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mann und bei zehn Schritten oft zwanzigmal den
Hut abzieht, uno einem gegenüber wohnenden Ju
den unsern Spaß. Oesters als uns lieb werden wir
von dem Engelhard *) besucht, der recht gut und ge-
fcheidt auch ist, der einem aber bei jedem Gespräch
scharfe Degenspitzen von Grundsätzen und Mei
nungen entgegenhält, so daß man weder mit ihm
reden noch angenehm sein kann. Zu der Lullu
(Jordis) geh ich auch selten, wenn man hinkommt,
sieht man in einem mit dreifach seidenen Vor
hängen drapierten, mit türkischen Teppichen be
legten, und mit Pariser Möbeln ausgezierten Zim
mer eine Gesellschaft Franzosen vor einem ächt
marmornen Camin sitzen. Der Jordis unterhält
sich mit ihnen in einem satten, reizlosen Uebermuth
oder in einer kriechenden Höflichkeit, etwa über
seine neue Kugellampe, über die Bilder der Licht
schirme, und schüttet 6au de Cologne auf heiße
Platten. Wenn man Lust hat, kann man den
Mahagony-, mit Goldborten besetzten Blasbalg
ergreifen und das Feuer anblasen. Die Lullu sitzt
in einem roten Sammetpelz neben dem Feuer,
packt mit der Kluft einen Grafen, der etwas ein
geschlummert, an der Nase, erhält sich mit Witz
und scheint ebensowohl eine Verachtung als einen
Reiz für dieses Leben zu empfinden. Gewiß aber
ist sie unglücklich und dauert mich sehr; denn was
ist trauriger als dies Aufrechterhalten durch blos
den Witz." Während Arnims und Brentanos Auf
enthalt in Böhmen nimmt die Korrespondenz über
literarische Interessen — Arnims „Gräfin Do
lores" war inzwischen herausgekommen — ihren
Fortgang. Im Oktober 1810 schickt Jacob in
selbstloser Weise die von ihm und Wilhelm ge
sammelten Kindermärchen an Clemens, der sich
mit dem Plan einer Märchenausgabe trug, zu
beliebigem Gebrauch ab. Wilhelm, der in Marburg
weitere Märchenforschungen angestellt hatte, fügt
einen lustigen Brief über den Marburger Pro
fessorenklub bei, preist die Hersfelder Stistsruiue,
sindet Fulda „still, aber gar uicht heilig" und
gibt ein begrenztes Bild des Kasseler Winter
lebens. Einen breiten Raum nimmt dann im wei
teren Briefwechsel die Auseinandersetzung über die
„Gräfin Dolores" ein, die von den Brüdern
verschieden beurteilt wird. Für beide bedeutet dieser
Verkehr noch immer eine sonst unersetzliche Aus
dehnung ihres Arbeitsgebietes. Über den Kasseler
Architekten Engelhard, der eben damals zur Voll
endung seiner Studien nach Italien abreist,
schreibt Wilhelm, an Clemens in einer realistischen
Charakteristik, daß von allem, was in den „Wahl-
*) Dem Architekten in Goethes „Wahlverwandt
schaften".
Verwandtschaften" von ihm gesagt werde, auch
gar nichts wahr sei.
Ende 1810 wurde Arnim, der sich damals mit
Bettina verlobte, stärker in die Politik hineinge
zogen; Clemens begattn mit der Niederschrift seiner
erst nach seinem Tode herausgegebenen Märchen.
Bor allem aber wollte er sich jetzt wie beim Wun
derhorn und „Goldfaden" bei seinem Plan, weitere
Volksüberlieferungen zu sammeln und zu ver
öffentlichen, der Sachkunde der beiden Grimms
bedienen, einem Plan, den er Anfang 1811 aus
führlich seinen „geliebten Doppelhaken" mitteilt.
Waren Jacobs und Wilhelms Anfänge durchaus
von den Bestrebungen der beiden älteren Freunde
Arnim und Brentano abhängig, so entwirft auch
jetzt Jacob sofort Pläne zu einem Journal „Der
Sammler". Zum erstenmal erfahren wir durch
Steig den Wortlaut der von ihm mit Wilhelms
Einverständnis abgefaßten, erfrischenden und um
fassenden „Aufforderung an die gesummten
Freunde deutscher Poesie und Geschichte" zur
Sammlung aller mündlichen Traditionen und Sa
gen des gesamten deutschen Vaterlandes. . Diese
Ideen sind leider in der von Jacob vorgeschlagenen
Form nicht zur Ausführung gelangt, sie wirken
aber noch jahrelang in den Arbeitsabsichten der
Brüder nach. Die Beziehungen zu Clemens be
ginnen sich jetzt mählich zu lockern. Kein Wort
des Dankes weiß er den Brüdern für Übersendung
ihrer ersten Bücher, und doch hatte Wilhelm seine
Übersetzung der Altdänischen Heldenlieder ihm und
Arnim zugeeignet. Im Juli 1811 reist Clemens
mit Schinkel nach Prag und siedelt im Sommer
1813 nach Wien über, ohne von sich hören zu
lassen. Inzwischen hatten die Brüder beschlossen,
die Herausgabe ihrer Märchen — die beiden ersten
Bände erschienen bekanntlich 1812 und 1815 — die
sie Brentano zuliebe zurückgehalten hatten, vor
zubereiten, sie waren ohnehin mit der Art, wie
Brentano gegenüber ihrer einfachen, treu gesam
melten Erzählung die Märchen bearbeitete, indem
er parodistische Sattre und anderes in sie hinein
trug, nicht einverstanden. Die geistigen und litera
rischen Gegensätze zwischen Brentano und den bei
den Grimms mußten je länger desto mehr zun:
Ausdruck kommen; der katholisch-poetischen Rich
tung stand die protestantisch-wissenschaftliche Art
gegenüber. Der Ausbruch des Krieges konnte nicht
dazu beitragen, die geistige und literarische Ent
fernung zu verringern. Das Bedürfnis nach Fort
setzung des Gedankenaustausches fehlte. So konnte
Grimm im Mai 1814 auf dem Wiener Kongreß
Wilhelm gegenüber den Wunsch äußern, Clemens
dort in Wien nicht anzutreffen und den Bruder
auffordern, Brentanos journalistischen Plänen