$SSg4L> 55
umgesehen. Ein köstlich anheimelnder Raum! Hier ^
wohnen und schaffen zu können bedeutet schon ein !
gut Teil Erdenglück. Man denkt unwillkürlich
an Spitzweg beim Anblick des vielen Grüns, das
die Fenster schmückt, und des gefiederten Sängers
im wohlgepflegten Käfig, der die gebotene Atzung
mit melodischem Frühkonzert quittiert. Über Dorf,
Schloß und Park verliert sich der Blick zu den
sanftgeschwungcnen, nur im Knüll aufsteigenden
Linien des Hügellandes. Was rings an den breiten
Wänden hängt, gibt schon einen Begriff von der
Vielseitigkeit Thielmannschen Schaffens. „Ernste
Zeiten" heißt das neueste Bild, das der Meister auf
der Staffelei hat und das seiner Vollendung ent
gegengeht. Schwälmer Bauern bei einer Ge-
meindcratssitzung. Es ist erstaunlich, daß Thiel
mann, den wir lange Zeit nur als Meister des
Stifts schätzten, erst mit 35 Jahren zu malen
begann, erstaunlich wegen des ungeheuren Fleißes,
der in verhältnismäßig kurzer Zeit ein solch sicheres
Können reifen ließ.
Vor diesem neuen Bild ahnen wir etwas vom
Werden eines Kunstwerks. Skizze um Skizze ist
nötig, bis die Bildfläche konstruktiv aufgeteilt, bis
alle Linien rhythmisch zusammengefügt sind. Dann
gilt es, die Farben gegeneinander abzustimmen.
Der Laie, der bei oberflächlicher Betrachtung einen
weißen Kittel zu sehen glaubt, merkt kaum, daß so
ein weißer Farbfleck, der wieder zu anderen
Farbflecken in Gegensatz gestellt wird, an und
für sich so farbig ist, aus einer Unzahl far
biger Pünktchen besteht, die sich erst wieder
zu einer Farbe vereinigen sollen. Die koloristische
Komposition ist es in erster Linie, die Thielmann
reizt. Seine großflächig komponierten Bauernbilder
zeigen eine äußerst geschickte Erfassung und Be
grenzung der Motive. Welch ein himmelweiter
Unterschied zu Ludwig Knaus, dessen Leistungen
für die deutsche Kunst im Dienst der Farbe aber
nicht vergessen sein sollen, oder gar zu Vantier,
der lediglich genrehaft illustrieren wollte. Wäh
rend uns dort sentimental-anektodenhafte Dorf
novelle begegnet, die dem Zeitbedürfuis entgegen
kommt, ist es dem Wirklichkeitsmaler Thiel
mann um ganz andere Dinge zu tun. Aus seiner
Wahlheimat saugen die Wurzeln seiner Kunst.
Wie einst Leibl, lebt er in der Umgebung, die
er malt, und eben dies befähigt seine Phantasie,
das Stück Umwelt, das ihn reizte, aus den Farben
herauszugestalten, es befähigt ihn, der, gleichsam
selbst unbeobachtet, seine Erdschollenmenschen stän
dig belauscht, das Bauerntum tiefer zu ergründen
und eine geistige Stimmung in seine Bilder hinein
zubringen. Kunst soll Ausdruck einer Persönlich
keit sein; wahre Persönlichkeit aber ist Verdichtung
eines Volksempfindens. Aus Volkstum und Ich
sind die Bilder dieses Künstlers entstanden, der
sich in seiner Freude am Kräftigen und Urwüchsi
gen mit starker Einfühlungsgabe in der Schwalm
einlebte und hier, immer auf das Charakteristische
ausgehend, seine typischen Gestalten schuf. Das
Überraschende war, daß diesen Künstler, der selbst
lauge Jahre hindurch die Schwarzweißkunst als
seine eigentliche Domäne betrachtete, nun das
Studium der Geheimnisse von Licht und Luft,
vom farbigen Ton des Lichtes, die Beobach
tung des Atmosphärischen in so hohem Grade
reizen, daß bei ihm wohl für absehbare Zeit
der Pinsel die Radiernadel verdrängen wird.
Man hat Thielmaun oft einen Schüler Karl
Bantzers, dieses ganz Großen unter den hessischen
und deutschen Malern genannt. Das trifft nicht zu,
wenn es auch keinem Zweifel unterliegen mag,
daß die Kunstart seines Schaffens, das Monumen
tale in der Auffassung, die Art, wie er kräftige
Farbennoten von seiner Palette holt, die Behand
lung der Licht-, Luft- und Farbstimmungen durch
den wesensverwandten Freund, mit dem ihn jahre
lange schöpferische Gemeinsamkeit verbindet, ange
regt sein mag, ohne daß er jedoch an seiner Per
sönlichkeit Einbuße erlitt; beide haben der Schwalm
viel zu danken, haben ihr aber auch unendlich viel
gegeben. Das Beste seines Könnens verdankt
Thielmann sich selbst, der keiner Akademie ange
hörte und aus engbegrenzten Verhältnissen heraus
sich den aufwärts führenden Weg zu seinem Ziel
ebnete. Solche Naturen lassen sich auch durch
äußere Hemmungen nicht von ihrem Weg abdrän
gen. Die frühzeitige Begabung zeigt das Bildnis
seiner Mutter, in dem der Zwölfjährige schon in
sicheren Linien das Charakteristische festzuhalten
wußte. Wann Thielmann am Abschluß seiner Ent
wicklung stehen wird, läßt sich nicht sagen. Er kennt
keinen Stillstand und ringt rastlos nach gesteiger
tem Ausdruck seiner malerischen Erlebnisfe. Schon
jetzt eignet ihm reise Kunst. Was auch immer er
vor seine Palette stellt, wird vollwertig erledigt,
mag er mit zeugerischem Drang in jubelnden
Farbenorgien ein freudvolles Ereignis aus dem
Leben der Dorfbewohner durch seine Subjektivität
hindurchgehen lassen, den Zauber des verschwie
genen Waldes festbannen, ein Blumenstilleben vor
uns erglänzen lassen, in zartesten Farben die Züge
seiner Gattin festhalten, in Menzelscher Auffassung
uns ein Stück Großstadt aus der Perspektive zei
gen oder den hessischen Graphiker Kätelhön, dem
Willingshausen zum Wendepunkt des Lebens
wurde, die Laute zupfend im Bilde zeigen.
Am Nachmittag begleitete mich Thielmann auf
abwechslungsreicher Waldstraße gen Neustadt, wo