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Briefe von Charlotte Diede.
(Zum 150. Geburtstag von Wilhelm von Humboldts Freundin.)
Von Paul Heidelbach.
(Schluß.)
3.
Große Verluste machen uns gleich
gültig gegen das, was die Welt Glück und Ehre
nennt, und bringen uns erst in das richtige
Gleichgewicht — wie sie uns über den Zweck
unsres Daseins berichtigen. Mer, noch ein
mal, Liebe, erheben Sie mich nicht, wenn Sie
hier und da mehr Reife in mir zu erkennen
glauben, wie in andren meiner Zeit Genossen.
Die Natur gab mir die ernste Richtung der Seele
und den Durst nach Wahrheit und Erkenntniß —
meine Verhängnisse gingen aus meinem Innern
hervor und wirkten wieder auf mein Inneres
zurück. Eine gewiß seltene, von aller Sinnlich
keit freie Liebe eines ungewöhnlich tief empfin
denden Herzens war indessen die Basis meines
Wesens — so konnten kaum ungewöhnliche
Schicksale ausbleiben, wie diese geistige An
lage mich früh in schöne, bildende Verhältnisse
brachte und mir hier und da den Antheil edler
Menschen und ihre Liebe gewann, aber das
alles haben viele andre auch, wie viele Tausende
Erden Glück und Erden Güter besitzen, aber was
mir Gott gab, als mein zugewogenes Glück,
gewährt er unter Millionen nur Einem. Einen
Freund voll himmlischer Weisheit, voll des treu
sten Antheils, der Liebreichsten Güte. Er leitete
mich seit 21 Jahren mit Liebevoller Geduld, er
wußte mich über das Leben zu erheben, ihm
lag mein ganzes Inner, und äußeres Leben dar,
hingegeben seinem höheren Einfluß — und wie
er mich würdigte, mir seine wahrhaft große,
der Gottheit verwandte Seele zu entfalten, zog
er mich zu sich empor — welcher Vorwurf träfe
mich, wäre eine so hohe, seltene Gnade ohne
Einfluß auf mich geblieben! Aus meiner frühe
sten Jugend stammle dies hohe Verhältniß der
seltensten Art, und trat dann nach langen
Jahren wieder für mich ins Leben, um mein
Alter zu verschönern. Arm stehe ich nun da,
nicht allein, auch reich an Freundschaft und
Liebe — aber das Verlohrene kann mir nicht
ersetzt werden. So nehmen Sie mich, Theure.
Adiö! Ihre
Charlotte.
Wie geht es wohl Merle 8 ? ich bin um ihn be
sorgt, den treuen Freund.
8 Charlottes Karlshafener Freund, der sie in geschäft
lichen Dingen beriet.
4.
Mitte veoemd 37.
Theure, geliebte Freunde!
ich greife endlich zur Feder, ob ich es un
gern thue, da Augen und Hand mir weh thun
und mir das Schreiben so sauer wird als Ihnen
das Lesen der undeutl. Schrift — aber ich muß
Ihnen durchaus etwas von dem sagen, was seit
Ihrem letzten Lieben Besuch in mir bewegt, an
Liebe und Dank an Theilnahme und . . . täglich
und stündlich habe ich an Sie gedacht
Geheimnißvoll und dunkel führte mein schmerz
licher Weg durch's Leben. War es auch nicht
ohne eigne Schuld, so ist das lange verjährt,
traf die unerfahrene Jugend und liegt auf der
Waage des ewigen Richters, der nicht unsre
Handlungen, sondern den Sinn wäägt, aus dem
sie fließen. Daß keine Schuld mich drückt, ob
ich gefehlt haben mag, beweißt mein ruhiger
Gemüths Zustand. Verzeihung für diese Ein
schaltung
5.
den 28ten Februar 1838
Theure Freundin!
Das Jahr fängt so schön, in lange entbehrter,
milder Frühlingsluft und freundlichem Sonnen
schein an, daß es Sie mit rechter Zuversicht
erfüllen wird. Gottes Segen sey mit Jhnm,
Gott erhalte Ihnen Ihre Lieben und — was
er Ihnen vor Tausenden verlieh, den edlen
Mann in Gesundheit, an dessen Seite Sie einem
höheren Leben entgegen reifen. Dann wird
Ihrem frommen Gemüth der höhere himmlische
Frieden nicht fehlen, den ich vor Allem An
dern denen wünsche, die ich liebe, dann erschreckt
unser Herz nicht und fürchtet sich! nicht — dann
fehlt auch nie der höhere Segen zu Ihrem
Thun und Lassen. Das irrdische Gute wird
Ihnen als Zugabe gewiß werden, da Sie Ihr
Pfund so treu verwalten! Herzlichen Dank für
die unverdiente Liebe, die sich mir im ver
gangenem Jahre, wie früher, so rührend be
thätigt hat; ich vertraue, ja ich bin gewiß, daß
das bis an mein Ende so bleibt.
Hier, meine beiden theuren, verehrten Freunde,
ist der liebe Teppich, an dm sich so viele Emp
findungen von Schmerz und Liebe knüpfen, und
den ich niemand so gern gebe als Ihnen. Reh-