193
..•sc'-y.
Das sind frohe, sonnige Erinneruirgsbilder, aber
ich denke auch noch zurück an Nächte, wenn der
Himmel sich rötete und schaurig die Huppentöne
der Nachtwächter durch die Straßen gellten, wenn
von St. Martin die ,,große Glocke" in harten
Schlägen die Bürgerfeuerwehr zu den Sammel-
plätzen rief und schauerlich der Turmmann mit
dem großen Sprachrohre sein: „Feuer in der
Richtung der x-Straße" über die Stadt hin rief.
Zum letzten Male „stürmte" es, als am 8. Mai
1900 der Blitz das Leistersche Holzlager in der
Leipziger Straße entzündete und die damals in
den Anfängen noch stehende Berufsfeuerwehr des
Elementes nicht Herr 'zu werden vermochte, in
kurzer Zeitfolge dröhnten erst die drei Sturm
schläge (Bezirk Unterneustadt) und dann die sechs
von: St. Martinsturme, Großfeuer verkündend,
und wenn auch nicht mehr, wie einst in kurhessischen
Zeit, gellende Hörner und rasselnde Trommeln
die Garnison bei dem Brande alarmierten, so hatte
doch der Weheruf der mächtigen Sturmglocke, der
sich über die Stadt hin schwang, einen eigen
schauerlichen Ton. Und aus den Knabenjahren
Amor
Erzählung von Ma
(Sc
Nanny harrte von Tag zu Tag auf die Rück
kehr des Geliebten. Sie zögerte bei der Heimkehr
den Heckenweg entlang, immer in der Hoffnung,
einen bekannten Schritt hinter sich zu vernehmen.
Wenn sie das Pförtchen zugeschlagen hatte, wartete
sie noch minutenlang, ehe sie es abschloß. Es war
ihr, als schlöffe sie zugleich für diesen Tag das
Tor ihrer Hoffnung. Sie lehnte an der entlaubten
Hecke, ohne der Kälte zu achten, die aus dem
feuchten Grunde an ihr emporkroch; ihre Augen
wanderten den Weg entlang, als müßten sie den
Freund herzwingen. An den einsamen Sonntagen
stahl sie sich in den verfallenen Schuppen. Auf
dem Gerümpel niederhockend, träumte sie sich mit
geschlossenen Augen in die Zeit ihres Glückes zu
rück. Noch litt sie nur unter der Sehnsucht; es
kam ihr nicht in den Sinn, daß sie verlassen sein
könne.
Da fand sie eines Tages das Päckchen. Ein
Zeichen von ihm! Er war dagewesen, er war
zurück. Sie hätte weinen können vor Glück. Das
Papier flog zu Boden, — da klirrte ihr das Geld
entgegen. Eine dunkle Röte stieg Nanny ins
Gesicht, es war ihr, als habe sie einen Backen-
streich empfangen.
„Nein, nein," schrie sie auf, „das kann nicht
sein, bezahlt für meine Liebe wie eine Straßen
dirne!" — —
taucht auch noch die Erinnerung auf, als der näm
liche Torr wie doppelt bittend und werbend klang,
als in den Julitagen des Jahres 1890 das Gottes
haus selbst durch.die Brunst des Feuers, das die
Rosenzweigsche Fabrik und ihre Nachbarhäuser in
Asche legte, bedroht war.
Großeltern und Elteru wußten mir zu sagen
von dem Kassel ihrer Jugend; ehe ich noch die
Bücher der Geschichte meistern konnte, war mir
das alte Kassel, tu dem sie gelebt und geschafft,
lieb und vertraut; wenn ich heute Erinnerungen
niederschrieb, die inir noch scheinen, als wären
sie von gestern, so weiß ich doch, daß ich manches
erzählt, das schon die junge Generation nicht mehr
kennt. Die Jugend mag lauschen, wie es war,
dem aber, der mit mir jung gewesen, wird viel
leicht manches Bild, so gut oder schlecht ich es
zu zeigen vermochte, ein weiteres Erinnern wecken,
wird immer neu das Lob Kassels singen, des
alten, trauten, heimatlichen, wie auch ihm einst
Ernst Koch sein Denkmal in Prinz Rosa-Stramin
gesetzt. B. J.
vincit.
g. Maier-Hüser.
luß.)
Wie Nannt) in der nächsten Zeit ihre Arbeit
verrichtete, wußte sie selbst nicht. Alles um sie
her war unwirklich. Die Tage drängten an ihr
vorbei wie eine Herde über steinigten Boden, keine
Spur hinterlassend. Nichts lebte in ihr als die
Scham über die erlittene Schmach und die Sehn
sucht nach dem verlorenen Geliebten. Sie kämpfte
verzweifelt gegen diese Sehnsucht an, die ihr so
schmachvoll und erniedrigend dünkte, und deren
sie sich doch nicht erwehren konnte. Sie hätte sich
das Herz aus der Brust reißen mögen, das mit
solch rätselvoller Treue für den schlug, der es mit
Füßen getreten.
Dabei gab es viel zu tun. Fast täglich fanden
im Schlöffe Empfänge und Gastereien statt, Mas
keraden und Bälle wechselten einander ab, und
es wurde weder bei der Bewirtung noch beim
Logement der Gäste mit dem Weißzeug gespart.
Besonders zeitraubend gestaltete sich die Behand
lung der reich verzierten Leibwäsche der französischen
Gesandten, die nun schon seit Monaten am Hofe
stationiert waren und für deren sämtliche Bedürf
nisse die Hofhaltung Sorge trug.
Nun rückte Weihnachten heran. Seufzend musterte
am Vorabend des 24. Dezember die Schaffnerin
einige Bottiche mit ausgesucht feiner Herrenwäsche.
„Kein Gedanke, das alles bis heute Abend
fortzuarbeiten. Daß die hohen Herrschaften anders