Full text: Hessenland (32.1918)

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mouriez den politischen Geheimagenten für Frank 
reich gespielt. 1778 taucht er in Straßburg wieder 
auf, wo er sein Schauspiel „Dorimon" im Druck 
erscheinen ließ. Er bereiste dann die Ufer des 
Rheins und ließ in Deutschland seine „Felicia" 
nochmals drucken, diesmal aber in tadelloser Aus 
gabe. Dann verliert sich seine Spur wieder bis 
zum Jahre 1780. 
Wir müssen uns 'nun nach Kassel wenden. Hier 
hatte Landgraf Friedrich II. am 1. Februar 1760 
ben Thron bestiegen, und damit hatte eine Zeit 
des Prunks und der Pracht am Kasseler Hofe be 
gonnen, wie sie unter Friedrichs Vorgänger, dem 
ernsten Landgrafen Wilhelm VIII., unbekannt ge 
wesen war und bei seinem geizigen Nachfolger 
Wilhelm IX. erst recht fehlte. Alles wurde nach 
dem Muster des Hofes zu Versailles eingerichtet, 
und bald fand sich in der Umgebung des Land 
grafen eine Schar von Abenteurern aus aller 
Herren Länder, vorzugsweise aber Franzosen, zu 
sammen. Wären diese alle nur mit Hofstellen 
bedacht worden, so hätte sich das noch ertragen 
lassen, wenn auch die Kosten dieser Stellen vom 
Lande aufgebracht werden mußten. Aber die Frem 
den drängten sich auch in Stellen des Staats 
dienstes ein, wo sie nur Schaden anrichten konnten. 
So auch der schon oben erwähnte Jean Pierre 
Lollis Luchet, Marquis de La Roche du Maine, 
der sich später Marquis de Luchet nannte. Er war 
dem Landgrafen von Voltaire empfohlen worden 
und errang sich durch sein schnleichlerisches Wesen 
und seine Redegabe bald die volle Zuneigung 
des Landgrafen. Er wurde nach und nach Geheimer 
Legationsrat, Direktor der französischen Schau 
spiele, Unterintendant der Hofkapelle, Bibliothe 
kar, ständiger Sekretär der 1777 gegründeten Ge 
sellschaft der Altertümer, Historiograph von Hessen 
und Vizepräsident des Kommerzienkollegiums. Na 
türlich war er darauf bedacht, weitere Landsleute 
nach Kassel zu ziehen. Zu diesen gehörte auch Ner- 
ciat. Dieser hatte Luchet in dessen Eigenschaft 
als Leiter der französischen Hofbühne gegen Ende 
des Jahres 1779 die Handschrift einer voll ihm 
verfaßten und in Musik gesetzten komischen Oper 
übersandt. Luchet, der sich seiner von Paris her 
erinnerte und wußte, daß der stattliche ehe 
malige Ofsizier, der jetzt als Schriftsteller und 
Musiker auftrat, am Kasseler Hofe eine gute Rolle 
spielen würde, teilte ihm alsbald mit, seine 
Oper sei zur Aufführung angenommen; wenn er 
zurzeit keine anderen Verpflichtungen habe, möge 
er nach Kassel kommen. Nerciat, der sich kurz 
vorher verheiratet hatte, ließ sich das nicht zwei 
mal sagen. In den ersten Tagen des Februar 
1780 traf er in Kassel ein, wo er anfs beste auf 
genommen wurde. Er bezog eine Wohnung in der 
Oberneustadt. Wenige Tage nach seiner Ankunft 
hielt er in der Gesellschaft der Altertümer einen 
Vortrag, in dem er den den Vorsitz führenden 
Landgrafen unter dem Namen eines Titus, eines 
Augustus verherrlichte. Der Dank dafür war die 
Ernennung zum Rat Und Unterbibliothekär. Seine 
französische komische Oper in 3 Akten: „Könstanze 
oder die glückliche Verwegenheit" ^ wurde im Ko 
mödienhause am Schloßplatz * 5 6 , in dem die fran 
zösischen Schauspieler ihre Bühne aufgeschlagen 
hatten, vor dem versammelten Hofe und den ersten 
Kreisen der Stadt Kassel aufgeführt. Der Inhalt 
des Stückes war die alte Geschichte eines mit einem 
lächerlichen alten Manne verlobten frischen, jun 
gen Mädchens, das, unterstützt von einer ränke 
vollen Zofe, es auf listige Weise fertig bringt, 
einen von ihm geliebten jungen Mann zu hei 
raten^. Ich lasse zwei Arien der Zofe Finette 
und der Madame Armand aus dem Stücke hier 
folgen, um einen Begriff von Nerciats Versen 
zu geben. Finette singt: 
Si je me donne un mari, 
Je ne le veux ni joli 
Ni galant, ni f'ait pour plaire, 
Un benet, c’est mon affaire, 
II en est tant Dien merci. 
Pour epoux, vive une bete, 
Madame fait ä sa tete, 
Elle gouverne monsieur 
Et d’un maitre sans malice 
Fait, au gre de son caprice, 
Son tres humble serviteur. 
Und die Madame Armand: 
8e faire craindre d’un epoux 
Est un meprisable avantage. 
D’une femme sage 
L’empire est plus doux; 
Pour la paix du menage, 
De la part d’un jaloux. 
Elle sait avec eourage 
Souffrir un leger outrage 
Les caresses, la douceur 
Ramenent un mari volage, 
II fuit l’humeur; 
Beaute qui veut etre affable 
De 1’bomme le moins traitable 
Desarme enfin la rigueur. 
Im Jahre 1780 ließ Nerciat den Text der 
Oper in Kassel im Druck erscheinen, aber ohne 
Beigabe der Noten. 
* „Constance ou l’heureuse temerite.“ 
5 An der Stelle der jetzigen Scheelschen Buchdruckerei. 
6 Die Handschrift des Stückes befindet sich in der 
Bibliothek zu Stuttgart. Apollinaire schließt daraus, daß 
der Herzog von Württemberg der Aufführung des 
Stückes beigewohnt habe. Der Beweis dafür fehlt, 
folgt.)
	        
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