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zufällig im Schloßpark von Heidelberg wieder.
Wie mächtig damals der Eindruck des Geistes
gewaltigen auf Reutern war, erfahren wir
aus dessen hinterlassenen Aufzeichnungen. „Wir
waren'', schreibt er, „an das Geländer der Ar
kaden getreten. Dort nun sich anlehnend, sprach
in gemütlicher Stimmung der liebe große Mann
zu mir mit der liebenswürdigsten Vertraulichkeit.
Ach, ich hatte ihn nie so gesehen und war außer
mir vor Entzücken. Der herrliche Morgen schien
auf ihn kräftig zu wirken, daß sein weit umfassender
Geist mächtig in ihm herrschte. Aus seinen Augen
glänzte sein innerer Reichtum, während mild und
einfach die größten Wahrheiten über seine Lippen
strömten. Ich wagte es, ihn um Mitteilung seiner
Gedanken und Gefühle über die uns umgebende
Natur zu bitten; er gewährte freundlich und nahm
behaglich und ruhig das Wort. Was er da sagte,
ich weiß es nicht mehr wörtlich, aber mir gingen
erst jetzt Herz und Augen auf über alles, was
ich sah! Wie alles, was ich früher nur dunkel ge
träumt von Schönheit, Kraft und Maß, mir nun
so deutlich wurde! Eine göttliche Regel, ein Ge
setz erkannte ich in der ganzen Schöpfung, und ich
sah, wie mit neuen Augen, in die himmlische
Natur, in der mir nun alles erklärt war."
Zwei Jahre später finden wir Reutern in
Jena bei Goethe, wo er von diesem höchst be
lehrende auf seinen Entschluß, sich ganz der Kunst
zu widmen, entscheidend einwirkende Äußerungen
über Malerei und Gegenstände der Ästhetik zu
hören bekommt. Nun studiert er in Berlin und
Heidelberg Kunst- und Naturgeschichte, macht viele
Reisen an Kunststätten des In- und Auslandes,
läßt sich auch vorübergehend von bekannten Malern
unterweisen; aber eine Kunstschule besucht er nicht.
Die Natur war sein Lehrer, und niemals, sagte
später Graf Raczynski, hat ein Schüler dem
besten aller Meister mehr Ehre gemacht. Aber es
fehlte Reutern damals noch das eigene Vertrauen
zu seinen Fähigkeiten, was in ihm ein Gefühl
der Unsicherheit erzeugte, von dem ihn ein er
neuter Besuch bei Goethe befreite. Beglückt schreibt
er Anfang September 1827 aus Weimar seiner
Frau, daß er nicht nur beruhigt, sondern von
Erstaunen erfüllt sei über das, was Richtiges in
seinem dunklen Drange in der Kunst gewesen sei;
daß seine Künstlerkaufbahn ihm sicheren Erfolg ver
spreche, wenn er nur so fortfahre, die Natur zu
sehen. „Ich bin, wie in der Seele entzückt," schreibt
er, „und mir plötzlich meines Zieles bewußt! Der
alte herrliche Mann war ganz offen, hingebend,
mitteilend und ganz unbeschreiblich liebenswürdig,
aber so, daß uns ordentlich dabei ein Beben über
kam, ob das alles wahr und nicht ein Traum sei;
oder wie wenn ein Höherer sich herabneigte, uns
hinanzuziehen in seine lichteren Regionen, und wir
freudig staunen und in unbeschreiblicher Spannung
erfassen möchten, was wir sehen und hören."
Goethe lobte sein klares Anschauen der Natur,
seine Auffassung des Charakteristischen und
Schönen, sowie sein Gefühl für Zusammenstellung.
„Und wo Sie die Farben anwandten, sehe ich
satte Farben, und Sie scheuen sich nicht, sie so
kräftig zu nehmen, als die Natur sie uns zeigt.
Sie sehen die Natur immer als Bild, das finde
ich in Allem. Fahren Sie nur fort. Malen Sie,
und so werden Sie sehen, Sie können es. Alles
inacht sich dann wie von selbst, und Sie werden
komponieren, wie sie es jetzt kaum glauben. Malen-
Sie, und Sie werden schaffen!"
Goethes Zuspruch tat Wunder. Reutern Me
nach Willingshausen und malte so eifrig wie nie
zuvor. In schneller Folge verließen Schwälmer-
bilder, Landschafts- und Familienbilder die Staffe
lei. Anfang 1829 und 1830 sandte er eine Aus
wahl zur Begutachtung, zum Teil auch als Ge
schenk an Goethe, der Reutern, als er im Früh
jahr 1830 in Weimar weilte, wieder große Aner
kennung zollte und ihm riet, fest bei der Aqua
rellmalerei zu bleiben. Er habe mit seinen Freunde
Meier die Bilder besprochen, und sie wollten ihre
Gedanken darüber in „Kunst und Altertum" ver
öffentlichen. Am meisten gefielen die „drei Schmal-
kalderinnen, Körbe verkaufend". Eckermann be
richtet in seinen Gesprächen über das Bild Fol
gendes:
Er zeigte mir ein Aquarellgemälde von Herrn von
Reutern, einen jungen Bauern darstellend, der auf dem
Markt einer kleinen Stadt bei einer Korb- und Decken-
Verkäuferin steht. Der junge Mensch sieht die vor
ihm liegenden Körbe an, während zwei sitzende Frauen
und ein dabei stehendes derbes Mädchen den hübschen
jungen Menschen mit Wohlgefallen anblicken. Das
Bild componiert so artig, und der Ausdruck der Fi
guren ist so wahr und naiv, daß man nicht satt wird,
es zu betrachten.
Die Aquarellmalerei, sagte Goethe, steht in diesem
Bilde auf einer sehr hohen Stufe ..... Wenn
dieser Künstler auch keinen namhaften Meister gehabt,
so hat er doch mit trefflichen Meistern verkehrt, und
hat ihnen und großen Vorgängern und der überall
gegenwärtigen Natur das Seinige abgelernt. Dis
Natur hat ihm ein treffliches Talent gegeben, und
Kunst und Natur haben ihn ausgebildet. Er ist vor
trefflich und in manchen Dingen einzig
Der Verbleib dieses Bildes, das Goethe als
Geschenk erhielt, und für das er dem Künstler in
einem sehr schmeichelhaften Briefe dankte, ist leider
unbekannt. Im Goethehaus in Weimar, und zwar
im Majolikazimmer, befindet sich von des Künst
lers Hand nur ein Landschaftsbild: eine getuschte
Federzeichnung unter Glas und Rahmen wie zu
Goethes Zeit.