Full text: Hessenland (32.1918)

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schenden Pappeln, gegenüber lag ein viereckiger 
Teich, dicht neben dem Bahndamm zum Unter 
stadtbahnhofe; und der Weg zum Tannenwäldchen 
und dem Bahnübergänge an der Stelle der großen 
Brücke dort führte noch südlich des genannten 
Bahndammes hinauf. Alles dies Haben die beiden 
großen Bahnhofsumbauten zu Beginn dieses Jahr 
hunderts erst gründlich verändert, hohe Dämme 
angeschüttet, die Höhe des Reisberges eingeebnet 
und niedriger gelegt und an der Stelle des ver 
längerten Grünen Weges die Schillerstraße als 
die Verbindung mit dem südwestlichen Rothen 
ditmold treten lassen. 
Schon früher aber hatte sich das Gebiet am 
Unterstadtbahnhose verändert. Auch dort, wo jetzt 
die große Rothenditmolder Brücke über die Geleise 
des Unterstadtbahnhofes setzt, führte einst die Wolf 
hagerstraße im Niveauübergang hinüber, zwischen 
Wiesen mit lebenden Hecken und Kopfweiden mün- 
vete der damalige Rothenditmolder Weg in die 
hier noch so gut wie unbebaute Wolfhager Land 
straße, und drüben auf dem Rothenberge waren 
noch deutlich die Gräben und Wälle der Batterie 
zu erkennen, Von der im siebenjährigen Kriege die 
Reisberger Schanze sturmreif geschossen war. Die 
Reste dieser Batterie sind bei der Anlage der Jo 
sephskirche und des Marienkrankenhauses ver 
schwunden. Von der Reisberger Schanze wurden 
bei der jüngsten Erweiterung des Bahnhofes die 
letzten Spuren gefunden und beseitigt. 
Bon Rothenditmold zog sich die Mombach, von 
einem Fahrwege begleitet, der im Sommer mit 
fußhohem Staube, im Herbst und Winter mit 
ebensolchem Schmutze überzogen war, unter einer 
doppelten Reihe von Weiden bis zur Holländischen 
Straße hin. An der Mombach pflegte ein Seiler 
längs des Friedhofes sein „ausgedehntes" Ge 
schäft zu betreiben, und gar oft habe ich ihm zuge 
schaut, wenn ich als Kind mit meiner Mutter 
zum Friedhose, zu den Gräbern unserer Lieben 
ging. Kurz oberhalb der Wackschen Mühle zwi 
schen dichtem Gebüsch ergoß die Mombach sich in 
die Ahna. Diese, von einem schmalen Fußwege 
begleitet, war mir immer unheimlich, tief hingen 
die Weiden über das gestaute Wasser, das schwarz 
und still zu stehen schien, und als das einzig Be 
lebte erschien mir das mächtige hölzerne Wasserrad 
der Mühle. Lustiger dagegen war es in zwei 
Gastwirtschaften dort unten, die gewiß noch un 
vergessen sind: beim Äppel-Klaus gegenüber dem 
Friedhofe, wo selbstgekelterter Apfelmost und 
Apfelwein als Spezialität zum Ausschank kam, 
und auf Belvedere, von wo man damals noch das 
Stadtbild klar vor sich sah, nicht durch den Rauch 
der Fabriken entstellt, und wo ein hölzerner Aus 
sichtsturm mit bunten Glasfenstern das Entzücken 
der Jugend bildete. Dazu dann der Wirt, der 
immer witzige und schlagfertige alte Göttling — er 
hat erst vor wenigen Jahren seine Augen ge 
schlossen —, der im Hinblick auf etwaige an- 
nexionistische Gelüste seiner Gäste aus allen Mes- 
> fern, Gabeln und Löffeln eingraviert hatte: „Ge 
stohlen bei Göttling". 
I Noch gar vieles hat sich seit jenen Tagen im 
lieben Kassel verändert. Was war der alte Fried 
hof zwischen Spohr- und Mauerstraße für eine 
Wildnis von Wiesenblumen, ehe die Lutherstraße 
entstand und die Anlagen dem Platze die heutige 
Gestalt gaben, wenn auch — leider — viele der 
alten schönen Denksteine unter den Händen einer 
rohen Jugend verstümmelt werden und so das 
prächtige Freilichtmuseum, -das uns sich dort in 
den Werken älterer Denkmalskunst bietet, manches 
Stück verliert, manches verstümmelt wird, ehe 
Wind und Wetter ihm den Rest geben. Ehe noch 
auf dem kleineren (Fürsten-) Teile be§ Friedhofes 
das Pfarrhaus errichtet ward, stand dort das Denk 
mal der Frau von Schmerseld, der massige Wür 
fel, den ein Sarkophag krönt und der jetzt etwas 
weiter in die Anlagen hineingesetzt ist, und an 
der hinteren Grenze des Friedhofes zog sich eine 
lauge, dachförmig aus Sandsteinplatten errichtete 
Gruft, hin, die auch nun längst fortgeräumt ist, 
gleich so manchen anderen Stücken, die eine lie 
bende Hand ihren Toten errichtet. Und ganz ver 
schwunden ist auch längst der Militärfriedhos zwi 
schen Luther- und Gießbergstraße, und nur die 
wenigsten derer, die heute zu Fuß oder mit der 
Elektrischen hier vorübereilen, denken daran, daß 
dort manches Leben, reich an Ehre, manches junge, 
frische Blut, sein letztes Bette gefunden. 
Und was waren das noch für gemütliche alte 
Gärten, z. B. dort, wo heute das Hotel Golze 
steht. Sandsteinpseiler flankierten die Pforte, ein 
langer Fließenweg zwischen Stachelbeerrabatten 
führte durch den Garten, in dem neben dem Obst 
die schönen alten, lieben Gartenblumen nicht fehl 
ten; oder ich denke an den Rochollschen Garten 
mit seinen hohen, rauschenden Bäumen, der hohen 
grauen Quadermauer, etwa in der Mitte der 
Spohrstraße, über die der weiße Giebel des Hauses 
hinweglugte, zu dem ein breites hölzernes Gitter 
tor den Blick öffnete. 
Der kleine Finkenherd mit dem alten Wehr 
und die Mühle mit der schönen Linde, ebenso 
die alte Fuldabrücke, sie sind ja wohl noch in der 
meisten Erinnerung. Der Untergang des alten 
schönen Stadtbildes dort ist schon oft genug be 
klagt, aber — fort ist fort, hin ist hin! 
Noch sehe ich den Spiegel des Fackelteiches 
glänzen in der Morgensonne, denke noch an die 
Exkursionen zu seinen Ufern, die wir Pennäler 
mit einigen jungen Lehrern des Realgymnasiums 
unternommen, und die der reichen Teichflora des 
wegen seines sumpfigen Grundes berüchtigten Ge 
wässers galten; noch erinnere ich mich des Pulver 
mühlenweges und der alten Pulvermühle an der 
Losse, dort, wo heute die Herkulesbrauerei steht, 
ich denke an die Zeit, als der Hasen entstand und 
dann, am 1. August 1895, der Hinterraddampfer 
„Kassel" als erstes Schiff auf der kanalisierten 
Fulda herausrauschte und in den neuen Hafen 
einfuhr.
	        
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