Full text: Hessenland (33.1919)

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Verhältnisse als die Grundbedingung alles Glückes 
ansähe. 
Tränen sind reichlich aus schönen Augen geflossen. 
„Die Eltern haben doch alles in Hülle und 
Fülle" — das war die oft wiederholte Entgegnung 
der Frau. Großvater nahm dann das Wirtschafts 
buch noch einmal zur Hand und las laut die ein 
getragenen Posten vor. Neben den Ausgaben 
für die Wirtschaft gab es eine Anzahl von per 
sönlichen Ausgaben für die Frau und Geschenke 
für ihn: „Eine Modestie aus Tüll mit blauem 
Seidenband zu einer Blusenschleife. Eine schwarze 
Allaskrawatte für meinen Mann. Ein hellblau 
Gürtelband und eine Haarschleife. Eine Mullrische 
für den Halsausschnitt. Ein Paar silberne Schuh 
schnallen. Ein Paar Filethandschuhe." 
„Waren diese Dinge unbedingt nötig?" fragte 
der Landrichter, und seine Stimme soll dabei ge 
zittert haben, denn es fiel ihm schwer, seiner jungen 
Frau die Freude am Leben zu vergällen oder gar 
als mißgünstig zu erscheinen. 
„Ich wußte nicht, daß du so kleinlich bist —" 
Aus der Weinenden wurde eine Trotzige. 
„Die schwarze Atlaskrawatte hatte deinen Bei 
fall, es war nötig, daß du beim Kreistag eine 
gute Figur machtest." 
„Ich will meinen Teil Schuld, die in Gedanken 
losigkeit bestand, gern tragen. . . . Mir ist nichts 
lieber, als dich schmücken zu können, und ich will 
gern so gekleidet gehen, daß ich dir gefalle und 
wie es meinem Stand "angemessen ist, aber das 
soll aus eigenen Mitteln bestritten werden." 
Einige Tage war der Ehehimmel der jungen 
Leute umdüstert. Dann ist es dem Großvater 
gelungen, seiner Frau die „rechte Einsicht" beizu 
bringen. Auch eine Aussprache mit dem Herrn 
Schwiegervater hatte stattgefunden. Der hat erst 
laut gelacht über die Engherzigkeit und Haar 
spalterei des Schwiegersohnes: 
„Wer kann sich um das einfältige Geld so auf 
regen, mein Bester!" 
Nachträglich, als der Landrichter seinen Stand 
punkt ernst und schlicht verteidigte, ist er nach- 
denksam geworden. 
„Gewiß, die Lisbeth muß auskommen lernen 
mit dem, was der Herr Sohn ausgeworfen hat." 
Er hat sich die Stirn gerieben und geseufzt: 
„Weiß der Himmel, wie schwer es ist auszu 
kommen ! Maß halten können — auch im Freude 
machen und beim Guttatenausteilen!" fügte er 
hinzu und dachte daran, daß seine drei Söhne auf 
der Universität viel mehr verbrauchten, als es, 
genau besehen, seine Mittel erlaubten. 
Großmutter ist nicht gleich in den ersten Monaten 
nach diesen Auseinandersetzungen, die Großvater 
Gewitter im Mai nannte, mit ihrem Wirtschasts- 
geld ausgekommen. Meist schon am zwanzigsten 
haperte es bedenklich. Großvater hat jedesmal, 
ohne zu murren, den Fehlbetrag zugeschossen. Das 
hat einen großen Eindruck auf die junge Frau 
gemacht. 
„Ich habe mir alle Mühe gegeben, lieber Mann" 
— hat sie beschämt gesagt. 
„Wir kommen mit gutem Willen an das gute 
Ziel" — gab er zur Antwort und hat Mühe ge 
habt, seine Würde zu wahren und nicht der jungen 
Frau stürmisch um den Hals zu fallen, weil ihr 
diese demütige Art gar zu lieblich stand. 
„Ich will mir standhaft alle törichten Wünsche 
abgewöhnen", gelobte sie weiterhin. 
Großvater hat kein Wort dazu sagen können. 
Die Rührung hat ihn stumm gemacht. Am Abend 
aber hat er ein kleines, in grünen Saffian ge 
bundenes Büchlein vor seine Frau hingelegt und 
hat gesagt: „Meine gute Liebe, das Wünschen 
soll sich kein Mensch abgewöhnen, auch du nicht. 
Was würde aus der Welt, wenn die Menschen 
das Verlangen und Wünschen verlernten! Hier 
nimm dies Büchlein. Es trägt einen Einband 
in der Farbe der Hoffnung. Ich habe ihm einen 
Titel gegeben —- " 
Er schlug es auf. Da stand auf der ersten Seite 
mit schönen Schnörkeln und Gezweig umgeben, 
das aus Rosenkränzen, in denen ein schnäbelndes 
Taubenpaar saß, gefügt war: „Mein Wunsch 
büchlein". 
Großmutters stagender Blick wurde also beant 
wortet : „In dies Buch schreibe einen jeden Wunsch, 
den du hast. Tue es ohne Scheu. Schreibe aber 
jedesmal den Preis dahinter, den eine Erfüllung 
kosten würde. Wir wollen danp am Ende eines 
jeden Monats zusammenrechnen, wie hoch diese 
Summe deiner Wünsche sich belaufen wird und 
ob ihre Erfüllung uns die Ruhe unseres guten 
Gewissens stören würde." 
Großmutter nahm das Büchlein mit geteilten 
Gefühlen. Sie hat kopfschüttelnd auf die Tür ge 
sehen, hinter der ihr gestrenger Eheherr verschwand, 
ja sie hat sogar die Achseln gezuckt. Da sie aber 
eine ehrliche und aufrechte Seele war, der es im 
Ernst um Frieden tfftö Liebe zu tun war, schrieb 
sie wirklich ihre kleinen und großen Wünsche in 
das Buch. Sie soll sehr erschrocken gewesen sein, 
als sie nach einem Monat schon das Ergebnis zog. 
„Soll ich es nicht lieber unterlassen, meine Wünsche 
aufzuschreiben? Da es gar keinen Zweck haben 
kann, da dein Geld doch nicht ausreicht, sie zu 
erMen!" 
„Nein, schreibe getrost weiter. Ein Zwtzck wird 
sicher erreicht. Du wirst einsehen lernen, daß es
	        
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