muh 98
Philipptne Engelhard.
Eine deutsche Dichterin aus her guten alten Zeit.
Von Elsbeth von Nathusius.
(Schluß.)
1807 begann ihr Verkehr mit den Brüdern Grimm.
Besonders Jacob Grimm war eine zeitlang öfter
im Engelhardschen Hause, versorgte Philippine mit
Büchern und Zeitschriften und erlustierte sich an
ihrem Wesen. Im Ansang der Bekanntschaft
schreibt sie ihm: „Daß ich eine arme geplagte
Hausfrau bin, der Sie gar nichts übelnehmen und
in jeder Lage vorlieb nehmen müssen, beweist Ihnen
das hinlänglich, daß ich über die Kinder, die
das böse Wetter wie Küchlein unter die Henne
an mich drängt, iJ-hnen noch kein Wort auf Ihr
die Bücher begleitendes Billet sagen konnte. Die
unsichtbare oder heimliche Gemeinde der Fühlen
den und Denkenden in Kassel sollte wie alle nur
geduldeten und gedrückten Sekten desto fester zu
sammenhalten. Sie wissen, daß ich daher Sie
zuerst anredete und wir Sie zu uns einluden, weil
mein Mann Sie außerordentlich als Geschäftsmann
lobte und wir Frauenzimmer den Denker und
Schreiber in Ihnen sehen wollten." Dann rät sie
ihm, sich nicht „durch Kummer über die nicht zu
ändernde Lage des Landes aufzureiben, auch nicht
durch Nachtsitzen bei literarischen Arbeiten, noch
dazu Lei schwerer Amtsarbeit". Er soll nur recht
oft des Abends zu ihnen kommen, „Musik und
munteres Gespräch soll, denke ich, Sie zuweilen
aus dem Trübsinn ziehen, den ich in Ihrem Ant
litz lese. Wer wird den Weg scheuen, den mein
Mann zu allen* Zeiten geht?" Ein andermal
macht sie ihm Vorwürfe, daß er nicht länger auf
sie gewartet habe, und wieder davongegangen sei,
als sie bei seinem Besuch nicht gleich erschien:
„Noch vier Messerschnitten und ich und die Magd
waren fertig. Dann wollte ich hinüberlaufen, war
froh gewesen, daß unser Franz Sie höchstens ein
Viertelstündchen besaß und Sie liefen davon."
Dann beklagt sie sich: „Niemals meine Zimmer
zu betreten — ist das wohl recht? Nie das Hand
werk zu begrüßen!" In dem Wunsch, ihn an das
Haus zu fesseln und den einsamen Junggesellen
zu bemuttern, wird sie ihn wohl, mehr wie ihm
lieb, mit Einladungen bedrängt haben. Auch
scheuten beide Brüder ihre allzu große Offen
herzigkeit und Lebhaftigkeit, man würde dadurch
selbst oft zu Äußerungen veranlaßt, die man nach
her bereute. So verhielten sie sich zurückhaltender-
als es Philippinen lieb und verständlich war.
Dennoch wurde sie von beiden geschätzt. Einer
der Grimm-Freunde schreibt nach Philippinens
Tode: „Was mich selbst betrifft, so gestehe ich,
daß mich das Wunderliche in ihrem Charakter
eher abstieß als anzog, erst später lernte ich das
Treffliche recht erkennen, indem sich meine An
sichten mit denen der Brüder Grimm begegneten
und wir uns gegenseitig darauf aufmerksam mach
ten. Dieses ungemeine Wohlwollen gegen ihre
Mitmenschen, besonders gegen bedrängte und lei
dende, diese Lebensfrische und Lebenslust im hohen
Alter, ohngeachtet einer höchst mühseligen und
sorgenvollen Jugend, und der lebendigste Sinn
für alles Gute, mit einer großen Lebensklugheit
gepaart, waren Erscheinungen, welche sie zu einer
höchst ausgezeichneten Frau machten, ganz abge
sehen von den poetischen Talenten, in denen sie sich
eine ganz -eigne Art geschaffen und verdiente An
erkennung fand." — Sehr beglückt wurde sie durch
die Lektüre, die Jacob ihr verschaffte: „Leihen Sie
mir, die, seit sie die hessische Brodweisheit lernen
mußte, in Geistesarmut geriet, doch ferner Bücher,
was es ist, in meiner Lage und Mter verdaut
man alles. Journale Haben Sie und Ihre Freunde
wohl viele? Ich kenne fast keins und oft ist von
mir selbst etwas darin." Jugendlich begeistert sie
sich für einen der geliehenen Romane: „O, es
waren schmerzlich süße Stunden, in denen mein
alterndes Herz die Qual dieser Liebenden las.
Früh deckte der Rasen Herzen, deren Qual ich
nicht für so mächtig hielt, bis ich es selbst fühlte.
Die Zeiten der Blüte, von denen mir nichts
blieb, als Erinnerungen, die kein Alter vertilgt
— in schönen, mit Nacht schattierten Bildern
zöget ihr mir vorüber in diesen Schilderungen."
Als sie aber weiter liest, empört sich ihr sittliches
Gefühl gegen den Inhalt: „Alle schmerzlich-süßen
Empfindungen versöhnen mich nicht mit der grau
samen Schreiberei, die alle diese Eigenschaften
bloß benutzte, um die in jeder anderen Lage an
die Gottheit grenzenden Menschen zu verderben!
Weg mit ihr! Sie hat mich so beklemmt und ge
ängstigt, daß ich's ihr nie vergebe."
Über ihre zunehmende Eigenart im Älterwerden
berichten die Brüder Grimm manche komischen
Einzelheiten, zum Beispiel in einem Brief an
Frl. v. Haxthausen von 1817: „Unsre Freundin,
die Geheimrätin Engelhard, hat sich wie ein Phönix
verjüngt; nachdem sie ihr Haus verkauft, und das
viele alte Gerümpel, das ohne Zweifel darin ge
steckt, zusammengetragen, angesteckt und sich darauf
verbrannt hat, ist sie jugendlich wieder daraus
hervorgegangen. Eigentlich geschieht ihr durch dies