Full text: Hessenland (33.1919)

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unter unsern Wünschen viele gibt, die herzlich flüch 
tiger Natur sind und nur wenige von Dauerwert. 
Wenn wir die ersteren unerfüllt lassen, kommen 
wir bestimmt zu dem Vermögen, das notwendig 
sein wird, um die anderen uns zu gewähren." 
Das kleine grüne Buch hat sich auf die älteste 
Enkelin vererbt. Sie hat viel daraus gelernt. 
Sehr ehrlich war ihre schöne Großmutter und 
nicht außergewöhnlich begehrlich. Sie hat sich ein 
Granalkeltlein mit goldener Schließe gewünscht. 
Einen seidenwattierten Kirchenmantel, sechs Stück 
Fürstenberger Porzellantassen, handgemalt mit 
Streublumen, einen silbernen Pfeil für das Haar 
und was dergleichen Jung - Frauenwünsche mehr 
sind. Auch Bücher und Noten, eine Gitarre und 
KölnischesWasser war dabei. Und manchmal mag 
sie auch der Uebermut geplagt haben, denn ein 
Schloß auf einem Waldberg und ein Sack voll 
Dukaten war auch dabei. Und bei manchen Wün 
schen stand am Rande ein Vermerk von des Ehe 
manns Hand: „Konnte ich meiner lieben Lisbeth 
gewähren", oder: „haben wir uns mit Gottes Hilfe 
erfüllen können". 
Der erste dieser erfüllten Wünsche war eine Reise 
nach der Bergstraße im Frühling, als die Bäume 
blühten. Der zweite: eine Wiege aus rötlichem 
Kirschbaumholz mit schwarzen gedrechselten Doggen. 
Nur ein Jahr lang ist das Wunschbüchlein im 
Gebrauch gewesen. Dann stand von Großvaters 
Hand geschrieben: „Uns ist ein Sohn geboren. 
Alle unsere Wünsche gipfeln darin, ihn zu einem 
Menschen zu erziehen, der der Welt ein Segen 
wird." 
Auf den kommenden Seiten sind Geburts- und 
Sterbetage, Tauf- und Hochzeitsfeste vermerkt. 
Wie so anders sieht die Welt heute aus als 
damals — aber eins steht fest: Es gilt im Leben 
zu^interscheiden zwischen Wünschen, die einer begehr 
lichen Laune entstammen, und solchen, deren Er 
füllung unser Leben reich macht. 
Gedichte. 
Von Else Groß, Kassel. 
Was wißt denn Ihr, Ihr kennt doch nur mein Lachen, 
Das arme, leere. G — ich lache viel. 
Gott, wie mich ekelt vor dem Possenspiel 
Und wie die frommen Lügen müde machen. 
Ich stand auf Höhen, die Ihr nie geträumt, 
Und trank von Duellen, die Euch nie geschäumt, 
In schwarzen Gründen, die Ihr nie geahnt, 
Hab' ich durch Wüsten mir den Weg gebahnt 
Und sank im Sumpfe bis zum Herzen ein. 
Was tut's, schaut her, des Kleides Saum blieb rein. 
Doch was wißt Ihr von all' den hcil'gen Sachen — 
Ihr kennt mich nicht, Ihr kennt ja nur mein Lachen. 
Denn von dem wilden Sichzutodequälen 
Kann einzig Euch mein Kissen nur erzählen, 
Das nächtlich dürstend meine Tränen trinkt. 
Wenn ihm dies heiße Herz entgegensinkt 
Zu immer neuem, starrem Nachtdurchwachen. 
Was kümmert's Euch? Ihr braucht doch nur mein Lachen, 
Heut wollte mein Herz seine Ernte halten, 
Ach Gott, das war ein trauriges Walten. 
Was meiner Jugend Begeistrung gesät, 
Das hatte der Alltag schon abgemäht. 
Und über der Liebe Blütenprangen 
Ist träge die Gewohnheit 'gangen. 
Die hat auf meinen Lebensbeeten 
Die ganze Liebessaat zertreten. 
Nur in des Gartens fernster Ecke 
Wuchert und treibt eine Dornenhecke, 
Dort pflanzt' ich einst Kummer und Tränen em, 
Soll das meines Lebens Ernte sein? 
„Muh" — erznes Echicksalswort, 
Würger des Lebens, 
S örft die Bitte, stehst die Dual, 
prichst: „Vergebens". 
„Muh" — heiliges Gnadenwort, 
Du Gotteswille. 
Zwingst die Seele, zwingst den Leib, 
Machst uns stille. 
Heut haben die Margeritten 
Die Äugen aufgetan. 
Nun leben sie selig und neigen 
Sich grüßend dem Wiesenplan. 
Von Blüte zu Blüte schaukelt 
Ein gelber Schmetterling. 
Es schloß um das holde Wunder 
Der Himmel den erznen Ring. 
Ich möcht' meine Freude singen 
Ins träumende Land hinein 
Und möchte die Hände falten 
Und möchte bei Dir sein. 
War heut' meines Lebens dunkelste Nacht, 
Hat mir viel weiße Haare gebracht. 
Traf sie des Morgens erster Schein, 
Taufte sie mit dem Namen Dein. 
Und wirst Du dann scheiden, muh einsam ich sein, 
Trage stolz meiner Liede Krönelein. 
Es kam der Sturm wie das wilde Heer 
Und peitschte dich auf, mein stolzes Meer, 
Und riß dich ohne Erbarmen 
Empor mit eisernen Armen. 
Da bäumtest du dich in Schmerz und Lust 
Und botest ihm die empörte Brust, 
Und dein Haupt, das fchaumgekrönte, 
Das mit frechem Kuß er höhnte.
	        
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