Full text: Hessenland (33.1919)

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Philipptne Engelhard. 
Eine deutsche Dichterin aus her guten alten Zeit. 
Von Elsbeth von Nathusius. 
(Schluß.) 
1807 begann ihr Verkehr mit den Brüdern Grimm. 
Besonders Jacob Grimm war eine zeitlang öfter 
im Engelhardschen Hause, versorgte Philippine mit 
Büchern und Zeitschriften und erlustierte sich an 
ihrem Wesen. Im Ansang der Bekanntschaft 
schreibt sie ihm: „Daß ich eine arme geplagte 
Hausfrau bin, der Sie gar nichts übelnehmen und 
in jeder Lage vorlieb nehmen müssen, beweist Ihnen 
das hinlänglich, daß ich über die Kinder, die 
das böse Wetter wie Küchlein unter die Henne 
an mich drängt, iJ-hnen noch kein Wort auf Ihr 
die Bücher begleitendes Billet sagen konnte. Die 
unsichtbare oder heimliche Gemeinde der Fühlen 
den und Denkenden in Kassel sollte wie alle nur 
geduldeten und gedrückten Sekten desto fester zu 
sammenhalten. Sie wissen, daß ich daher Sie 
zuerst anredete und wir Sie zu uns einluden, weil 
mein Mann Sie außerordentlich als Geschäftsmann 
lobte und wir Frauenzimmer den Denker und 
Schreiber in Ihnen sehen wollten." Dann rät sie 
ihm, sich nicht „durch Kummer über die nicht zu 
ändernde Lage des Landes aufzureiben, auch nicht 
durch Nachtsitzen bei literarischen Arbeiten, noch 
dazu Lei schwerer Amtsarbeit". Er soll nur recht 
oft des Abends zu ihnen kommen, „Musik und 
munteres Gespräch soll, denke ich, Sie zuweilen 
aus dem Trübsinn ziehen, den ich in Ihrem Ant 
litz lese. Wer wird den Weg scheuen, den mein 
Mann zu allen* Zeiten geht?" Ein andermal 
macht sie ihm Vorwürfe, daß er nicht länger auf 
sie gewartet habe, und wieder davongegangen sei, 
als sie bei seinem Besuch nicht gleich erschien: 
„Noch vier Messerschnitten und ich und die Magd 
waren fertig. Dann wollte ich hinüberlaufen, war 
froh gewesen, daß unser Franz Sie höchstens ein 
Viertelstündchen besaß und Sie liefen davon." 
Dann beklagt sie sich: „Niemals meine Zimmer 
zu betreten — ist das wohl recht? Nie das Hand 
werk zu begrüßen!" In dem Wunsch, ihn an das 
Haus zu fesseln und den einsamen Junggesellen 
zu bemuttern, wird sie ihn wohl, mehr wie ihm 
lieb, mit Einladungen bedrängt haben. Auch 
scheuten beide Brüder ihre allzu große Offen 
herzigkeit und Lebhaftigkeit, man würde dadurch 
selbst oft zu Äußerungen veranlaßt, die man nach 
her bereute. So verhielten sie sich zurückhaltender- 
als es Philippinen lieb und verständlich war. 
Dennoch wurde sie von beiden geschätzt. Einer 
der Grimm-Freunde schreibt nach Philippinens 
Tode: „Was mich selbst betrifft, so gestehe ich, 
daß mich das Wunderliche in ihrem Charakter 
eher abstieß als anzog, erst später lernte ich das 
Treffliche recht erkennen, indem sich meine An 
sichten mit denen der Brüder Grimm begegneten 
und wir uns gegenseitig darauf aufmerksam mach 
ten. Dieses ungemeine Wohlwollen gegen ihre 
Mitmenschen, besonders gegen bedrängte und lei 
dende, diese Lebensfrische und Lebenslust im hohen 
Alter, ohngeachtet einer höchst mühseligen und 
sorgenvollen Jugend, und der lebendigste Sinn 
für alles Gute, mit einer großen Lebensklugheit 
gepaart, waren Erscheinungen, welche sie zu einer 
höchst ausgezeichneten Frau machten, ganz abge 
sehen von den poetischen Talenten, in denen sie sich 
eine ganz -eigne Art geschaffen und verdiente An 
erkennung fand." — Sehr beglückt wurde sie durch 
die Lektüre, die Jacob ihr verschaffte: „Leihen Sie 
mir, die, seit sie die hessische Brodweisheit lernen 
mußte, in Geistesarmut geriet, doch ferner Bücher, 
was es ist, in meiner Lage und Mter verdaut 
man alles. Journale Haben Sie und Ihre Freunde 
wohl viele? Ich kenne fast keins und oft ist von 
mir selbst etwas darin." Jugendlich begeistert sie 
sich für einen der geliehenen Romane: „O, es 
waren schmerzlich süße Stunden, in denen mein 
alterndes Herz die Qual dieser Liebenden las. 
Früh deckte der Rasen Herzen, deren Qual ich 
nicht für so mächtig hielt, bis ich es selbst fühlte. 
Die Zeiten der Blüte, von denen mir nichts 
blieb, als Erinnerungen, die kein Alter vertilgt 
— in schönen, mit Nacht schattierten Bildern 
zöget ihr mir vorüber in diesen Schilderungen." 
Als sie aber weiter liest, empört sich ihr sittliches 
Gefühl gegen den Inhalt: „Alle schmerzlich-süßen 
Empfindungen versöhnen mich nicht mit der grau 
samen Schreiberei, die alle diese Eigenschaften 
bloß benutzte, um die in jeder anderen Lage an 
die Gottheit grenzenden Menschen zu verderben! 
Weg mit ihr! Sie hat mich so beklemmt und ge 
ängstigt, daß ich's ihr nie vergebe." 
Über ihre zunehmende Eigenart im Älterwerden 
berichten die Brüder Grimm manche komischen 
Einzelheiten, zum Beispiel in einem Brief an 
Frl. v. Haxthausen von 1817: „Unsre Freundin, 
die Geheimrätin Engelhard, hat sich wie ein Phönix 
verjüngt; nachdem sie ihr Haus verkauft, und das 
viele alte Gerümpel, das ohne Zweifel darin ge 
steckt, zusammengetragen, angesteckt und sich darauf 
verbrannt hat, ist sie jugendlich wieder daraus 
hervorgegangen. Eigentlich geschieht ihr durch dies
	        
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