, zur Verfügung gestellt. 
würdige, bedürftige, ja Nothleidende Familie. 
Es ist für den armen Schuster W.^ und die Sei- 
nigen; sie bekommen statt Armengeld freie Woh 
nung in der Kaserne; die Schusterey kann er 
nicht treiben, aus Armuth, auch ist er zu krafft- 
los, er war lange krank und leider schon wahn 
sinnig — wohl durch Elend, und die Rückkehr 
dieses Unglücks droht immer — Seit einem Jahr 
erst habe ich das innere Elend näher kennen 
lernen, und auch die sehr Achtungswerthen Eigen 
schaften dieser Leute, und ich sage mit Über 
zeugung: sie gehören gewiß zu den vorzüglich 
würdigen Armen. Die eine Tochter war zwei 
Jahre meine Aufwärterin; jetzt dient sie, hat 
aber nichts übrig. Eine andre lernt das Schnei 
dern und hofft dann die Elterir unterstützen zu 
können; eine dritte ist schon im Stande etwas 
zu helfen. Dann kommt ein Knabe, der in 
der Lehre ist, also vier Jahre evhalteu werden 
muß — dann zwei kleine von 10 und 6 Jahren. 
Der ganze Erwerb liegt auf der unermüdl. 
fleißigen, arbeitsamen Frau. Sie kennen ihre 
Geburth? — Sollte man denken, daß der un 
natürliche Vater gar nicht auf das Elend achtet! 
in ihr und allen Kindern ist feiner Sinn und 
Ehrgefühl, sie klagen nicht in der bittersten 
Noth, aber sie sind auch alle fleißig, höchst red 
lich, dankbar, ergeben und Gott vertrauend. Es 
ist Freude etwas für sie zu thun — auch sind 
sie nicht Rathlos; nach ein paar Jahren wird 
es gewiß besser. In diesem Augenblick und 
seit 14 Tagen hat sie bey einem Fall den Arm 
verrenkt, und kann nichts thun, wodurch sie 
sehr traurig ist — der kleine Junge liegt an 
einem bösen Fuß. Vor ein paar Tagen ließ 
ich etwas bestellen, und das Mädchen kam zu 
rück und sagte, es sey gar kein Feuer im Ofen 
gewesen und alle hatten still in der kalten Stube 
gesessen — o Gott! — und das Elend, was 
man nun nicht sieht! — mußte ich nicht an die 
guten, armen Leute denken, wie ich an H. v. 
W. dachte? Sorgen Sie, möglichst, meine liebe, 
liebe, gütige Freundin! Gott hat Ihnen beiden, 
zu der großen Last die er Ihnen auflegt, auch 
Mittel verliehen, viel Elend zu erleichtern, und 
Herzen, die sich darin erquicken und stärken. 
Ich weiß leider, wie viele der Nothleidenden 
sind, aber es ist doch aud/ eine bedeutende 
Summe. Vor mehr Jahren schickten Sie mir 
einmal Etwas zur Vertheilung? das geht wohl 
nicht? Es würde mich sehr freuen. Auch meine 
alte Wittwe W.^ darf ich Ihnen empfehlen. 
5 Im Original ist der Name ausgeschrieben, 
b Im Original ist der Name ausgeschrieben.
	        
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